
Große Forscher und Forscherinnen von der Förde:
Albrecht Unsöld
Astrophysiker, legte Grundlagen zur Bestimmung der physikalischen Bedingungen in Sternatmosphären, 1932 bis 1973 Professor und Direktor des Instituts für Theoretische Physik in Kiel

Albrecht Unsöld
(1905 - 1995)
Albrecht Otto Johannes Unsöld wurde am 20. April 1905 in Bolheim (Württemberg) als schwäbischer Pfarrerssohn geboren. Schon als Vierzehnjähriger las er das damalige Standardwerk der neuen Atomphysik ›Atombau und Spektrallinien‹ und korrespondierte mit dessen berühmtem Autor Arnold Sommerfeld (1868–1951), zu dem er, sobald er konnte, nach dem Abitur in Heidenheim und Anfangsstudium in Tübingen nach München wechselte. Er hörte Sommerfelds Vorlesungen, nahm auch gleich an dessen Seminar teil und wurde bereits 1927, mit 21 Jahren, mit der Arbeit ›Beiträge zur Quantenmechanik der Atome‹ promoviert. Gerade hatte man sich im Sommerfeld'schen Institut mit der neuen Wellenmechanik Schrödingers und der gleichzeitigen Quantenmechanik Heisenbergs beschäftigt, und so war Unsölds Doktorarbeit auf diesem Gebiet entstanden. Sommerfeld billigte sein Interesse an der Anwendung der neuen Quantentheorie auf die Deutung von Spektrallinien der Sonne und verschaffte ihm ein Stipendium der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft für Beobachtungen am Einstein-Sonnenturm in Potsdam und anschließend ein Stipendium als Fellow des International Education Board (der Rockefellerstiftung) für Beobachtungen am Mount Wilson in Pasadena (Kalifornien). Dort war mit dem seinerzeit größten (100 inch) Spiegelteleskop ein Mekka der Astronomen, die von Unsölds Fähigkeiten so begeistert waren, dass sie ihm eine Dauerstelle anboten, die er aber ablehnte, um sich in München zu habilitieren. Auf der Rückreise besuchte er die astronomischen Zentren in Chicago (Yerkes Sternwarte) und Harvard/Mass., wo er Vorträge hielt und die führenden amerikanischen Astrophysiker, z. B. Harlow Shapley (1885–1972), persönlich kennenlernte. Er machte auch in Cambridge (England) Station, wo er bei dem berühmten Artur Stanley Eddington (1882–1944) zum Tee und Dinner eingeladen wurde. Unsöld nahm diese Wertschätzungen zum Anlass, in einem Brief an Sommerfeld Vorschläge zur Förderung der Astrophysik in Deutschland zu unterbreiten, u.a. für die Gründung einer Südsternwarte und eines astrophysikalischen Instituts zu plädieren – Pläne, die jedoch erst dreißig Jahre später verwirklicht wurden.
Seine Habilitationsschrift ›Über die Balmer-Serie des Wasserstoffs im Sonnenspektrum‹ fasste das Ergebnis seiner Beobachtungen und seiner Überlegungen zur Theorie der Linienentstehung zusammen, die er in den kommenden Jahren konsequent unter Berücksichtigung des Strahlungstransports und quantenmechanischer Linienverbreiterung durch Strahlungs- und Stoßdämpfung und elektrische Felder (Starkeffekte) ausbaute. So konnte das Endziel, die quantitative Analyse von Sternspektren, vor allem die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung und der Elementhäufigkeiten in Sternatmosphären, weiter verfolgt werden. Seit Mai 1930 arbeitete er in Hamburg als Privatdozent und Assistent am Institut für Theoretische Physik, wobei er sich mit Walter Baade (1893–1960) anfreundete, der aber 1932 auf eine Dauerstelle zum Mount Wilson ging und der hervorragenden Beobachtungsbedingungen wegen auch dort blieb, als ihm 1938 die Nachfolge des Hamburger Sternwartendirektors Richard Schorr (1867–1949) angeboten wurde.
