Die Gleichschaltung der Lehrerbildung an der Kieler Lehrerausbildungsstätte
Volksschullehrer wurden in der Weimarer Republik (anders als Gymnasiallehrer) nicht an Universitäten, sondern an "Pädagogischen Akademien" auf ihren Beruf vorbereitet. Eine solche Akademie nahm 1926 infolge einer Neuordnung der preußischen Volksschullehrerbildung in Kiel ihre Arbeit unter dem Direktor Professor Ulrich Peters (1878-1939) auf. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde sie wie alle "Pädagogischen Akademien" umgewandelt in eine "Hochschule für Lehrerbildung" (HfL).
Direktor Peters und der Biologiedozent Paul Brohmer hatten die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zusammen mit nationalsozialistischen Studenten im Januar 1933 durch Hissen der Hakenkreuzflagge über dem Gebäude begrüßt. Im selben Jahr trat Peters in die NSDAP ein und zeigte sich einverstanden mit den "personellen Veränderungen", die sich durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (BBG) ergaben.
Der Direktor der neuen Hochschule hatte schon zuvor eine "deutschkundliche Pädagogik" vertreten, eine "völkische Erziehung", die er durch die nationalsozialistischen Vorstellungen einer "nationalpolitischen und rassischen Erziehung" (so Peters 1933) ergänzt sah. Da Peters sich in der Vergangenheit ausgesprochen positiv über das Judentum geäußert hatte, ist jedoch unklar, ob er die nationalsozialistische Ideologie in allen ihren Facetten tatsächlich teilte oder ob er "nur" zu den "Mitläufern" gehörte.
Als ähnlich schwierig erweist es sich heute, die Überzeugungen und Beweggründe anderer Dozenten der HfL Kiel nachzuvollziehen. So waren Peters Kollegen Karl Alnor, Ivo Braak und Adolf Bracker beispielsweise nicht nur ebenfalls Mitglieder der NSDAP, sondern auch der SS und/oder SA. Während der im Zweiten Weltkrieg gefallene Geschichtsdidaktiker Alnor in dieser Zeit Arbeiten verfasste, die eindeutig mit der nationalsozialistischen Ideologie behaftet waren, konnten Braak und Bracker nach dem Ende des Dritten Reiches vor den zuständigen Entnazifizierungsausschüssen ihre Einstufung als "entlastet" erwirken.
Im Jahre 1939 – dem Todesjahr Ulrich Peters' – wurde die Kieler Hochschule für Lehrerbildung vorübergehend geschlossen. 1941 bis 1945 trug die Einrichtung den Namen "Lehrerbildungsanstalt zu Kiel". Von der Neugründung 1946 bis zur Eingliederung in die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als "Erziehungswissenschaftliche Fakultät" im Jahre 1994 war sie schließlich unter dem Namen "Pädagogische Hochschule Kiel" bekannt. 2002 wurde die Erziehungswissenschaftliche Fakultät endgültig aufgelöst und ihre Lehrstühle in die anderen Fakultäten integriert. sas
Persönliche Erinnerungen an die "Hochschule für Lehrerbildung" im Nationalsozialismus
Für die Zulassung zur Hochschule für Lehrerbildung (HfL) war dem damaligen Studenten Hans-Rudolf Dräger zufolge nicht nur der "Arier-Nachweis", sondern auch die vorherige Ableistung des Arbeitsdiensts vonnöten. Wollte man an der Universität studieren, mussten zuvor zwei Semester an der HfL absolviert werden, in denen die zukünftigen Lehrer ideologisch geschult werden sollten. Mit der Einschreibung erhielt man eine "Reichsnummer" und wurde automatisch Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes.
