Laserblitz erzeugt exotische Ordnung in Quantenmaterial

Physik-Forschungskooperation aus Kiel, Göttingen und Hamburg erzeugt neuen Stoffzustand

Wasser fließt, Eis ist starr – dieser klare Unterschied zwischen dem flüssigen und festen Zustand von Stoffen ist Teil unserer Alltagserfahrung. Er folgt aus der sehr regelmäßigen Anordnung von Atomen und Molekülen in kristallinen Festkörpern, die beim Schmelzen verloren geht. Weniger eindeutig ist dagegen die Struktur von „flüssigen Kristallen“ – höchst interessanten Zuständen, die Ordnung und Unordnung so miteinander verbinden, dass wichtige Anwendungen wie LCDs (engl. „liquid crystal displays“) in technischen Geräten möglich sind.

Forschenden vom Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen ist es nun in Zusammenarbeit mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), dem Deutschen Elektronen Synchrotron DESY und der Universität Göttingen gelungen, in einem kristallinen Material einen Zustand zu erzeugen, der sich – ähnlich zur Struktur von Flüssigkristallen – weder als eindeutig flüssig noch als eindeutig kristallin beschreiben lässt.
Der untersuchte Schichtkristall, den das Team von Kai Rossnagel, Professor an der CAU und leitender Wissenschaftler am DESY, in Kiel gezüchtet hatte, zeichnet sich bei Raumtemperatur durch eine minimale Verzerrung der Kristallstruktur aus. Diese stellt sich aufgrund der besonderen Struktur des Kristalls ein, in der dünne Schichten aus Metall- und Schwefelatomen aufeinandergestapelt und nur schwach miteinander verbunden sind. Beschießt man diese nun mit ultrakurzen Laserblitzen, ändert diese Verzerrung innerhalb einer Billionstel Sekunde ihre Orientierung. Dies erhöht abrupt die elektrische Leitfähigkeit des Materials. Obwohl beide Arten von Verzerrungen über eine geordnete Struktur und die damit verbundenen kristallinen Eigenschaften verfügen, lässt sich während des Übergangs ein stark ungeordneter Zustand beobachten.
 

Kurzer Schnappschuss: Zustand nach Nanosekunden-Bruchteil verschwunden

„Nach der Anregung des Materials mit Licht müssen die Atome in der Kristallstruktur ihre neuen, leicht veränderten Positionen erst noch finden. Dies wandelt das Material in einen auf außergewöhnliche Art ungeordneten, sogenannten hexatischen Zustand“, erklärt Till Domröse, Doktorand am MPI und Erstautor der jetzt in der Fachzeitschrift Nature Materials veröffentlichten Studie. „Dieser Zustand wird sonst typischerweise vor allem in Flüssigkristallen beobachtet. In unseren Experimenten ist er jedoch äußerst flüchtig und nach den Bruchteilen einer Nanosekunde bereits wieder verschwunden.“

Ihn sichtbar zu machen stellte hohe Anforderungen an die verwandte Messtechnik. Für einen hinreichend kurzen Schnappschuss braucht es einerseits eine sehr schnelle zeitliche Auflösung. Andererseits sind die strukturellen Änderungen des Materials so subtil, dass sie nur mit einer sehr hohen Empfindlichkeit auf die atomaren Positionen sichtbar werden. Elektronenmikroskope bieten grundsätzlich die nötige räumliche Auflösung, sind aber typischerweise nicht schnell genug.

In den letzten Jahren hat das Göttinger Team um Max-Planck-Direktor Claus Ropers diese Lücke geschlossen, indem sie ein „ultraschnelles“ Elektronenmikroskop entwickelten, das in der Lage ist, selbst unvorstellbar rasant ablaufende Vorgänge im Nanokosmos abzubilden. „Dieses Mikroskop kam auch bei diesen Experimenten zum Einsatz und ermöglichte es uns, die ungewöhnlich geordnete Phase und ihre zeitliche Entwicklung in einer Bildserie festzuhalten“, erläutert Ropers. „Gleichzeitig haben wir einen neuen hochauflösenden Beugungs-Modus entwickelt, der für die Untersuchung vieler anderer funktioneller Nanostrukturen essenziell sein wird.“
 

Einzigartige Schichtkristalle aus Kiel

„Die hochkomplexen Dynamiken, die in dieser Art Schichtkristall ablaufen, bieten zahlreiche wissenschaftliche Fragestellungen und Einsatzmöglichkeiten“, sagt Rossnagel, Mitglied der Sprechergruppe des Forschungsschwerpunkts KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science) an der CAU. „Grundlage sind faszinierende netzwerkartige Strukturen, die wir nur in enger Zusammenarbeit mit modernsten Forschungsinfrastrukturen wie am MPI in Göttingen und am DESY in Hamburg entwickeln und untersuchen können. Das ermöglicht eine exzellente Forschung zu Quantenmaterialien in Norddeutschland.“

Diese speziellen Kristalle werden seit Anfang der 1980er Jahre in Kiel gezüchtet. Ebenso lange existieren enge Verbindungen zwischen der CAU und dem DESY, die mittlerweile im Ruprecht-Haensel-Labor institutionalisiert sind. „Die Hochpräzisions-Nanoanalytik des DESY mit den Anlagen PETRA III und FLASH hat entscheidend zu der hohen Qualität unserer Kristalle beigetragen und mit dafür gesorgt, dass wir Anfragen aus aller Welt bekommen“, so Rossnagel weiter. Studien wie diese mit dem MPI in Göttingen, in der ein neuartiger Zustand in einem Quantenmaterial entdeckt wurde, eröffnen auch Perspektiven für die zukünftige Zusammenarbeit mit DESY -Forschungsgruppen zum besseren Verständnis neuer Quantenmaterialien.

Das Projekt wurde mit Unterstützung des Sonderforschungsbereichs 1073 „Atomic scale control of energy conversion“ durchgeführt.

© Julia Siekmann, Uni Kiel

In acht Öfen züchten Prof. Dr. Kai Roßnagel (links), Tim Riedel und Kerstin Hanff die Kristalle mit den besonderen Eigenschaften.

Probe
© Till Domröse / MPI-NAT

Schichtkristall auf einem Probenträger aus Gold. Das untersuchte Material besteht aus dünnen Schichten aus Tantal- und Schwefelatomen, die in loser Verbindung aufeinandergestapelt sind. Der gezeigte Bildausschnitt hat eine Größe von etwa 300um x 200um.

 

Illustration von drei Schichten aus Atomen
© Matthias Kalläne

Eine Art „Kristall-Sandwich“: Zwischen zwei Schichten aus Schwefelatomen (rot) liegt eine Schicht des metallischen Tantals (grau).

 

Originalpublikation:

Domröse, T., Danz, T., Schaible, S.F., Rossnagel, K.,  YaluninSergey V., Ropers, C. Light-induced hexatic state in a layered quantum material. Nat. Mater. (2023).https://doi.org/10.1038/s41563-023-01600-6

 

Forschungsschwerpunkt KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science)
Originalmeldung des MPI Göttingen:

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Kai Rossnagel
Leiter der Arbeitsgruppe Festkörper mit Synchrotronstrahlung an der CAU
Leitender Wissenschaftler am DESY
+49 431 880-3876
rossnagel@physik.uni-kiel.de

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Claus Ropers
Direktor am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Abteilung Ultraschnelle Dynamik
+49 551 39-39083
claus.ropers@mpinat.mpg.de

Pressekontakt:
Julia Siekmann
Referentin für Wissenschaftskommunikation, Forschungsschwerpunkt Kiel Nano Surface and Interface Sciences (KiNSIS)