Vom Sockel gestürzt

Wem gehören Denkmäler im öffentlichen Raum? Wen sollen sie repräsentieren? Und wer darf über sie bestimmen? Soziale Bewegungen wie Black Lives Matter und Großprojekte wie die Sanierung des Hamburger Bismarck-Denkmals rücken diese Fragen immer häufiger in den öffentlichen Fokus.

Bismarckdenkmal mit Graffiti
© Pixabay

Monumental: Das 34 Meter hohe Bismarck-Denkmal im Hamburger Elbpark wird derzeit saniert – unter Einbeziehung künstlerischer, didaktischer und postkolonialer Perspektiven.

Bilder, die durch die Medien gingen: Im Juni 2020 stürzten Demonstrierende im englischen Bristol die Bronzestatue des Sklavenhändlers Edward Colston von ihrem Sockel und versenkten sie im Hafenbecken. Bereits seit den 1990er Jahren gab es Kontroversen um die Erinnerungskultur an den 1636 geborenen Kaufmann, der maßgeblich zum Wohlstand der Stadt beigetragen hatte. Inzwischen aus dem Fluss Avon geborgen, wird die beschädigte Bronze heute in einem Museum ausgestellt – mitsamt historischer Einordnung und kritischer Aufarbeitung von Bristols Vergangenheit als ein Zentrum des Sklavenhandels.

Dass Denkmäler vom Sockel gestoßen werden, ist an sich kein neues Phänomen, erklärt Professor Sebastian Barsch vom Historischen Seminar. »Wir kennen das bereits seit der Antike. Wenn es Herrscherumstürze oder neue Herrschaftssysteme gab, kam es oft zu Denkmalstürzen und -veränderungen. Aber als gesamtgesellschaftliche Debatte ist das Thema in den letzten Jahren größer geworden.« Gründe dafür sieht der Historiker in der zunehmenden Auseinandersetzung Europas und Nordamerikas mit der Kolonialzeit und ihren historischen Figuren, aber auch in der Frage, wie an den Nationalsozialismus erinnert werden soll. Darüber hinaus werde die Erinnerungskultur in unserer vielfältigen Gesellschaft auch demokratischer. »Die Gesellschaft diskutiert gerade darüber, wer an Erinnerungspraktiken teilhaben darf. In den letzten Jahren sind Teilhabeansprüche von Gruppen größer geworden, die vorher aus solchen Diskursen ausgeschlossen waren. Die nun sagen, sie haben auch ein Recht, gehört zu werden«, so Barsch.

Ist Erinnerungskultur also eine Frage der Deutungshoheit? In seiner Forschung geht es dem Professor für Didaktik der Geschichte nicht um die moralische Bewertung einzelner Denkmalveränderungen. »Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist die spannende Perspektive, was die Motive und die Gründe dahinter sind. Warum äußert sich das in bestimmen Zeiten mehr, in anderen weniger? Und was sind die gesellschaftlichen Umbrüche?«, sagt er. »Dieses Phänomen ist ein wunderbares Beispiel für Wandel.« Über Jahrhunderte hinweg wurden Denkmäler, etwa für Kaiser, Zaren oder andere Herrscher, von kleinen politischen Machtgruppen vorgegeben und installiert. Mitspracherechte gab es nur selten. Barsch: »Ich glaube, dass so etwas heute in vielen demokratischen Gesellschaften gar nicht mehr möglich wäre.«

Heute wird um neue, zeitgemäße Darstellungen von Ereignissen und Persönlichkeiten gerungen, möglichst unter Beteiligung aller Gruppen und Einbeziehung verschiedener Perspektiven. Die spannende Frage bleibt jedoch, was passiert mit bereits bestehenden Denkmälern? »Als Geschichtsdidaktiker betrachte ich Denkmäler – auch kontroverse – als Teil der Geschichtskultur. Etwas, das in der Gegenwart ausgehandelt wird. Wir thematisieren das mit all seinen Widersprüchen. Vielleicht also eher ein neues Denkmal daneben oder eine neue Kontextualisierung, als es zu entfernen.« Wichtig sei dabei, den Prozess zu dokumentieren, transparent und möglichst demokratisch zu gestalten.

Wie das aussehen kann, zeigt die Hansestadt Hamburg: Die Sanierung des Bismarck-Denkmals im Alten Elbpark wird mit Workshops begleitet, in denen Umgestaltungs- und Kontextualisierungsmöglichkeiten diskutiert und erarbeitet werden sollen. Als problematisch gilt Reichskanzler Otto von Bismarck unter anderem aufgrund seiner Rolle in der deutschen Kolonialpolitik, als Militarist und Antidemokrat. Das Bismarck-Denkmal ist auch Thema der interdisziplinären Ringvorlesung »erinnern_zerstören_gestalten«, die Sebastian Barsch gemeinsam mit seiner Kollegin Silja Leinung initiiert hat. In der Reihe beleuchten Expertinnen und Experten das Phänomen Denkmalveränderungen aus verschiedenen Forschungsperspektiven, etwa der Theologie, den Rechtswissenschaften oder der Kunst. Die virtuellen Vorträge laufen noch bis zum 10. Februar.

Autorin: Anna-Kristina Pries

Digitale Ringvorlesung »erinnern_zerstören_gestalten«, donnerstags 18 Uhr. Nächste Termine: 27. Januar, 3. und 10. Februar 2022.

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