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Forschung für nachhaltige Welternährung

Technische Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft reichen nicht aus. Sie müssen auch politisch umsetzbar sein. Die Kommunikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihre Umsetzung ist ein wichtiges Anliegen im Graduiertenprogramm »Dritte Wege der Welternährung«.

Markt in Senegal
© Institut für Agrarökonomie, Uni Kiel

Markttreiben in einem Vorort von Dakar, Senegal. Das westafrikanische Land ist ­Partner im Projekt. Um die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit Lebensmitteln zu sichern, sind gut geplante Investitionen in die Landwirtschaft nötig.

Die Herausforderungen, vor denen die zukünftige Landwirtschaft steht, bezeichnet der Dekan der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät, Professor Christian Henning, als »fundamentales Dilemma«. Einerseits ist eine nachhaltige Landnutzung das Gebot der Stunde, um natürliche Ressourcen zu schonen, die Artenvielfalt zu erhalten und den Klimawandel zu bremsen. Andererseits sind effiziente Produktionsverfahren notwendig, um ausreichend Nahrungsmittel für die wachsende Weltbevölkerung zu erzeugen. Zwischen zwei Polen – dem Ökolandbau auf der einen Seite und der Intensivbewirtschaftung auf der anderen – gilt es, vernünftige Kompromisse zu finden. Wie diese aussehen könnten, untersucht das Forschungsprogramm »Dritte Wege der Welternährung« mit interdisziplinärem Ansatz. Beteiligt sind die Agrarwissenschaft (Abteilung Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau, Leitung: Professor Friedhelm Taube), die Agrarökonomie (Abteilung Agrarpolitik, Leitung: Professor Christian Henning) und die Philosophie (Abteilung Philosophie und Ethik der Umwelt, Leitung: Professor Konrad Ott). Projektpartner und Förderer ist das Evangelische Studienwerk e.V. Villigst. Insgesamt 20 Promotionsvorhaben wurden und werden innerhalb des Schwerpunkts unterstützt.

Dritte Wege deshalb, weil es kein Patentrezept geben wird, das für alle Situationen und alle Regionen der Erde passt. Letztlich ist es immer ein Abwägen, Henning spricht von Trade-offs, in die auch ethische Bewertungen einfließen müssen. »Wir werden es nicht schaffen, jeden Käfer, jeden Baum und jeden Menschen zu retten. Selbst wenn wir gute technische Lösungen finden, wird dieses Problem bleiben.« Daher gehe es in dem Programm auch darum, einen ethischen Bewertungsrahmen zu entwerfen, der die Wahl zwischen verschiedenen Strategien ermöglicht.

Rein technisch stellt sich die Frage, wie zu möglichst geringen ökologischen Kosten möglichst viele gute Lebensmittel erzeugt werden können. Und dafür gibt es in Europa andere Lösungen als etwa in Afrika. Henning: »Uns interessieren einmal die technischen Möglichkeiten, also, wie kann man die Produktionsweise ändern, um negative Auswirkungen auf Umweltgüter zu vermeiden, und gleichzeitig den Ertrag steigern.« Dafür gebe es bereits gute Ansätze. So konnte gezeigt werden, dass auch eine ertragreiche Milchwirtschaft mit guter CO2-Bilanz und geringen Nährstoffausträgen möglich ist. »Aber technische Lösungen allein reichen nicht aus«, betont der Professor für Agrarpolitik. »Sie müssen auch politisch umsetzbar sein. Die Frage ist, wie schaffen wir es, vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft zu kommunizieren. Gerade nachhaltige Ressorucennutzung – sei es auf dem Land oder zu Wasser – kann durch den Markt allein nicht garantiert werden. Es gilt, politische Rahmenbedigungen zu setzen, die Anreize für die Wirtschaftsakteure schaffen nachhaltige Technologien zu implementieren.«

So lange Menschen glauben, dass es keinen Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Erderwärmung gibt, werden konsequente Klimapolitiken nicht das Ergebnis realer gesellschaftspolitischer Prozesse sein.

Christian Henning

Ein wichtiges Werkzeug hierbei sind Computational Political Economy Models. Das sind ökologisch-ökonomische Verbundmodelle, die direkt mit mathematischen Politikmodellen zur Abbildung wirtschaftspolitischer Entscheidungen integriert werden. Mit diesen Modellen lässt sich einerseits simulieren, was real passieren würde, wenn bestimmte Politikprogramme, sei es die Regulierung der CO2-Emissionen oder Investitionen in Bildung oder Infrastruktur, umgesetzt werden. Andererseits können diese Modelle die von Bürgerinnen und Bürgern sowie Stakeholdern erwarteten Politikeffekte nachzeichnen.

Laien haben dabei mitunter einfache Überzeugungen (politische Beliefs), die sich wissenschaftlich nicht halten lassen. Die Auffassung, ökologischer Landbau sei für alles gut, ist laut Christian Henning ein typisches Beispiel für eine solche Überzeugung. »Wenn ich als Politikerin oder Politiker von Menschen gewählt werde, die glauben, dass ökologischer Landbau die Lösung aller Probleme ist und selbst Probleme von Entwicklungsländern löst, dann muss ich, wenn ich wiedergewählt werden will, diese Politik anbieten.« Dies führe zu Politikversagen, da reale Politikentscheidungen durch politische Beliefs bestimmt würden.

»So lange Menschen glauben, dass es keinen Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Erderwärmung gibt, werden konsequente Klimapolitiken nicht das Ergebnis realer gesellschaftspolitischer Prozesse sein.« Da Bürgerinnen und Bürger als wissenschaftliche Laien oft stark verzerrte Politikvorstellungen haben, kann dies paradoxerweise zu einem umso stärkeren Politikversagen führen, je funktionsfähiger eine Demokratie ist, also je stärker Regierungspolitik den Wählerwillen umsetzt.

Die Integration von wissenschaftlichen Erkenntnissen ist für ihn eine wichtige Vorausetzung zur Vermeidung von fundamentalem Politikversagen gerade in funktionsfähigen Demokratien. Henning: »Es geht darum, innovative transdisziplinäre Politikprozesse zu entwickeln, die ein interaktives Lernen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen.« Solche Prozesse werden in der Graduiertenschule in interaktiven Stakeholder-Workshops und anhand von politischen Experimenten entwickelt und getestet.

Autorin: Kerstin Nees

 

Weitere Informationen: www.feeding-the-world.de

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