Auf den Spuren der Dänen
Was haben die Dänen mit Indien zu tun? Dieser und anderen Fragen sind Studierende der Universität Kiel im Frühjahr vor Ort nachgegangen. Eine Exkursion des Zentrums für Asiatische und Afrikanische Studien (ZAAS) führte sie zweieinhalb Wochen lang durch den Süden Indiens.

Die Neue Jerusalemkirche der deutschen Missionare in der alten dänischen Kolonie Tranquebar von 1718.
Unzählige Menschen in farbenfroher Kleidung, ein unglaublicher Verkehr, Kühe auf den Straßen und am Strand, eine immerwährende laute Geräuschkulisse – und das alles bei 35 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit: Es ist eine komplett andere Welt, in die die 15 Bachelor- und Master-Studierenden der Fächer Geschichte, Migration und Diversität, Politik und Sprachwissenschaft im Februar 2019 eintauchten. Das Ziel der 2.000 Kilometer langen Tour, die die Gruppe von Chennai am Golf von Bengalen (einst Handelsposten der englischen Ostindien-Kompanie) durch das Hinterland und die Berge und schließlich bis nach Goa (der alten portugiesischen Kolonie) führte, war, „Kulturen und wirtschaftliche Kontakte zwischen Europa und Indien in der frühen Neuzeit (17./18. Jahrhundert)“ zu entdecken. Und dazu gehörten unter anderem eine alte dänische Festung, eine von deutschen Missionaren erbaute Kirche und der dänische Friedhof in Tranquebar, erläutert Martin Krieger, Professor für Geschichte Nordeuropas am Historischen Seminar der Kieler Universität.
Es ist faszinierend gewesen, mitten in Indien auf eine alte dänische Siedlung zu stoßen.
Vor rund vier Semestern hatte der damalige Sprecher des Zentrums für Asiatische und Afrikanische Studien eine Vorlesung über Indien und die wirtschaftlichen Verbindungen der Skandinavier in der Kolonialzeit (1620 bis 1845) dorthin gehalten. „Daraus ist die Idee der Studienreise entstanden.“ Über das ZAAS hat Krieger zusammen mit Indien-Forscher John Peterson, Professor am Institut für Skandinavistik, Frisistik und Allgemeine Sprachwissenschaft, die fächerübergreifende Exkursion realisiert.
Und die war für Lehrkräfte wie für Studierende erst einmal „eine Herausforderung“, sagt Krieger lächelnd. „Wir mussten uns anfangs an die hohe Luftfeuchtigkeit, die Menschenmassen in Chennai, der Hauptstadt des Bundesstaates Tamil Nadu, die Geräuschkulisse und an das Essen mit den Händen gewöhnen.“ Krieger spricht aber auch von einer „immensen Bereicherung“, die die Reise für alle gewesen sei. Besonders für ihn als Professor für die Geschichte Nordeuropas und seine Studierenden sei es „faszinierend gewesen, mitten in Indien auf eine alte dänische Siedlung zu stoßen“. In der Kolonialzeit hatten die Dänen in Tranquebar Handelshäuser eröffnet, deren Spuren sich vor Ort noch finden lassen. Tee, Pfeffer, Muskat und Baumwolltuch wurden nach Kopenhagen verschifft. „Spannend für uns Kielerinnen und Kieler ist, dass viele unserer Landsleute dabei waren. Denn Schleswig-Holstein gehörte zu jener Zeit zu Dänemark.“ Ihre Namen liest man auch auf den Grabsteinen der alten Friedhöfe in Tranquebar. Dort liegt die lutherische Missionskirche, die 1718 von deutschen Missionaren erbaut wurde. Sie errichteten auch Schulen und Kinderheime, die unter indischer Leitung immer noch genutzt werden.
Ebenfalls auf dem Programm der Exkursion stand der Besuch der Universität in Puducherry, wo die Gruppe sich historische Palmblatt-Schriften anschauen durfte. „Die Tamilen haben ihr gesamtes Wissen über Medizin, Geschichte, Literatur auf den Palmblättern niedergeschrieben“, erzählt Krieger fasziniert. Der Besuch einer Teefabrik war ebenfalls Bestandteil der Reise, auf der sich die Gruppe intensiv mit der Religion und Kultur des Landes auseinandersetzte. „Wir haben unter anderem hinduistische Tempel aus dem 7./8. Jahrhundert, die einfach aus dem Fels herausgehauen wurden, bis zu den Tempeln der Neuzeit erkundet“, sagt Krieger, der wie seine Studierenden immer noch beeindruckt ist von der Vielfalt des Landes, der Kultur, der Religion und den freundlichen, hilfsbereiten Menschen. „Wir alle werden wohl noch einige Zeit brauchen, um unsere Eindrücke zu verarbeiten“, sagt der Professor, der sich auf das Nachtreffen mit den Studierenden freut – und auf die nächste Exkursion. „Die wird uns auf die Spuren von Hans-Christian Andersen in den Harz führen.“ Nicht ganz so exotisch, aber mindestens genauso spannend.
Autorin: Jennifer Ruske
Das ZAAS und seine Arbeit
Das Zentrum für Asiatische und Afrikanische Studien (ZAAS) gibt es seit 1980 an der Kieler Universität. Bei dem Zentrum handelt es sich um einen Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher fachlicher Zugehörigkeit, die über Asien und Afrika arbeiten. Vertreten sind die Fächer Theologie, Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften, aber auch Jura, Wirtschaft, Geographie, Natur- und Politikwissenschaften. Ziel der Arbeit ist, die Asien- und Afrikakompetenz der Kieler Universität in Forschung und Lehre zu bündeln und zu dokumentieren. Das ZAAS versteht sich dabei als Plattform zur Stärkung des interdisziplinären Austauschs sowohl der Lehrenden als auch der Studierenden untereinander über die engen Fächergrenzen hinweg.
Zu den Aktivitäten des ZAAS zählen unter anderem jährliche Ringvorlesungen, Vorträge, die Organisation von interdisziplinären Studienfahrten, die Herausgabe einer gemeinsamen Publikationsreihe (Asien und Afrika, EB-Verlag) und die regelmäßigen Treffen des universitären „Orientkreises“ zum geistigen und fachwissenschaftlichen Austausch. Zudem bietet das ZAAS das Zertifikatsprogramm „Außereuropäische Kulturen“ an. Das Zertifikatsstudium wird von den Fächern Alte Geschichte, Mittlere und Neuere Geschichte, Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie, Klassische Archäologie, Islamwissenschaft sowie vom Chinazentrum getragen. JR
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