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Nr. 48, 31.05.2008  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Falscher Feind

Unser Immunsystem bekämpft Krankheitserreger und lässt die eigenen Zellen in Ruhe – im Normalfall. Immer häufiger greift es jedoch auch das eigene Gewebe an, mitunter mit verheerenden Folgen.


Ein Krieger in ständiger Alarmbereitschaft: Unser Immunsystem. Foto: Picture Alliance

Wenn das Immunsystem die Fähigkeit verliert, zwischen fremden und eigenen Strukturen zu unterscheiden und demzufolge körpereigene Zellen und Gewebe angreift, spricht man von Autoimmunerkrankungen. Sie können alle Organe des menschlichen Körpers sowie das zentrale Nervensystem befallen und schwere Entzündungsreaktionen verursachen. Dabei handelt es sich keineswegs um exotische oder seltene Krankheiten. Ganz im Gegenteil: Autoimmun­erkrankungen sind heute die häufigsten Ursachen chronischer Erkrankungen. Nur kennt man sie meist nicht unter dieser Bezeichnung. Schätzungsweise vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer oder mehreren Autoimmunerkrankungen, 60 verschiedene sind bekannt. Häufig sind etwa die rheumatoide Arthritis (das Gelenkrheuma) und die entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Auch Multiple Sklerose (MS) und Diabetes mellitus Typ 1 (Zuckerkrankheit) beruhen auf einer Fehlregulation des Immunsystems. Beim Typ 1 Diabetes, an dem vor allem Kinder und Jugendliche erkranken, vernichten die fehlgeleiteten Abwehrzellen die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse; im Fall der MS dringen Killerzellen des Immunsystems in das Nervensystem ein und zerstören die Myelinscheiden, die die Nervenfasern ummanteln. Manche Erkrankungen verlaufen zunächst stumm, wie die Hashimoto Tnyreoiditis, eine chronischen Entzündung der Schilddrüse, andere wie der kreisrunde Haarausfall (Alopecia areata) fallen sofort ins Auge.

Wie Autoimmunerkrankungen entstehen, ist bis heute nicht genau bekannt. Tatsache ist, dass es relativ junge Erkrankungen sind, die man zum Teil vor hundert Jahren noch nicht kannte und deren Häufigkeit zunimmt. Man geht davon aus, dass es eine genetische Komponente gibt, sozusagen eine Empfindlichkeit für Autoimmunkrankheiten. Kommen darüber hinaus ungünstige Umweltfaktoren wie starker Stress oder Infektionen hinzu, kann das zum Ausbruch der Krankheit führen. Als ein Auslöser für Autoimmunerkrankungen wird das so genannte molekulare Mimikry diskutiert. Davon sprechen Fachleute, wenn Moleküle auf der Oberfläche von Krankheitserregern körpereigenen Strukturen ähneln oder mit ihnen identisch sind. Für den Erreger ist das eine Art Tarnung, um vom Immunsystem nicht als fremd erkannt zu werden. Falls die Immunzellen den Erreger trotz der Tarnung erkennen und ihn vernichten, kann es sein, dass auch die dem Erreger ähnlichen körpereigenen Strukturen angegriffen werden.

Immunzellen (dunkle Punkte) attackieren eine Nervenzelle (rot). Foto: Klinik für Neurologie

Gemeinsam ist allen Autoimmunerkrankungen, dass die gesunde Immunregulation erheblich gestört ist. »Aus Sicht des Immunologen ist es ein Wunder, dass nicht jeder von uns autoimmun erkrankt«, meint Professor Dieter Kabelitz, der Direktor des Instituts für Immunologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK S-H) Campus Kiel. Wie die immunologische Toleranz entsteht, also der Umstand, dass körpereigene Zellen vom Immunsystem verschont werden, ist mittlerweile allerdings recht gut erforscht. Eine große Rolle spielen hierbei regulatorische T-Zellen. Diese speziellen Immunzellen verhindern normalerweise, dass potenziell autoreaktive – also gegen körpereigene Strukturen gerichtete – Zellen, die bei jedem Menschen vorkommen, Schaden anrichten. Kabelitz: »Wenn man die regulatorischen T-Zellen entfernt oder wenn sie defekt sind, kommt es zwangsläufig zur Autoimmunität.«

Ziel der Therapie sollte nach Ansicht des Immunologen daher vor allem sein, die Immuntoleranz wieder herzustellen. In diese Richtung gehen neue Therapieansätze auf Basis von Zellpräparaten, die Professor Fred Fändrich von der Sektion für Transplantationsmedizin und Biotechnologie des UK S-H in internationalen Kooperationen erforscht. (ne)
Deutsche Gesellschaft für Autoimmun-Erkrankungen
Eine vor zehn Jahren gegründete gemeinnützige Gesellschaft mit Sitz in Kiel verfolgt das Ziel, Forschung und Therapie zu Autoimmunerkrankungen zu beschleunigen. Sie führt Spezialisten und Wissenschaftler der verschiedenen Fachrichtungen zusammen und unterstützt Forschungsprojekte zu Ursachen, Diagnose und Therapie von Autoimmunerkrankungen. »Anlass für die Gründung dieser Gesellschaft war, dass die Autoimmunerkrankungen auf das gleiche Fehlverhalten des Immunsystems zurückgehen, sich aber in verschiedenen medizinischen Fachrichtungen befinden«, erklärt der Vorsitzende und Gründer Karl M. Richter. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit, so hofft der Vater einer an Multipler Sklerose erkrankten Tochter, lasse sich die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis beschleunigen. »Wir waren die ersten, die das erkannt haben«, so Richter. »Mittlerweile gibt es in ganz vielen Ländern der Welt Gesellschaften für Autoimmunerkrankungen.« Die Gesellschaft schreibt im zweijährigen Turnus den mit 10.000 Euro dotierten Nils-Ilja-Richter-Preis aus. Damit sollen konkrete klinische Therapiefortschritte bei Autoimmunerkrankungen gefördert werden. (ne)

www.autoimmun.org
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