CAU - Universität Kiel
Sie sind hier: StartseitePresseUnizeitNr. 27Seite 3
Nr. 27, 08.01.2005  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Chronische Entzündung

Seit 15 Jahren erforscht Professor Stefan Schreiber, wie chronisch entzünd­liche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) entstehen. Eine Schlüsselrolle beim Krankheitsgeschehen spielt die Darmflora.


Auch die Art der Ernährung spielt vermutlich eine Rolle bei der Entstehung der chronisch entzündlichen Darmkrankheit Morbus Crohn. Foto: DAK/Schläger

»Unser grundlegendes Thema sind die Mechanismen, die zur Entstehung einer entzündlichen Darmerkrankung führen bzw. sie aufrecht erhalten, und darauf basierend die Entwicklung neuer Therapiestrategien«, erklärt Stefan Schreiber von der I. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikum Kiel. Die Ursache von Morbus Crohn und anderen entzündlichen Darmerkrankungen ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Bis zu 0,5% der Bevölkerung westlicher Industrienationen leiden an diesen Erkrankungen, die einen erheblichen Einfluss auf den Gesundheitszustand der Betroffenen haben und einen Risikofaktor für die spätere Entwicklung von Darmkrebs darstellen. Bekannt ist, dass die Krankheit eine genetische Grundlage hat.

Zwei relevante Krankheitsgene wurden in Schreibers Arbeitsgruppe bereits identifziert. Der Facharzt für Magen- und Darmkrankheiten und Sprecher des Nationalen Genom­forschungs­netzes geht davon aus, dass viele, vielleicht 20 oder mehr Gene eine Rolle im Krankheits­geschehen spielen. Für das Entstehen der chronischen Darmentzündung sind aber neben einer genetischen Veranlagung auch äußere Auslöser beteiligt. Diese äußeren Faktoren zu finden, ist neben der Erforschung der Genetik ein wichtiges Forschungsziel, da sie der Schlüssel zur Prophylaxe, der gezielten Vorbeugung, sind.

Schreiber: »Es gab kein Morbus Crohn vor 1920, obwohl wir die genetische Veranlagung seit Jahrtausenden in uns tragen. Warum sind jetzt etwa 400.000 Deutsche davon betroffen? Was ist passiert in unserer Umwelt, mit unserem Lebenstil, dass eine solche Krankheit plötzlich ausbricht?« Die Häufigkeit von Morbus Crohn ist zwischen 1950 und 1990 um mehr als den Faktor 10 gestiegen. Diese schnellen Veränderungen der Erkrankungshäufigkeit sind nicht genetisch zu erklären, sondern deuten auf veränderte Umweltbedingungen hin. Im Verdacht stehen zum Beispiel weniger Infektionen in der Kindheit oder Antibiotikaeinsatz in der Kindheit. Durch die reduzierte Auseinandersetzung mit Infekten und Erregern, könnte die Reifung des Immunsystems beeinflusst und dadurch Autoimmunprozesse gefördert werden. Ebenfalls diskutiert wird die Rolle der veränderten Ernährungsgewohnheiten für die Entstehung der chronischen Darmentzündung. Denn die Zusammensetzung der Ernährung beeinflusst die Darmflora.

Die Kieler Forscher haben daher neben den molekularen Mechanismen im Menschen auch die bakterielle Darmflora, also die natürliche Besiedlung des Darms mit Bakterien, ins Visier genommen. »Wir sind alle dicht mit Bakterien besiedelt, die keineswegs zufällig da sind, sondern eine Art zweite, bakterielle Haut bilden. Normalerweise leben wir mit dieser bakteriellen Haut auf enger Distanz in einem friedlichen Verhältnis. Damit das klappen kann, müssen wir ein hohes Maß an immunologischer Toleranz haben. Denn die gleichen Bakterien würden, wenn sie in den Körper hineinkämen, ernste Entzündungen hervorrufen.« Bei Patienten mit chronischen Darmentzündungen kann diese Toleranz gegenüber den Darmbakterien offensichtlich nicht mehr aufrechterhalten werden. Sie entwickeln Abwehrreaktionen gegen die körpereigene Flora.

