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Nr. 29, 09.04.2005  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Qanate: Bewässern wie im Altertum

Im Hochland des Iran wurde vor etwa 3000 Jahren eine technische Meister­leistung entwickelt, die weitgehend unbekannt blieb: die Qanat-Bewässerung. Ein Bericht von Geographie-Professor Gerhard Kortum.


Kraterähnliche Schachtöffnungen zeigen ein unterirdisches Qanat-System an. Foto: Kortum

Ein Qanat ist eine unterirdische Wasserrinne von mehreren Kilometern Länge (Iran: durchschnittlich 4,2 Kilometer, längster Qanat etwa 72 Kilometer). In den bis 1,8 Meter hohen und 0,6-2,4 Meter breiten Stollen wird Grund- und Sickerwasser mit einem Gefälle von 0,2-0,5 Promille, entsprechend den Geländeverhältnissen an der Oberfläche geführt. Der Stollen geht meist vom Fuß eines Berges aus und endet in einem Oasendorf oder in einer Stadt. Ein Qanat ist kein unterirdischer Flusslauf, und er wird auch nicht von einer Quelle gespeist. Er wirkt vielmehr wie eine Drainage und zieht die Bodenfeuchtigkeit der Tiefe an sich. Durch die Qanatbauweise wird das Grundwasser behutsam angezapft und ohne Anwendung von menschlicher, tierischer oder mechanischer Kraft zu Tage gefördert. Qanate zählen in der technischen Ausführung und konzeptionellen Planung zu den geographisch-hydrologisch interessantesten Bewässerungssystemen überhaupt.

An der Oberfläche und besonders gut vom Flugzeug aus kann man die unterirdischen Qanat-Systeme an den perlschnurartig aufgereihten Arbeitsschächten erkennen, die wie Maulwurfshügel dem Materialaushub beim Bau und bei der Unterhaltung dienen. Die regelmäßige Abfolge der kraterähnlichen Schachtöffnungen schwankt je nach anstehendem Material und Tiefe des Ableitungsstollens zwischen 20 und 200 Metern. Der gefährliche Bau und die Wartung erfolgt seit ältester Zeit durch eine spezielle Berufsgruppe, die Moghanni. Mit einfachsten technischen Mitteln – Fußwinde, Hanfseil, Ledersack, Kurzhacke, Handschaufel, Kerzen und einfachen Nivelliergeräten – schufen sie die unterirdischen Stollen.

Die Qanat-Bewässerung ist im Iran seit dem Altertum bekannt. Qanate gehören ohne Zweifel zu den alten kulturlandschaftlichen Besonderheiten des iranischen Raumes, die das städtische und ländliche Leben in weiten Landesteilen über Jahrtausende geprägt haben. Von hier aus haben sie sich nach Osten und Westen ausgebreitet. So findet man qanatähnliche Bewässerungssysteme unter anderen Namen auch in Afghanistan (Karez), Pakistan, China (Kanerjing), Spanien (Gálerias), Marokko (Khettara), Nordafrika (Foggara) und der gesamten arabischen Halbinsel (Falaj) sowie in Lateinamerika.

Um 1950 gab es im Iran noch 50.000 dieser Stollen, die 40 Prozent aller Dörfer des Landes bewässerten. Dass der Raum Teheran zu den ehemals wichtigsten Qanat-Landschaften des Hochlandes von Iran gehörte, ist nur noch wenigen in der ausufernden Millionenmetropole bewusst. Heute wird die Hauptstadt vor allem durch den Karadj-Staudamm mit Wasser versorgt. Auch in der Landwirtschaft ist die Bedeutung dieses landestypischen und an die Umweltbedingungen des Binnenhochlandes hervorragend angepassten Bewässerungssystems durch die Konkurrenz von Staudammkanälen und Motorpumpen stark zurückgegangen. Nach groben Schätzungen ist davon auszugehen, dass der Beitrag der Stollen zur Wasserbeschaffung im Agrarbereich heute nur noch fünf bis zehn Prozent ausmacht.

Es gibt jedoch im Iran Tendenzen, die Qanate als wertvolles kulturelles Erbe zu bewahren und wieder zu beleben. Mit relativ geringem Aufwand kann das umweltverträgliche Prinzip der Stollenbewässerung an moderne technische Möglichkeiten angepasst werden. Dadurch könnte es auch mit der Bewässerung durch Pumpen wirtschaftlich konkurrieren. Die Qanate Irans sind kein überkommenes Relikt längst vergangener Kulturleistung, sondern ein durchaus zukunftsfähiges System Umwelt schonender Wasserbewirtschaftung. Die Erschließung verborgener Wässer bleibt in Iran und anderen Trockengebieten auch in Zukunft ein Thema. Die Zeichen stehen gut für eine Neubewertung und Wiederbelebung.

Querschnitt einer Qanatanlage. Skizze: Bobek

Gerhard Kortum ist Professor für Geographie, mittlerweile im Ruhestand. Er untersuchte das Qanat-Prinzip erstmals vor 40 Jahren als Student am Beispiel des Dorfes Kahrizak südlich von Teheran und war später vier Jahre an der Universität Schiras (Iran) tätig. Das Thema hat ihn seit dieser Zeit nicht mehr losgelassen. Einen ausführlichen Bericht über die Qanat-Bewässerung auf dem Hochland von Iran und ihre Ausbreitung über die Erde hat er in folgendem Buch veröffentlicht:

Ulrich Hübner, Antje Richter (Hg.): Wasser – Lebensmittel, Kulturgut, politische Waffe. EB-Verlag, Schenefeld 2004.
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