Unsöld folgte mit 26 Jahren 1932 als Nachfolger von Professor Walther Kossel (1888–1956) gern dem Ruf auf den Lehrstuhl für Theoretische Physik an die Christian-Albrechts-Universität nach Kiel. Die ersten Jahre der folgenden NSZeit verbrachte er mit intensiver Vorlesungstätigkeit in der Theoretischen Physik und mit der Ausarbeitung seines Buches ›Physik der Sternatmosphären (mit besonderer Berücksichtigung der Sonne)‹. Das 500 Seiten starke Werk hatte Dr. Liselotte Kühnert, die er 1934 heiratete, vollständig niedergeschrieben; es erschien 1938 im Springer-Verlag. Im Vorwort wird die kritische und beratende Mitwirkung von Dr. Walter Lochte-Holtgreven (1903–1987), der später den Lehrstuhl für Experimentalphysik erhielt, sowie die Mithilfe von Dr. Gerd Burkhardt (1911–1969), der nach dem Kriege sein Assistent wurde, erwähnt.
Kurz vor Ausbruch des Krieges, 1939, folgte Unsöld einer Einladung auf eine Gastprofessur nach Chicago, von wo ihn Otto Struve (1897–1963) zur Einweihung des McDonald-Teleskops nach Texas mitnahm. Er erlaubte ihm, mit dem neuen Teleskop einige Spektren sehr hoher Auflösung aufzunehmen, die Unsöld nach Deutschland zurückbrachte und die ihm für die kommenden Jahre Arbeitsmaterial verschafften.
So konnte er neben seinem Kriegsdienst als Meteorologe eine gründliche Analyse eines heißen Sternes (B0 Tau Scorpii) durchführen und in vier Teilen in der Zeitschrift für Astrophysik publizieren. Nach dem Kriege weltweit verbreitet, diente diese als Muster zukünftiger Arbeiten. Als der Bombenkrieg auch die Kieler Sternwarte, die schon seit 1938 geschlossen war, zerstörte, gelang es Unsöld, die wertvolle astronomische Bibliothek – die auf Hans Christian Schumachers (1780–1850) Altonaer Sternwarte (um 1800) zurückging – mit requirierten Lastwagen nach Kappeln auszulagern. Nach Zerstörung von Wohnung und Institut kam Unsöld in Schloss Bredeneek bei Dr. Werner Kroebel (1904– 2001), der später den Lehrstuhl für Angewandte Physik innehatte, unter, während die Familie in Schönberg wohnte. Im Sommer 1945 setzten die Engländer den politisch Unbelasteten als Dekan der Philosophischen Fakultät ein, als der er – in einer Baracke der Hospitalstraße – Kriegsheimkehrern weiterhalf und die Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebs zum Wintersemester 1945/46 (z.T. auf Schiffen) vorbereitete, bevor die Universität in der ELAC (Elektroakustik) am Westring eine neue Heimat fand. Unsöld konnte dort eine Etage beziehen, in der er mit der zurückgebrachten alten Astronomischen Bibliothek das »Institut für Theoretische Physik und Sternwarte« einrichtete. Unter dieser Adresse, an der Unsöld bis zu seiner Emeritierung festhielt, obgleich die Theoretische Physik in den sechziger Jahren ein eigenes Institut bezog und die Astrophysik und Astronomie einen zweiten Lehrstuhl erhielt, wurde die Kieler Astrophysik weltbekannt. Jahre fruchtbarer Zusammenarbeit mit Schülerinnen (Annemarie Rosa, Erika Vitense) und Schülern, meist Heimkehrern (Dietrich Labs, Hans-Heinrich Voigt, Karl-Heinz Böhm, Kurt Hunger, Max Reichel, Gerhard Traving, Volker Weidemann), und auch eigene Arbeiten machten eine Revision und Neuauflage der ›Physik der Sternatmosphären‹ (1955) nötig und möglich. Weitere Schüler (Ludwig Oster, Hartmut Holweger, Bodo Baschek, Wilhelm H. Kegel, Dieter Reimers, Thomas Gehren) folgten im nächsten Jahrzehnt, die fast alle durch Forschungsaufenthalte in den USA und spätere Professuren für die Weiterverbreiterung der »Kieler Schule« sorgten. Die Festschrift zu Unsölds 70. Geburtstag ›Problems in Stellar Atmospheres and Envelopes‹ gibt davon Zeugnis.
Unsöld hatte inzwischen auswärtige Rufe nach Tübingen und München – nicht zuletzt wegen der engen Zusammenarbeit mit Walter Lochte-Holtgreven und seinen Plasmaphysikern in Kiel – abgelehnt und zahlreiche Ehrungen empfangen (Goldmedaille der Royal Astronomical Society 1956, Bruce Gold Medal der Astronomical Society of the Pacific 1957, Ehrendoktorwürden Utrecht 1961, Edinburgh 1970, München 1972).
