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Kurioser Vertrag mit historischer Wirkung

Am 3. Oktober jährt sich die Wiedervereinigung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zum 30. Mal. Der zugrundeliegende Vertrag ist kein gewöhnliches Regelungswerk.

Deutsch-Dänischer Vertrag

2+4 = Deutsche Einheit. Diese Gleichung lässt sich in erster Linie als eine politische betrachten, doch sie ist zugleich auch eine völkerrechtliche. Ohne die im Zwei-plus-Vier-Vertrag festgehaltene Einigung der beiden nach dem Krieg entstandenen deutschen Staaten mit den einstigen Besatzungsmächten wäre die am 3. Oktober 1990 vollzogene Wiedervereinigung schließlich nicht zustande gekommen.

Aus vier Besatzungszonen wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwei Staaten, die bis zu jenem Vertrag tatsächlich keine volle Souveränität genossen hatten. »Jede Entscheidung über Deutschland als Ganzes stand unter dem Vorbehalt der Alliierten«, erläutert Professorin Nele Matz-Lück vom Walter-Schücking-Institut für Internationales Recht. Und sie fügt hinzu: »Praktisch war das der einzige Punkt für einen Souveränitätsvorbehalt, in jeglichen anderen Bereichen konnten die Bundesrepublik und die DDR als Staaten genauso eigenständig agieren wie alle anderen.«

Der offiziell »Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« genannte Kontrakt ist für die Kieler Völkerrechtlerin in mancherlei Hinsicht kein gewöhnliches Regelungswerk. Einerseits markiert er zweifellos einen Meilenstein der jüngeren Weltgeschichte und zählt mittlerweile zum Weltdokumentenerbe der UNESCO. Andererseits kam er laut Matz-Lück »so unaufgeregt und reibungslos zustande, dass er letztlich nur zum kleineren Teil zur deutschen Einheit beigetragen hat.« Der größere Teil wurde demnach von der Politik geleistet, die den Weg zur Einheit »gut und lange vorbereitet hat, sodass er im Grunde nur noch rechtlich nachvollzogen werden musste«.

Ängste wegen eines womöglich zu großen und mächtigen wiedervereinigten Deutschlands hatte es zwar nach dem Mauerfall vom 9. November 1989 durchaus gegeben, doch die besonders auf britischer Seite gehegten Bedenken verloren sich schnell in der Wucht der politischen Dynamik. »Ein ganz wichtiger Punkt« war dabei aus Sicht von Nele Matz-Lück der Respekt der einstigen Alliierten vor dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Besonders das Ergebnis der letzten Wahlen zur Volkskammer der DDR im März 1990 wurde dabei als starkes Votum für die Wiedervereinigung interpretiert, verdeutlicht die Kieler Professorin. Aus der Wahl ging die »Allianz für Deutschland« als Sieger hervor.

Wie der Zwei-plus-Vier-Vertrag 30 Jahre nach der Wiedervereinigung einzuordnen ist, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. »Es ist ein sehr wichtiger Vertrag, der aber relativ wenig Komplexität aufweist«, befindet Nele Matz-Lück, die wie die Mehrheit ihrer Zunft zu der Einschätzung neigt, dass es sich faktisch um einen Friedensvertrag handelt. Auch wenn das in rechtstheoretischer Hinsicht teilweise anders gesehen wird, ist unbestritten, dass Deutschland mit diesem Vertrag seine volle Souveränität wiedererlangt hat.

Wenn auch die völkerrechtliche Regelung der Einheit unterm Strich bemerkenswert glatt lief, bedurfte es dazu durchaus einer Reihe von sehr handfesten inhaltlichen Festlegungen. Mit am wichtigsten: Die Außengrenzen, die sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik als einzelne Staaten anerkannt hatten, wurden ausdrücklich auch für das vereinigte Deutschland akzeptiert. Die Begrenzung der Bundeswehr auf eine Stärke von 370.000 Mitgliedern und ebenso der Verzicht auf atomare, biologische und chemische Waffen gelten genauso als Elemente, die der Angst vor einem aggressiven neuen Deutschland entgegenwirken sollten.

Dank all dieser Inhalte und Umstände betrachtet Nele Matz-Lück den Zwei-plus-Vier-Vertrag alles in allem als ein ausgesprochen segensreiches Dokument des Völkerrechts. Und als ein etwas kurioses obendrein: »Geschlossen wurde dieser Vertrag nur zu einem einzigen Zweck, nämlich um die völkerrechtliche Grundlage für die deutsche Einheit zu schaffen. Die war bekanntlich am 3. Oktober 1990 Realität, aber der Zwei-plus-Vier-Vertrag trat formell erst 1991 in Kraft.«

Die deutsche Einheit und das Völkerrecht sind Teil der Ringvorlesung »30 Jahre Deutsche Einheit im Spiegel des Staatsrechts«. Wegen der Corona-Pandemie mussten die Ringvorlesung und der für den 21. April geplante Vortrag von Professorin Nele Matz-Lück abgesagt werden. Die Vortragsreihe wurde auf das kommende Wintersemester 2020/21 verschoben.

Autor: Martin Geist

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