Auflösung mit Ansage

Wenn ein Gips nicht genügt, um ein gebrochenes Bein zu stabilisieren, können Schraubimplantate die Heilung unterstützen. Implantate aus Magnesium lösen sich sogar über die Zeit auf – und ersparen so eine zweite Operation.

Rötliche Flüssigkeit in einem Glasbehälter
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Auflösung unter körperähnlichen Bedingungen: Die Färbung verrät, dass sich diese Magnesiumprobe in einer Flüssigkeit befindet, deren pH-Wert etwa dem von Blut entspricht.

Dass sich metallisches Magnesium im Körper auflöst, ist nichts Neues. Schon vor über hundert Jahren kam es deshalb in der Medizin zum Einsatz – allerdings mit begrenztem Erfolg. Mittlerweile ist die Forschung weiter: Eine Schraube und ein Stent aus Magnesiumlegierungen sind in Deutschland bereits zugelassen. »Magnesium kommt in natürlicher Form im Körper vor, ist also biokompatibel und wirkt antientzündlich. Außerdem fördert es das Knochenwachstum, und die Abbauprodukte sind unseren Knochen ziemlich ähnlich«, beschreibt Dr. Berit Zeller-Plumhoff die Vorteile solcher Implantate. Im Institut für Metallische Biomaterialien von Professorin Regine Willumeit-Römer – zur Hälfte Professorin an der Universität Kiel, zur Hälfte am Helmholtz Zentrum Hereon in Geesthacht – erforscht die angewandte Mathematikerin die Abbauprozesse von Magnesiumlegierungen. Viele Einflussfaktoren sind noch nicht vollständig untersucht, wie die Bestandteile der Magnesiumlegierungen, die mechanischen Kräfte, die im Körper auf die Implantate wirken, oder die Bedingungen der Lösung, in der sie sich zersetzen. Zeller-Plumhoff will ein Modell entwickeln, mit dem sich im Vorfeld berechnen lässt, wie Magnesium unter verschiedenen Bedingungen im Körper abgebaut werden wird.

Mathematisches Modell soll Abbauprozess vorhersagen

Bereits bekannt ist, dass beim Abbau von metallischem Magnesium in wässrigen Lösungen wie dem Blutplasma Magnesiumionen entstehen sowie Wasserstoffgas, wenn das Wasser die freiwerdenden Elektronen aufnimmt. Detaillierter lassen sich die Abbauprozesse mit intensiven Röntgenstrahlen am Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY) in Hamburg erforschen, wo röntgentomographische Untersuchungen den Blick ins Innere von Materialien erlauben. Zeller-Plumhoff nutzt hier »Nanotomographie«, mit der bei einer Auflösung von 100 Nanometern (entspricht 1/1.000 des Durchmessers eines menschlichen Haares) kleinste Bestandteile und Veränderungen des Materials sichtbar werden.

Doch um ihr mathematisches Modell zur Vorhersage der Abbauprozesse zu entwickeln, braucht Zeller-Plumhoff noch mehr Informationen. Dafür fuhr sie im Herbst 2021 zu Professor Dmytro Orlov an die Universität Lund in Schweden – finanziert durch eine Förderung des Forschungsschwerpunkts KiNSIS der Universität Kiel. In Orlovs Labor lässt sich die Wärme messen, die beim Abbau von Magnesium freigesetzt wird. Sie erlaubt Rückschlüsse auf die Reaktionen, die zuvor stattgefunden haben.

Frau mit Laborkittel in einem Labor
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Bei einem Forschungsaufenthalt an der ­Universität Lund konnte Berit Zeller-­Plumhoff spezielle Messungen zum Abbau von ­Magnesiumlegierungen durchführen

 

Wärmemessungen im schwedischen Lund helfen weiter

»Solche sogenannten isothermischen Kalorimetriemessungen sind sehr fein. Die Wärmemenge ist so gering, dass sie sich nicht mehr in Grad angeben lässt. Wir messen stattdessen das elektrische Signal im Bereich von Mikrovolt«, erklärt Zeller-Plumhoff. Nebenher lässt sich bei diesem Verfahren ermitteln, wieviel Druck entsteht, wenn beim Magnesiumabbau Wasserstoffgas freigesetzt wird. Das gibt weitere Hinweise auf die Abbauprozesse.

Während ihres siebenwöchigen Forschungsaufenthalts nutzte Zeller-Plumhoff diese Methode, um Magnesium erstmals in komplexen Medien aufzulösen, die dem Blutplasma unter anderem in der Proteinzusammensetzung ähneln. Noch wertet sie ihre Experimente aus, eine überraschende Entdeckung hat sie aber schon jetzt gemacht: Die verschiedenen Lösungen zeigen zwar Unterschiede im freigesetzten Druck, kaum aber in der Wärmemenge. Was das über die Prozesse beim Magnesiumabbau aussagt, muss sie jetzt interpretieren. »Solche Forschungsaufenthalte sind toll, vor allem am Anfang der Karriere, um neue Methoden auszuprobieren und andere Perspektiven auf die eigene Fragestellung kennenzulernen«, so Zeller-Plumhoff.

Autorin: Julia Siekmann

Förderung für Nachwuchsprojekte

Mit seinem Förderprogramm für Nachwuchsforschende unterstützt KiNSIS (Kiel Nano, Surface and Interface Science) junge Forschende aus den Nanowissenschaften und der Oberflächenforschung am Beginn ihrer Karriere. Jedes Jahr fördert der Forschungsschwerpunkt interdisziplinäre oder unkonventionelle Projekte sowie (inter-)nationale Forschungsaufenthalte mit je 2.000 Euro. Nächster Bewerbungsschluss: 1. März 2022 (jus)

www.kinsis.uni-kiel.de

Über den CAU-Forschungsschwerpunkt KiNSIS:

Im Nanokosmos herrschen andere, quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Strukturen und Prozesse in diesen Dimensionen zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsnah umzusetzen, ist das Ziel des Forschungsschwerpunkts »Nanowissenschaften und Oberflächenforschung« (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). In einer intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Life Sciences könnten daraus neuartige Sensoren und Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche medizinische Therapien und vieles mehr entstehen. www.kinsis.uni-kiel.de

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