Dräger erinnert sich, dass die Studentenfeiern und auch der Alltag unter den Studenten unpolitisch waren – im Jahre 1939 trug das Frühjahrfest beispielsweise das Motto "Es leuchten die Sterne". Dennoch zeigte sich auch unter den Studierenden die Allgegenwart des Nationalsozialismus – so trug zum Beispiel die Mehrheit der Studenten bei ihrer Erstsemestereinführung die Uniform einer der nationalsozialistischen Organisationen. Ebenso trugen die Dozenten der HfL, die Dräger zufolge alle Mitglied der NSDAP und des Nationalsozialistischen Deutschen Lehrerbundes beziehungsweise des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes waren, meistens das Parteiabzeichen, bei besonderen Anlässen auch das "Braunhemd" (das Parteihemd der NSDAP) oder die Uniform der SS oder SA. Einige Hochschullehrer waren als "alte Kämpfer" und "stramme" (so Dräger) SS- oder SA-Angehörige bekannt.
Dräger sind jedoch keine "Protagonisten der NS-Ideologie" im Gedächtnis geblieben. Ob es sich bei der Mehrheit um Mitläufer, Opportunisten oder überzeugte Nationalsozialisten handelte, vermag er nicht zu sagen.
Unmittelbar nach dem Krieg bestand die Studentenschaft der 1946 als Pädagogische Hochschule wiedereröffneten Einrichtung vor allem aus ehemaligen Soldaten und Offizieren, später größtenteils aus Abiturienten der durch den Krieg verspätet abschließenden Jahrgänge und aus Spätheimkehrern.
Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit erfolgte an der HfL nach dem Krieg nicht. Zwar gab es durchaus persönliche Auseinandersetzungen und Gesprächskreise, der Lehrkörper wurde jedoch "ohne Selbstprüfung" wieder eingesetzt. Auch in den Erziehungswissenschaften versuchte man, durch "Überspringen" der letzten Jahre an die Zwanzigerjahre anzuknüpfen. sas
Literaturangaben
Dräger, Hans-Rudolf: Die Pädagogische Hochschule Kiel in der NS-Zeit. Persönliche Erinnerungen und Überlegungen. In: Pohl, Karl Heinrich (Hrsg.): Die pädagogische Hochschule Kiel im Dritten Reich. Bielefeld 2001, S. 122-131.
Die NS-Ideologie im Geschichtsunterricht: Der Beitrag Karl Alnors
Am Beispiel des Kieler Geschichtsdidaktikers Professor Karl Alnor zeigt sich, wie Teile der "geistigen Elite" des Landes mit der nationalsozialistischen Weltanschauung übereinstimmten. Alnor, der schon vorher den "Volkstumsforschern" nahe stand und dessen besonderes Interesse den Grenz- und Minderheitenfragen in Schleswig galt, wurde im Juli 1933 Professor für Deutsche Geschichte, Methodik des Geschichtsunterrichts und Grenzlandkunde an der Hochschule für Lehrerbildung.
Wenige Monate zuvor war er Mitglied der NSDAP und der SA geworden, nun trat er auch dem Nationalsozialistischen Lehrerbund bei. Alnor profilierte sich in den nächsten Jahren durch seine Mitarbeit an der Buchreihe "Die nationalsozialistische Erziehungsidee im Schulunterricht", deren zwei Bände über den Geschichtsunterricht aus seiner Feder stammten, und durch einen Lehrplanentwurf für den Geschichtsunterricht an Volksschulen. Dieser Lehrplan, der vermutlich ab 1937 an den Ausbildungsschulen der Hochschule in die Praxis umgesetzt wurde, teilte die deutsche Geschichte anhand von Schlagworten wie "Blut und Boden" oder "Rasse, Raum, Reich" in neue Epochen ein und setzte sich damit über den Erkenntnisstand auch der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft hinweg.
Alnor, der schon im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte und im Oktober 1914 schwer verwundet worden war, fiel am 8. Juni 1940. sas
Literaturangaben
Jessen-Klingenberg, Manfred: Karl Alnor (1891-1940). Ein Kieler Geschichtsdidaktiker im Dritten Reich. In: Pohl, Karl Heinrich (Hrsg.): Die pädagogische Hochschule Kiel im Dritten Reich. Bielefeld 2001, S. 98-121.
