Überlebensvorteil durch Flexibilität

Liebesleben und Brutverhalten von Fischen hängen vom Salz- und Sauerstoffgehalt des Wassers, der Wassertemperatur und anderen Umweltbedingungen ab. Die Arbeitsgruppe Küstenökologie der Uni Kiel erforscht die Zusammenhänge.

Zwei Strandgundeln unter Wasser
© Isabel Mück, FTZ Büsum

Ein Strandgrundelpaar (Pomatoschistus microps) schaut aus dem Nest. Normalerweise nutzen Grundeln dafür Muschelschalen, für standardisierte Experimente werden kleine Kacheln im Freiland ausgebracht.

Die Fische, denen Dr. Katja Heubel besonders zugewandt ist, sind Grundeln. Diese kleinen bodenlebenden Tiere sind die häufigste Fischart im Wattenmeer und auch sonst sehr weit verbreitet. Für die kommerzielle Fischerei sind Grundeln völlig unwichtig, für andere Fische allerdings eine der Hauptnahrungsquellen. »Die Grundel ist der Brot- und Butterfisch für viele andere Fische und zum Beispiel auch für den Schweinswal«, sagt die Leiterin der Arbeitsgruppe Küstenökologie am Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ) in Büsum. Sie hat die unscheinbaren Fischchen, speziell die Strandgrundeln, für ihre Forschung entdeckt, da sich an ihnen sehr gut untersuchen lässt, wie Organismen auf variable Umweltbedingungen reagieren. »Strandgrundeln kommen mit extremen Lebensräumen zurecht und tolerieren auch niedrige Salz- und Sauerstoffgehalte und Temperaturschwankungen«, erklärt Heubel, die seit 2019 den meereswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science (KMS) an der Uni Kiel verstärkt.

Für die Forschenden ist es außerdem von Vorteil, dass Grundeln nur ein Jahr leben. »Das heißt, mit Experimenten über eine Brutsaison hinweg kann man den Reproduktionserfolg der gesamten Lebenszeit überblicken.« Und auch sonst sind die kleinen Fische ein interessantes Forschungsobjekt: Denn bei den Grundeln ist die Brutfürsorge ausschließlich Aufgabe des Männchens. Erst baut es die »Nester«, in die das Weibchen die Eier ablegt. Anschließend kümmert es sich darum, dass es dem Nachwuchs an nichts mangelt. Heubel: »Die Männchen verteidigen das Nest gegen Eiräuber und fächeln ständig mit den Brustflossen, um die Eier mit ausreichend sauerstoffreichem Wasser zu versorgen.« Wie lange es dauert, bis die Nachkommen schlüpfen, hängt von der Wassertemperatur ab, wie die Wissenschaftlerin bei Untersuchungen in Finnland festgestellt hat. Wenn das Wasser sehr kalt ist, dauert ein Brutfürsorgezyklus länger als bei wärmerem Wasser. Es dauert also länger, bis ein Männchen wieder ein neues Weibchen in sein Nest einladen und ein neues Gelege bekommen kann. Je wärmer das Wasser wird, desto kürzer sind die Zyklen und desto mehr Fortpflanzungszyklen gibt es in einer Saison.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Brutfürsorge ist der Salzgehalt. Die Anfälligkeit für Pilzinfektionen steigt bei sinkendem Salzgehalt. »Die Brutfürsorge ist dann sehr aufwändig. Die Männchen müssen mehr frisches Wasser heranfächeln und fressen bei Pilzbefall die betroffenen Eier raus. Mit diesen Hygienemaßnahmen stellen sie sicher, dass der Rest der Brut nicht infiziert wird. Allerdings gibt es bei niedrigerem Salzgehalt auch weniger Prädatoren (Räuber), die sie angreifen und die Brut wegfressen können«, erläutert Heubel.

Schwankungen des Salzgehaltes und der Temperatur werden in Folge des Klimawandels zunehmend bedeutsam sein. Daher sei es wichtig zu ergründen, wie sich die Fische daran anpassen und was das für den Fortpflanzungserfolg bedeutet. Heubel: »Unser Schwerpunkt hier am FTZ ist die Wattenmeerökologie. Bisher hatte man bei den Forschungen vor allem Meeressäuger oder Vögel im Fokus. Welche Rolle die kleinen Fische spielen, ist kaum bekannt.« Diese Fragen werden jetzt in Kooperation mit der Nationalparkverwaltung Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer im EU-Projekt »FishNet Nahrungsnetze in den Küstengewässern Schleswig-Holsteins mit Fokus auf Fischen« untersucht, gefördert durch den Meeres- und Fischereifond. Heubels Arbeitsgruppe ist an diesem Projekt beteiligt und konzentriert sich insbesondere auf Fische und Benthosorganismen, also Lebewesen wie Würmer und Krebse, die in der Bodenzone eines Gewässers leben. Erfasst wird, welche Organismen im Wattenmeer leben, welche Biomasse sie haben und wie sie in der Nahrungskette mit den Fischen verknüpft sind.

Autorin: Kerstin Nees

Frau mit rotem Helm betrachtet Probe.
© F. Balzereit, Uni Kiel/KMS

Die Biologin Katja Heubel leitet die Arbeitsgruppe Küstenökologie am FTZ in Büsum.

Über Kiel Marine Science (KMS)

Kiel Marine Science (KMS) ist das Zentrum für interdisziplinäre Meereswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). KMS bildet die organisatorische Einheit für alle natur-, geistes- und sozialwissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher, die sich mit den Meeren, Küsten und den Einfluss auf die Menschheit beschäftigen. Die Expertise der Gruppen kommt beispielsweise aus den Bereichen der Klimaforschung, der Küstenforschung, der Physikalischen Chemie, der Botanik, aus der Mikrobiologie, der Mathematik, der Informatik, der Ökonomie oder aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Insgesamt umfasst KMS über 70 Arbeitsgruppen an sieben Fakultäten und aus über 26 Instituten. Gemeinsam mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft arbeiten sie weltweit und transdisziplinär an Lösungen für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans.

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