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Große Forscher und Forscherinnen von der Förde:

Ferdinand Tönnies


Der Begründer der deutschen Soziologie lehrte vor und nach dem ersten Weltkrieg als Professor an der Kieler Universität.


"Wenn er nicht Wissenschaftler geworden wäre, wäre er als Publizist ein mindestens ebenso bedeutender Mann gewesen." Davon ist Dr. Cornelius Bickel vom Institut für Soziologie überzeugt. Ferdinand Tönnies ist aber Wissenschaftler geworden. Heute erinnern das Studentenwohnheim in der Freiligrathstrasse 11 und die "Ferdinand Tönnies-Gesellschaft" an den ersten deutschen Soziologen.

Tönnies wurde am 26. Juli 1855 auf dem Haubarg 'Die Riep' bei Oldenswort auf der Eiderstedt-Halbinsel geboren. Sein Vater war ein sehr vermögender Großbauer. In die Fußstapfen seines Vaters wollte Tönnies aber nicht treten, vielmehr reizte ihn die Wissenschaft. Durch seinen Schulkameraden, Hans Storm, lernte der junge Ferdinand den Schriftsteller Theodor Storm kennen. "Ferdinand Tönnies und Theodor Storm, das war fast wie eine lebenslange Vater-Sohn-Beziehung", berichtet Bickel. Im Alter von 16 Jahren machte Tönnies sein Abitur. Anschließend studierte er Philologie, Archäologie, Geschichte und Philosophie in Jena, Leipzig, Bonn, Berlin und Tübingen. Mit 22 Jahren promovierte er im Fach Alte Philologie in Tübingen. 1881, 26-jährig, habilitierte er sich an der Universität Kiel. Daneben war der junge Gelehrte auch als Autor sehr aktiv. Unter dem Pseudonym "Normannus" schrieb er für diverse Zeitungen, unter anderem für die monatlich erscheinende Zeitschrift 'Das freie Wort'.

Als Kritiker des Wilhelminischen Obrigkeitsstaat und großer Anhänger und Verfechter der Arbeiterbewegung konnte Ferdinand Tönnies lange Zeit in der Wissenschaft nur schlecht Fuß fassen. Erst 1909, im Alter von 54 Jahren, erhielt Ferdinand Tönnies eine außerordentliche Professur, 1913 den Lehrstuhl für "wirtschaftliche Staatswissenschaften" an der Universität Kiel. 1916 wurde er auf eigenen Wunsch emeritiert. Die Gründe dafür kennt man bis heute nicht. 1921 erhielt er einen Lehrauftrag für Soziologie in Kiel. Bickel: "Eigentlich hat Tönnies die Kieler Universität nie wieder verlassen. Zu stark war er mit ihr, aber auch mit der nordischen Umgebung und den Traditionen verwurzelt, so dass er bis zu seinem Tod im Norden blieb."

Tönnies war führender Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und deren einziger Präsident bis 1933. Unterstützt vom preußischen Kultusminister baute er die Soziologie als Lehrfach in Deutschland von Kiel aus auf. "..., zu der Zeit, war Tönnies das Synonym für Soziologie in Deutschland", betont der Kieler Soziologe. Er erhielt die juristische Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg; Bonn verlieh ihm 1927 den Dr. rer. pol. h.c. Als Mitglied zahlreicher internationaler soziologischer Gesellschaften und Institute erfuhr Tönnies große Wertschätzung. Seine öffentliche Kritik an Adolf Hitler und dem Nationalsozialismus führte 1933 zu seiner Entlassung aus dem Beamtenstand. Seine Pension wurde auf Existenzminimum gekürzt und jegliche Möglichkeit zum Publizieren eingestellt. Isoliert in seinem Kieler Haus im Niemannsweg 61 starb Ferdinand Tönnies am 9. April 1936 im Alter von 80 Jahren.

Kerstin Nees



Gemeinschaft und Gesellschaft


In verschiedenen Werken, aber insbesondere durch sein Erstlingswerk »Gemeinschaft und Gesellschaft«, erschienen 1887, formulierte Tönnies die Grundlagen der Soziologie als Wissenschaft. So trennte er etwa die allgemeine von der speziellen Soziologie, letztere unterteilte er nochmals in eine reine, angewandte und empirische Soziologie.

Zunächst wenig beachtet wurde ab der zweiten Auflage 1912 »Gemeinschaft und Gesellschaft« zum Standardwerk der neuen Disziplin. Tönnies entwickelt die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft als Grundkategorien der reinen Soziologie. In der Gemeinschaft bündeln sich menschliche Beziehungen um ihrer selbst willen (Familie, Nachbarschaft, Freundschaftsbeziehungen). Sie sind geprägt durch Zusammengehörigkeit und Solidarität, gegründet auf den so genannten Wesenswillen. Diesen Prozessen steht die Gesellschaft gegenüber, geprägt durch die Trennung von Zweck und Mittel, beruhend auf Kalkül und Rationalität und letztlich bezogen auf Interesse wie Nutzen des Individuums.

In seinem Spätwerk »Geist der Neuzeit« (1935, 2. Aufl. 1998 im Rahmen der kritischen Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe) wandte Tönnies diese Begriffe an und folgerte, dass man im (europäischen) Mittelalter Kollektive vorwiegend als Gemeinschaft verstanden habe, dass sich dies aber mit der Neuzeit zu Gunsten der Anschauung gewandelt habe, alle Kollektive eher als Gesellschaft zu verstehen.

Buchtipp zum Thema: Carstens, Uwe: Ferdinand Tönnies. Friese und Weltbürger. Eine Biografie. Norderstedt 2005

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