
Der Glücksforscher
Ist Glück messbar? »Ja«, sagt Professor Uwe Jensen vom Institut für Statistik und Ökonometrie der CAU. Er erforscht das Thema »Lebenszufriedenheit«. Und die ist in Corona-Zeiten gesunken.

Uwe Jensen
Der Kieler Mathematiker Professor Uwe Jensen befasst sich seit etwa 20 Jahren mit Studien und Publikationen zum Thema Glück. Sein Forschungsschwerpunkt hat sich aus einer regelmäßigen Vorlesung zur Arbeitsökonometrie herauskristallisiert. Ein Kapitel darin umfasst das Thema Zufriedenheit, das auch für die Wirtschaftswissenschaften eine große Rolle spielt. »Diese Materie kam bei den Studierenden immer besonders gut an«, so Jensen. Das habe sich nicht geändert: »Wenn ich vier Themen für Masterarbeiten vorschlage, wählen viele Studentinnen und Studenten das Glücksthema«, berichtet der Professor für Statistik und Ökonometrie.
Im Rahmen seiner Forschung zieht er stets das jährliche, sehr umfangreiche »Sozio-oekonomische Panel« heran. Die Studie, die seit 1984 läuft, ist am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin angesiedelt. Befragt werden rund 30.000 Teilnehmende in 15.000 Haushalten. Das Besondere ist, dass jedes Jahr dieselben Personen angesprochen werden und Jugendliche aus demselben Haushalt nachrücken können. Die Daten werden international und von unterschiedlichen Disziplinen wie Ökonomie, Psychologie und Soziologie genutzt.
Das Ziel des Kieler Forschers besteht darin, durch Verfahren der Ökonometrie Größen wie beispielsweise Arbeit, Einkommen, Bildung und Lebenszufriedenheit in Beziehung zu setzen. »Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Big Five, das heißt die fünf Persönlichkeitsfaktoren, die Psychologinnen und Psychologen entwickelt haben«, erläutert Jensen. Dies sind Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Rücksichtnahme und emotionale Stabilität. Das Panel lasse Schlüsse auf diese Persönlichkeitsmerkmale zu. »Es ist von Bedeutung, diese und alle anderen relevanten Faktoren in den Rechnungen zu berücksichtigen«, stellt der Wissenschaftler heraus. Er erläutert den Zusammenhang beispielhaft anhand der Frage, inwieweit das Einkommen Auswirkung auf das Glückserleben hat. »Hier ziehen wir auch Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen heran, die Einfluss darauf haben, welcher Stellenwert dem Einkommen beigemessen wird.« Die Ergebnisse seien stets Durchschnittswerte, so der Professor.
Zum Datensatz für das Jahr 2020, der erstmals die Corona-Auswirkungen zeigen wird, erhält er im Frühjahr 2022 Zugang. Dann werden Analysen unter seiner Regie erfolgen, und der Forscher rechnet damit, Anfang 2023 über detaillierte Ergebnisse zu verfügen.
Glück in Corona-Zeiten
Mit großem Interesse verfolgt er stets Beiträge und Untersuchungen zum Thema Lebenszufriedenheit und nutzt die Ergebnisse, um sie mit seinen eigenen zu vergleichen. Eine besonders wichtige Studie ist der Glücksatlas. Er basiert wie das Sozio-oekonomische Panel auf einer repräsentativen Umfrage und wurde ebenfalls 1984 gestartet.
Die Daten erhebt regelmäßig das Institut für Demoskopie Allensbach. Der aktuelle Glücksatlas stammt aus den Monaten Januar bis Juni 2021 und ist im November 2021 erschienen. Er zeigt erwartungsgemäß einen Rückgang der Lebenszufriedenheit. Auf einer Skala von null bis zehn lag der Wert der Lebenszufriedenheit vor Corona im Jahr 2019 bei 7,14; im Jahr 2020 ging er auf 6,74 zurück und für 2021 auf 6,58. »Das ist der niedrigste Stand seit Beginn der Erhebung«, erklärt Jensen.
Besonders stark sank die Zufriedenheit mit dem Freizeitleben. Und da die jüngere Generation eine überdurchschnittlich große Befriedigung aus diesem Bereich zieht, schlägt dieser Aspekt besonders in ihrer Altersstufe zu Buche. Für die Zufriedenheit sei auch der Job wichtig, so der Professor für Statistik und Ökonometrie. »Die Angst um die Arbeitsstelle, zum Beispiel im Veranstaltungsgewerbe oder in der Gastronomie, führt zu Einbußen im Glücksempfinden.«
Dass Schleswig-Holstein in punkto Lebenszufriedenheit seit Jahren an der Spitze liegt, hat laut Jensen folgenden Grund: »Die Menschen in Schleswig-Holstein haben einen gemeinsamen Genpool mit den Skandinavierinnen und Skandinaviern, die ebenfalls ein hohes Glückslevel erreichen.« Studien zufolge sind für das Wohlgefühl zu etwa 50 Prozent die Gene eines Menschen verantwortlich, 40 Prozent entfallen zur Hälfte auf die Lebensverhältnisse, also Alter, Gesundheit, Einkommen und Ähnliches, und zur Hälfte auf bewusste Aktivitäten und Einstellungen. Die restlichen zehn Prozent beziehen sich auf Tagesereignisse.
Professor Jensen ordnet sich selbst als Schleswig-Holsteiner ein, dem ein großes Maß an Gelassenheit mit in die Wiege gelegt wurde. Seine persönlichen »Glückstreiber« sind seine Familie, Freunde und Hobbys wie Tanzen oder Spaziergänge in der Natur. Dennoch ist auch sein Glücksempfinden momentan coronabedingt immer wieder getrübt: Seine Vorlesungen vor einer großen Studierendenschaft hält er zurzeit im Homeoffice ab. »Fahrtzeit fällt weg, doch mir fehlt, zur Arbeit zu radeln, mit Studierenden ins Gespräch zu kommen oder mit Kolleginnen und Kollegen einen Kaffee zu trinken.«
Autorin: Annette Göder
Fünf Glücksspender im Alltag
Zeit mit Menschen verbringen.
Die Verbindung zur Familie und zu Freunden ist wichtig fürs Wohlbefinden. Wenn die Corona-Situation Treffen in Gebäuden nur noch eingeschränkt erlaubt, können Telefonate, Video-Anrufe oder gemeinsame Spaziergänge eine Alternative sein.Natur erleben
Nicht nur mit anderen, sondern auch allein kann man Kraft aus der Natur schöpfen, sei es am Wasser, im Wald oder im Park.Bewegung
Körperliche Aktivitäten wie Radfahren, Tanzen oder Gymnastik sind glücksfördernd.Gutes tun
Ehrenamtliches Engagement ist mit dem Gefühl eines sinnvollen Tuns verbunden und zieht vielfach Anerkennung nach sich.Wachsamkeit, aber keine Panik
Es ist hilfreich, ein ausgeglichenes Verhältnis zu finden zwischen Angst vor Corona und Nachlässigkeit. Es gilt, die Corona-Regeln einzuhalten und in deren Rahmen eigene Möglichkeiten auszuschöpfen, die guttun. (göd)
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