Schneeballsystem
Innovationen werden durch Mundpropaganda verbreitet. Christian Barrot hat in seiner Dissertation untersucht, wie das funktioniert.

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»Das Phänomen ist lange bekannt«, sagt der 34-Jährige. »Das Problem war bisher, die Funktionsweise in einem großen Netzwerk zu erforschen.« In einer Studie hat er beispielsweise eine Gruppe von 60.000 Kunden eines regionalen Telefonanbieters untersucht, wobei sich bis zu drei Milliarden unterschiedlich enge Beziehungen zwischen allen Kunden ergeben können. »Mit Einzelbefragungen kann man das nicht leisten«, sagt Barrot. Erst die heutige Rechnerleistung und die Tatsache, dass Kommunikation per Telefon oder E-Mail digital zu erfassen sei, machten solche Studien möglich.
Um die anonymisierten Kundendaten mit ihren zehn Millionen Einzelverbindungen zu bekommen, konnte Christian Barrot auf die »gute Vertrauensbasis« zwischen der Kieler Universität und den regionalen Unternehmen setzen. »Natürlich haben wir keine Namen, Adressen oder Telefonnummern erhalten«, stellt er klar. »Für jeden Kunden steht ein mehrfach verschlüsselter Zahlencode.« Mit diesen Daten konnte Barrot Theorien aus der Netzwerkforschung am praktischen Beispiel belegen.
Zunächst untersuchte er über die Verbindungsdaten, welche Kunden sich kennen. »Je öfter zwei miteinander telefonieren, desto besser kennen sie sich«, so Barrots These. Dabei fand er heraus, dass die Kunden sehr eng miteinander verknüpft waren. »Neukunden haben zu vielen bisherigen Kunden Kontakt«, erklärt der Innovationsforscher. Es gibt die Theorie, dass jeder Mensch auf der Welt mit jedem anderen Menschen über eine Kette von höchstens sechs Bekannten verbunden ist. »In diesem Netzwerk reichten vier Schritte von einem Kunden zu einem beliebigen anderen «, so Barrot. Ein Grund dafür sei das Tarifmodell des Anbieters: Kunden telefonieren untereinander kostenlos – dadurch entsteht ein großer Anreiz, Freunde zu werben. Eine zweite Frage war: Findet man die Ausgangspunkte im Netz, also die Menschen, die früh Kunden wurden und viele andere nach sich zogen? Auch das funktionierte: »Man erkennt, dass es tatsächlich ein Schneeballsystem gibt, das von wenigen "Early Adoptern" ausgeht«, sagt Barrot.
Für Unternehmer lassen sich aus Barrots Studien einige Lehren ableiten. »Die ersten Kunden gewinnt man durch klassische Werbung«, sagt er. »Aber dann kommt es darauf an, dass sie zufrieden sind und das Produkt weiterempfehlen.« Dabei helfen Prämien für die Werbung von Neukunden. Allerdings gelte dieser Verlauf nicht für alle Produkte, schränkt Barrot ein. »Ein Telefonvertrag läuft über zwei Jahre, da möchte man schon vorher wissen, ob der Tarifwechsel funktioniert und der Tarif sich rechnet«, so Barrot. Für Dinge, die man aus dem Regal nehmen und ausprobieren könne, ehe man sie kauft, sei das Netzwerk weniger entscheidend.
Christian Barrots Arbeit ist eine kumulative Dissertation. Sie besteht aus mehreren empirischen und methodischen Veröffentlichungen zum Thema »Mundpropaganda in sozialen Netzwerken«. »Es ist eine herausragende Arbeit, der wir 2009 den Fakultätspreis verliehen haben«, sagt Professor Sönke Albers, der an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät den Lehrstuhl für Innovation, Neue Medien und Marketing innehat. Albers begrüßt, dass Barrot für seine Habilitation weiter in diese Richtung forschen wird: »Untersuchungen zu sozialen Netzwerken gibt es in der Soziologie schon länger, im Marketing aber stehen sie am Anfang – das ist ein zukunftsträchtiges Feld.« In seinem Forschungsgebiet ist also auch Christian Barrot ein Early Adopter.
Eva-Maria Karpf
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