Rechtsberatung: Das Fallstudium

Nebenkostenabrechnung, Gewährleistungsansprüche, Verbraucherfragen – bei der Studentischen Rechtsberatung e.V. an der Uni Kiel erhalten Hilfesuchende kostenlos Rat. Jurastudierende gewinnen dabei wertvolle Einblicke in die Praxisarbeit.

Drei Personen sitzen an einem Tisch und diskutieren.
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Die Studierenden Lennart Lehmann (links) und Lena Weisphal (rechts) engagieren sich in der Studentischen Rechtsberatung. Rechtswissenschaftlerin Susanne Lilian Gössl (Mitte) unterstützt das ehrenamtliche Projekt.

Die Idee kam dem heutigen Vorsitzenden Michel Seer im Laufe seines Studiums: »Wir lesen Fälle in Büchern, bearbeiten fiktive Fälle, aber die Arbeitspraxis fehlt«, sagt der angehende Rechtswissenschaftler. Deshalb gründete er Anfang 2020 die Studentische Rechtsberatung e.V. an der CAU. Der Verein soll es Studierenden ermöglichen, das bereits Gelernte in die rechtswissenschaftliche Praxis umzusetzen. Erfahrungen, die schon jetzt auf die spätere Arbeitswelt vorbereiten: »Es kommt bei potenziellen Arbeitgebern natürlich gut an, wenn man sich ehrenamtlich engagiert«, sagt Seer, aber vor allem helfe es enorm, schon während des Studiums echte Fälle zu bearbeiten. »Sich zu fragen: Wonach muss ich selektieren? Wie gehe ich da ran? Wie gestalte ich eine reale Rechtsanwendung?«

Das bestätigt auch Professorin Susanne Gössl, die an der Kieler Universität die Professur für Bürgerliches Recht und die Digitalisierung im deutschen, ausländischen und internationalen Privatrecht innehat. Sie unterstützt das Vereinsengagement seitens der Fakultät. »Ich fand das eine großartige Initiative. Gerade im Jurastudium gibt es die Tendenz, dass Studierende sich ausschließlich auf das Studium konzentrieren«, betont die Rechtswissenschaftlerin. Sie steht dem Team auf fachlicher wie persönlicher Ebene zur Seite. »Ich berate selber nicht, aber helfe, wenn es im Hintergrund juristische Fragen gibt. Was ich – und andere Kolleginnen und Kollegen – aber vor allem machen, ist, Workshops anzubieten und Fachleute aus der Praxis zu vermitteln.«

Workshops zu Themen wie Datenschutzrecht, Legal Technology, Mandantengespräche und -kommunikation schulen die Nachwuchsjuristinnen und -juristen regelmäßig für ihre ehrenamtliche Arbeit. Die kann als sogenannter Schlüsselqualifikationsschein auch auf das Studium einzahlen. Denn aus didaktischer Perspektive hat das Engagement einen großen Mehrwert, erklärt Susanne Gössl: »Hier steht eine Eigenverantwortung hinter dem Fall, da sind wirklich Emotionen dabei. Im Jurastudium wird abstrakt vermittelt, wie ein Fall funktioniert, aber wie das Prozedere und die Mechanismen funktionieren, lässt sich nur real erleben. Wenn man einmal selbst ein Schreiben verfasst, eine entsprechende Antwort erhält – das ist aus pädagogischer Sicht kaum besser beizubringen.«

Wie läuft die Rechtsberatung ab?

Wenn ein neuer Fall an die Studentische Rechtsberatung herangetragen wird, prüft zunächst der Vorstand, ob die nötigen Kriterien erfüllt werden: Ausgenommen sind Fälle, die aus dem Strafrecht oder dem Asylrecht stammen, und der Streitwert muss unter 1.000 Euro liegen. »Wir möchten nicht, dass Mitglieder, die beispielsweise im ersten Semester sind, direkt mit schwerwiegenden Anfragen konfrontiert werden. Da geht es vielleicht um eine Freiheitsstrafe – das ist ein starkes Thema. Außerdem geht es um Haftungsfragen. Wir wollen nicht mit Angst und Nervosität an die Sache herangehen, sondern konstruktiv«, erklärt Gründer Michel Seer. Anschließend werden die Themen an Arbeitsgruppen verteilt. Es gibt inzwischen rund 40 Junior- und Seniorberaterinnen und -berater. Letztere haben bereits das Grundstudium bestanden, die juristischen Kenntnisse sind gefestigt. Die Gutachten, die die Studierenden so erstellen, werden von externen Volljuristinnen oder -juristen geprüft, bevor es zurück an die Mandantinnen und Mandanten geht. Besonders hoch im Kurs stehen Themen aus dem Mietrecht, dem Vertrags- und Verbraucherrecht sowie dem Öffentlichen Recht.

Ob das Modell Potenzial hat, fester Bestandteil des Jurastudiums zu werden? »Unter Ausbildungsgesichtspunkten wäre es sicher gut, wenn solche Praxisformate stärker ins Studium integriert werden«, meint Susanne Gössl. Studierende müssten zwar Praktika bei Kanzleien, Gerichten und in der Verwaltung absolvieren. »Es wäre aber schöner, wenn das Arbeiten in der Praxis kontinuierlich vermittelt würde«, so die Professorin. Dem stehe jedoch entgegen, dass das Ausbildungssystem auf das Staatsexamen ausgerichtet ist und sich in einem engen Rahmen bewegt. »Unter den jetzigen Voraussetzungen würde ich den Studierenden ungern noch mehr aufzwingen, weil sie ohnehin unter Druck stehen und viel Stoff bewältigen müssen«, sagt die Rechtswissenschaftlerin, »aber es wäre wünschenswert, das gesamte System einmal zu überdenken.«

Autorin: Anna-Kristina Pries

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