Fehlende Aufarbeitung der Rolle eines Funktionärs: Johannes Edmund "Ivo" Braak
Der 1906 als Johannes Edmund Braak geborene Ivo Braak war Pädagoge und ist heute noch für seine Tätigkeit als Schriftsteller und auch als Herausgeber bekannt. Für seine Arbeit und sein Engagement für die niederdeutsche Sprache erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, wie zum Beispiel 1974 das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Nach seinem Studium der Deutschen und Niederdeutschen Philologie in Wien, Hamburg und Kiel und einem Zweitstudium an der Pädagogischen Akademie Kiel hatte Braak von 1935 bis 1938 an der Kieler Lehrerhochschule die Fächer Methodik des Deutschunterrichts und Sprecherziehung gelehrt. Obwohl er spätestens seit 1937 nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern auch der SS und anderer nationalsozialistischer Organisationen gewesen war, konnte Braak 1948 den zuständigen Entnazifizierungsausschuss überzeugen, ihn als "entlastet" einzustufen. Er konnte seine Lehrtätigkeit im November desselben Jahres in Flensburg wieder aufnehmen.
Im Jahre 1959 wurde Braak an die Pädagogische Hochschule Kiel versetzt. Diese leitete er von 1961 bis 1967 als Rektor, obwohl im Jahr seines Amtsantritts ein Zeitungsartikel für Aufsehen sorgte, in dem Braak unter anderem als Mitarbeiter des NS-Propagandaministers Goebbels bezeichnet wurde. Diese Behauptung offenbarte sich schnell als Verleumdung durch einen Konkurrenten um den Rektorenposten, der daraufhin suspendiert wurde. Braak räumte jedoch seine Mitgliedschaft bei der SS und bei der Reichstheaterkammer ein.
Für seine Verdienste um die Pädagogische Hochschule Kiel, deren Neubau in seiner Amtszeit eröffnet wurde und die unter ihm den gesetzlichen Status einer eigenständigen wissenschaftlichen Hochschule erhielt, wurde Ivo Braak 1986 zum Ehrensenator der Pädagogischen Hochschule ernannt. Weder bei der Abstimmung im Senat, die einstimmig zu seinen Gunsten ausfiel, noch beim Festakt am 11. September kamen seine Verbindungen zu den verschiedenen NS-Organisationen zur Sprache. Inwieweit diese auf Überzeugung, karriereorientierten Opportunismus oder Existenzangst zurückzuführen waren, ist heute kaum eindeutig zu beurteilen. Fest steht jedoch, dass es im Zuge der Verleihung keine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle Braaks während der NS-Zeit gegeben hat. sas

Prof. Dr. Ivo Braak, 1976
Literaturangaben
Pischel, Stephan: Ivo Braak. Ein Hochschullehrer an der Hochschule für Lehrerbildung und an der Pädagogischen Hochschule in Kiel. In: Pohl, Karl Heinrich (Hrsg.): Die pädagogische Hochschule Kiel im Dritten Reich. Bielefeld 2001, S. 155-176.
Petersen, H. C.: Der Umgang mit dem "nationalsozialistischen Erbe". Das Beispiel Ivo Braak. In: Ebd., S. 177-187.
Erst "Mitläufer", dann "entlastet": Adolf Bracker
Adolf Bracker zeichnete sich insbesondere durch sein frühes Engagement für den Sport und die Turnbewegung aus. Im Laufe seines Lebens hatte er verschiedene Ämter inne, wie zum Beispiel das eines Kinder- und Jugendwarts. Nach Besuch des evangelischen Lehrerseminars Kiel und einer Zusatzausbildung zum staatlichen Turn- und Sportlehrer unterrichtete er an mehreren Schulen in Kiel. Seit 1932 war er als Lehrbeauftragter für Leibesübungen an der Pädagogischen Akademie beschäftigt, wo er vermutlich 1935 – die Einrichtung trug mittlerweile den Titel "Hochschule für Lehrerbildung" – als planmäßiger Dozent für Leibeserziehung und Wehrerziehung angestellt wurde. Bei Kriegsbeginn 1939 eingezogen, stieg Bracker schnell bis zum Kapitänleutnant auf und tat bis zur Kapitulation im Mai 1945 seinen Dienst.