Auf diese Fährte kamen die Wissenschaftler durch die bereits entdeckten Krankheitsgene. »Es sind beides Gene, die dafür sorgen, dass man Bakterien schwerer abwehren kann.« Die Folge ist, dass Bakterien, die in die Darmepithelzellen, die oberste Zellschicht der Darmschleimhaut, eingedrungen sind, von der körpereigenen Abwehr nicht mehr so gut entfernt werden können. »Wenn die Bakterien drin sind, kommt es zur Entzündung. Wenn die Abwehr nicht optimal funktioniert, wird das automatisch chronisch.«

Aber warum dringen die Bakterien überhaupt in die Epithelzellen ein? »Wir vermuten, dass sich die bakterielle Flora in den letzten Jahrzehnten verändert hat, einfach weil wir anders leben, insbesondere uns anders ernähren«, so Schreiber. »Wir haben moderne molekularbiologische Methoden benutzt, um die Bakterien zu charakterisieren, die den Darm besiedeln. Seitdem wissen wir, dass unglaublich viele verschiedene Spezies dort leben. Bei Patienten mit Darmentzündung ist diese Flora einfacher, es sind weniger Arten vertreten.« Schreiber und seine Arbeitsgruppe vermuten, dass die Bakterienzusammensetzung sich über die letzten 100 Jahre parallel mit dem Auftreten der chronischen Darmentzündungen dramatisch verändert hat. Dabei spielen nicht bestimmte Krankheitserreger, sondern eine Veränderung der Zusammensetzung der Flora die entscheidene Rolle im Hinblick auf einen höheren »Eindringdruck«. Jemand der keine Crohn-Veranlagung hat, schafft es trotzdem, mit seinen Bakterien umzugehen. Aber bei Menschen mit einer genetischen Empfindlichkeit für die Darmentzündung reicht vermutlich ein kleiner Faktor, um die Balance zu kippen. Dann sind die Bakterien zu tief in der Darmbarriere, und es geht los.

Für die Forschung interessant sind entzündliche Darmerkrankungen, weil sie eine wichtige Grenzfläche zwischen Mensch und Umwelt betreffen – die Darmschleimhaut. Eine intakte Funktion dieser Barriere ist lebensnotwendig. Denn sie wehrt einerseits schädliche Einflüsse von außen ab, insbesondere Mikroben, und sorgt andererseits dafür, dass Nährstoffe, die wir zum Leben brauchen, die Barriere passieren können. Bei den entzündlichen Darmerkrankungen ist die Funktion der Barriere gestört. Damit eignen sich die Erkrankungen, um die Wechselwirkungen zwischen äußeren Einflüssen, Lebensstil, Ernährung auf die Gesundheit zu untersuchen.

Die Kieler Forschungen zu Morbus Crohn laufen im Rahmen des Krankheitsnetzes »Umweltbedingte Erkrankungen« im Nationalen Genomforschungsnetz. Hierbei stehen entzündliche Erkrankungen von Haut und Schleimhäuten im Vordergrund. Beispiele hierfür sind neben der chronischen Darmentzündung Asthma, Neurodermitis oder Schuppenflechte.

Diese fach- und institutionsübergreifende Forschung läuft seit Dezember im neugegründeten Institut für klinische Molekularbiologie zusammen. Institutsdirektor ist Professor Stefan Schreiber, der gleichzeitig als Sektionsleiter in der Klinik für Allgemeine Innere Medizin weiter in der Patientenbetreuung tätig bleibt.
Übrigens:
Dass die Ernährung bei der Entstehung der chronischen Darmentzündung eine große Rolle spielt, zeigt auch ein Beispiel aus der Tierwelt. Seit in norwegischen Lachsfarmen die Tiere mit Soja gefüttert werden, gibt es dort Lachse, die an einer Morbus Crohn ähnlichen Krankheit leiden. Dieses Phänomen untersuchen Kieler Wissenschaftler des Instituts für Tierernährung in Zusammenarbeit mit norwegischen Lachsfarmen.
Top  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 


Zuständig für die Pflege dieser Seite: unizeit-Redaktion   ► unizeit@uni-kiel.de