1945–57 war er Mitglied des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er setzte sich sofort für die Wiederaufnahme der internationalen Verbindungen, vor allem nach den USA, aber auch nach England und Holland ein und erfüllte damit die Hoffnung, die sein alter Lehrer Sommerfeld auf einer Karte 1947 so formuliert hatte: »Lieber Unsöld! Nur ein kurzer aber sehr aufrichtiger Dank für Ihr treues Gedenken und Ihre mir stets erhaltene Anhänglichkeit. Sie sind einer der Pfosten, an denen sich die internationale Geltung Deutschlands wieder aufrichten soll...«
In Kiel erreichte er, dass vor der Landesbank ein Gedenkstein für den dort vor 100 Jahren geborenen Max Planck errichtet wurde. In der Rede zur Enthüllung des Denkmals am 23. April 1958 zitiert Unsöld Planck, den er noch 1944 nach einem Vortrag im Institut für Weltwirtschaft durch die zertrümmerte Stadt zum Hotel gebracht hatte: »Ach, wie freue ich mich, mein liebes Kiel noch einmal zu sehen« (abgedruckt in ›Sterne und Menschen‹ wie auch Unsölds Rede bei der Übernahme des Rektorats 1958/59, ›Physik und Historie‹). Diese wurde berühmt durch seine erkenntnistheoretische Feststellung: »Die Wissenschaft ist eine Wissenschaft von Menschen und für Menschen und nichts weiter«.
In den folgenden Jahren bemühte sich Unsöld, die Ergebnisse seiner Forschung bezüglich der ziemlich einheitlichen kosmischen Elementhäufigkeiten aus der Entwicklung der Sterne und Galaxien zu verstehen und setzte sich mit den neueren Hypothesen dazu auseinander. In zahlreichen Vorträgen, z.B. bei der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, spürte er die Notwendigkeit, interessierten Kollegen und Laien die Grundlagen der Astrophysik verständlicher zu machen und schrieb zu diesem Zweck das Buch ›Der neue Kosmos‹, das zuerst 1967 erschien. In Übersetzungen ins Spanische, Englische und Japanische und in weiteren Auflagen, seit 1981 zusammen mit Bodo Baschek in Heidelberg, wurde es weltweit verbreitet und gilt bis heute als Standardlehrbuch. 1973 erhielt Unsöld die Cothenius-Goldmedaille der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle für ein herausragendes Lebenswerk. Die Anregungen, die er u.a. bei den Leopoldina-Tagungen erhielt, brachten ihn schließlich zur Veröffentlichung eines zusammenfassenden letzten Buches ›Evolution kosmischer, biologischer und geistiger Strukturen‹ (1981), in dem auch seine persönliche Sicht eines im Gesamt eingeordneten Menschseins zum Ausdruck gebracht wird.
In den Jahren als Emeritus betätigte er sich viel als Aquarellmaler. Er starb neunzigjährig am 23. September 1995.
Unsöld stellte an sich und seine Schüler hohe Anforderungen, kümmerte sich aber persönlich um sie und nahm warmherzigen Anteil an ihren Schicksalen. Von 1947 bis 1968 sorgte er als Herausgeber der ›Zeitschrift für Astrophysik‹ für ein hohes Niveau der Veröffentlichungen und erneutes internationales Ansehen – auch der deutschen Sprache, in der zu publizieren er seine Schüler anhielt. Die Astronomische Gesellschaft, deren erstes Ehrenmitglied er war, gedachte seines 100. Geburtstages bei ihrer Herbsttagung in Köln 2005.
Prof. Dr. Volker Weidemann
Institut für Theoretische Physik und Astrophysik
Erstveröffentlicht in: Christiana Albertina, Forschungen und Berichte aus der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Ausgabe 62
Wichtige Werke Albrecht Unsölds
- Physik der Sternatmosphären (mit besonderer Berücksichtigung der Sonne.) 1. Auflage 1938, 500 S., 2.Aufl. 1955, 866 S. Springer Verlag Berlin, Göttingen, Heidelberg.
- Der Neue Kosmos. 356 S. Springer Verlag, Berlin (Heidelberger Taschenbuch 16/17), weitere Auflagen 1974, 438 S., 1981, 1988 und 1991 (mit B. Baschek), 1999 und 2003 (B.Baschek).
- Sterne und Menschen. Aufsätze und Vorträge. 1972, 170 S., Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York.
- Evolution kosmischer, biologischer und geistiger Strukturen. 1981, 150 S. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart.
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