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Die Sprache der Moleküle

Moleküle, also Verbindungen von chemischen Elementen, stecken in allen sicht- oder auch unsichtbaren Dingen, die uns umgeben. Kaum bekannt ist aber: Moleküle können auch zur Datenübertragung genutzt werden und beispielsweise eine Alternative zur Funktechnik darstellen.

Röhre
© Anna-Kristina Pries, Uni Kiel

In dieser zwei Meter langen Röhre werden die Bewegungen der Moleküle gemessen.

MaMoKo oder in ganzen Worten »Makroskopische Molekulare Kommunikation« heißt das an der Technischen Fakultät der Uni Kiel angesiedelte und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt, in dem unter Regie von Professor Peter Adam Höher genau das erforscht wird. Inspirierend hat dabei die Beobachtung der Natur gewirkt. So verständigen sich Ameisen nicht akustisch, sondern mit schlichter Chemie, nämlich duftenden Molekülen. Diese Pheromone weisen den grandios organisierten Krabbeltierchen nicht nur den Weg, sondern teilen ihnen auch mit, was sie in ihrem Staat zu tun haben.

»Dasselbe Prinzip haben wir hier umgesetzt«, sagt Höher und zeigt auf eine Röhre von zwei Metern Länge und 50 Zentimetern Durchmesser. An einem Ende ist eine Schwarzlicht-Leuchte angebracht, am anderen Ende eine Sprühflasche, und irgendwo in der Mitte sitzt eine Kamera. »Das ist im Groben auch schon das Kommunikationssystem«, erläutert der Spezialist für Informations- und Codierungstheorie, der bei seinem seit Anfang 2019 und noch bis Ende 2021 laufenden Projekt von den Doktoranden Martin Damrath, Sunasheer Bhattacharjee und zeitweise von Max Schurwanz unterstützt wird.

Was in diesem System stattfindet, ist molekulare Kommunikation in luftbasierten Medien, wie es im Fachdeutsch heißt. Das bedeutet: Moleküle, die sich im Medium Luft bewegen, teilen der Umgebung etwas mit. Doch wie bringt man die Teilchen gewissermaßen zum Plaudern? Ganz nach der guten alten Kommunikationstheorie, wonach eine Nachricht gesendet, übertragen, empfangen und auf Grundlage eines gemeinsamen Alphabets verstanden werden sollte. Senderin ist in diesem Fall eine Sprühflasche, die mit fluoreszierender Flüssigkeit gefüllt und an einen Mikrocontroller, also einen kleinen Rechner, angeschlossen ist und ihre Botschaft in Form von Wassermolekülen an eine Kamera schickt. Die leitet die empfangene Nachricht schließlich an einen Decoder weiter, der ihren Sinn entschlüsselt.

Morsen mit fluoreszierenden Wassermolekülen

Damit eine derartige Kommunikation möglich ist, braucht es einen vorab definierten »Wortschatz« in Form von Sequenzen von Konzentrationsänderungen. »Das ist genauso wie beim Reisepass«, erklärt Professor Höher. »Jedes Dokument hat eine einzigartige Nummer, die weltweit nur einer einzigen Person zugeordnet ist.« Mit dem Unterschied, dass es in diesem Fall nicht um Buchstaben und Namen geht, sondern um Moleküle.

Die Sprühflasche schickt die Moleküle in unterschiedlicher Taktung in die Röhre, vergleichbar mit Morsezeichen. Aufgrund der vorab definierten Kombinationsmöglichkeiten ist es damit möglich, dass kein Signal dem anderen gleicht. Festgehalten werden die Konzentrationsänderungen von einer hochauflösenden Kamera, die laut Max Schurwanz bis zu 960 Bilder in der Sekunde schießen kann. Erleichtert wird ihr die Arbeit durch den fluoreszierenden Farbstoff, der Kontraste deutlicher macht.

Steht erst fest, in welcher Intensität und in welchem zeitlichen Verlauf die Moleküle ankommen, dann dauert es bis zur Entschlüsselung nicht mehr lange. Das Kieler Team um Höher und deutschlandweit verteilte Kolleginnen und Kollegen im MaMoKo-Projekt denkt vor allem an industrielle Bereiche, in denen der Einsatz von Funktechnik verboten oder wegen zu vieler Störfaktoren nicht möglich ist. So verfügen größere Betriebe der chemischen Industrie über viele Kilometer lange Rohrnetze, die auch mal ein Leck aufweisen können. Jeder Röhre könnte eine andere Sequenz zugeordnet werden. Dank der kommunizierenden Moleküle könnte dann mithilfe von in der Umgebung verteilten Kameras auf recht einfache Weise die schadhafte Röhre gefunden werden, weil es jede Kombinationsmöglichkeit nur einmal gibt.

»Das Verfahren funktioniert prinzipiell«, betont Sunasheer Bhattacharjee, der sich vor allem mit den mathematischen Aspekten des Projekts sowie dem Versuchsaufbau beschäftigt. Zugleich aber ist er sich mit den anderen Beteiligten einig, dass in der molekularen Kommunikation, die erst seit gut zehn Jahren ein Thema in der Wissenschaft ist, noch viel Potenzial zur Optimierung steckt.

Virusausbreitung besser verstehen

Ein konkretes Ziel hat die Kieler Gruppe bereits erreicht, auch wenn das anfangs nicht eingeplant war: Sowohl der Messaufbau als auch die dahinterstehende mathematische Modellierung konnten erfolgreich darauf angewandt werden, die Ausbreitung von luftübertragenen Infektionskrankheiten wie beispielsweise COVID-19 nachzuvollziehen. Die Sprühflasche entspricht dabei eins zu eins einer infizierten Person, die mit jedem Atemzug und insbesondere jedem Husten oder Niesen Moleküle freisetzt. Bei künstlich angeregten Hustenreizen mit freiwilligen und selbstverständlich nicht mit Corona infizierten Testpersonen wurde die Verteilung und Reichweite von Aerosolen mit und ohne Maske verglichen. Ergebnis: Größere Partikel werden pro Hustenstoß bis zu drei Meter weit herausgeschleudert. Kleinere Schwebeteilchen hingegen können sich je nach äußeren Einflüssen weit im Raum verteilen und über lange Zeit in der Luft verweilen, ähnlich wie Zigarettenrauch. Mit medizinischen Schutzmasken ist hingegen kaum etwas nachweisbar.

Autor: Martin Geist

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