Bracker wendete sich früh der NSDAP zu – nach eigenen Angaben wurde er im Oktober 1932, schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, Parteimitglied. Wenig später trat er auch der SA bei, wechselte 1936 jedoch zur SS, wo er schließlich Hauptsturmführer wurde. Darüber hinaus war Bracker Mitglied im Verein Lebensborn e.V. (einem staatlich geförderten Verein, der sich der "Zucht" von "arischen" Kindern verschrieben hatte), dem NS-Lehrerbund und dem NS-Dozentenbund, über dessen Hochschulgruppe Kiel er 1939 die Führung übernahm.
Sein Aufstieg innerhalb der SS sowie die Mitgliedschaft in weiteren nationalsozialistischen Organisationen lassen vermuten, dass Bracker Ideologie und Ziele des Nationalsozialismus teilte. Im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens 1948 betonten sowohl Bracker als auch Zeugen jedoch, dass er lediglich aufgrund seines Engagements als Sportreferent innerhalb der SS emporgekommen sei. Bracker wurde zunächst als "Mitläufer", Ende der Vierzigerjahre dann als "entlastet" eingestuft und konnte somit seinen Lehrberuf wieder aufnehmen. Im Jahre 1951 wurde Bracker Beamter auf Lebenszeit. Er unterrichtete bis zu seiner Pensionierung 1966 an der Humboldt-Schule in Kiel. sas
Literaturangaben
Klußmann, Astrid; Pfaff, Andreas; Reinsdorf, Katharina; Schimmer, Christiane: Adolf Bracker, ein Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung während und nach dem Dritten Reich. In: Pohl, Karl Heinrich (Hrsg.): Die pädagogische Hochschule Kiel im Dritten Reich. Bielefeld 2001, S. 132-154.
Spezialist für Rassenkunde: Professor Paul Brohmer
Paul Brohmer war seit 1927 als Professor für Biologie und ihre Didaktik an der Hochschule für Lehrerbildung (HfL) Kiel tätig. Anfang der Dreißigerjahre war er stellvertretender Direktor der Hochschule. Ab 1. Mai 1933 – nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten – hatte er den Lehrstuhl für Vererbungslehre, Rassenkunde, Biologie und Methodik des Naturkundeunterrichtes inne. Am gleichen Tag trat er offiziell in die NSDAP ein. Schon im Januar desselben Jahres war er öffentlich für den Nationalsozialismus eingetreten, als er zusammen mit Direktor Ulrich Peters nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler die Hakenkreuzflagge über dem Hochschulgebäude gehisst hatte.
Im Jahre 1948 verfasste Brohmer ein Gutachten, das seinem Kollegen Adolf Bracker die uneingeschränkte Fähigkeit zur Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Hochschule zusprach. Wieso Brohmer, der laut dem Autorenkollektiv um Astrid Klußmann als "führender Repräsentant der NS-Biologiedidaktik" galt, trotz seiner eigenen Vergangenheit diese Gutachterposition einnehmen konnte, bleibt offen. sas
Literaturangaben
Pohl, Karl Heinrich (Hrsg.): Die Pädagogische Hochschule Kiel im Dritten Reich. Bielefeld 2001, S. 7-24.
Klußmann, Astrid; Pfaff, Andreas; Reinsdorf, Katharina; Schimmer, Christiane: Adolf Bracker, ein Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung während und nach dem Dritten Reich. In: Ebd. S. 132-154.