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Nr. 80, 12.04.2014  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Schwierige Beziehung

Schwarz-weiß war die Welt noch nicht einmal im Kalten Krieg. Das komplexe Verhältnis zwischen der EU und Russland zeigt, dass sie das heute erst recht nicht ist.


Foto: iStock

Dr. Sven Singhofen ist Politikwissenschaftler an der CAU und hat seit Jahren das Geschehen in Russland und den heute selbstständigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion im Blick. Dabei tut sich ihm nach eigenen Worten ein »widersprüchliches Bild auf, denn selbst in der vergleichs­weise kurzen Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die Beziehung zwischen Russland und der EU auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich entwickelt.

Wie kurzlebig die Zeiten sind, zeigt sich daran, dass in den 1990er Jahren sowohl der große Reformer Michail Gorbatschow als auch Präsident Boris Jelzin gegenüber Europa sehr aufge­schlossen waren und sogar ein Beitritt zur EU diskutiert wurde. Beide Seiten unterzeichneten 1994 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, das 2005 mit einem Abkommen über vier »Gemeinsame Räume« in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie innerer und äußerer Sicherheit konkretisiert wurde. Fakt ist zudem, dass sich die EU mit keinem anderen Staat so regelmäßig konsultiert wie mit Russland, betont Singhofen. Zweimal jährlich kommt es zu Begegnungen auf höchster Regierungsebene, noch erheblich intensiver gestaltet sich der Austausch weiter unten in der Hierarchie.

Doch zugleich macht der Kieler Politikwissenschaftler eine andere Seite aus. Der Streit um angeblich unsicheres polnisches Fleisch 2006 und erst recht zwei Jahre später der Georgien- Krieg verdeutlichten, dass beide Seiten teils sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Hinzu kommt aus Sicht von Singhofen ein strategisches Problem: 15 ehemalige Sowjetrepubliken wurden nach dem Ende des Sozialismus eigenständig und schlossen sich vielfach der EU beziehungsweise der NATO an. Russland – nach eigenem Verständnis immer noch eine Großmacht – lief und läuft also Gefahr, mitansehen zu müssen, wie der eigene Einflussbereich mehr und mehr bröckelt.

Das bietet Stoff für Differenzen mit der EU, analysiert Singhofen. Sowohl Russland als auch die EU würden aus Sicht des Politikwissenschaftlers Staaten wie Georgien, Moldawien, Weißrussland und aktuell besonders die Ukraine gern dem eigenen Einflussbereich zuordnen. Allerdings unterscheiden sich die Methoden stark: Die europäische Seite arbeitet mehr mit positiven Anreizen, während die russische Seite auch vor der Androhung negativer Anreize und unter Umständen direkter Einflussnahme nicht zurückscheut.

Für das Feld der Politik sieht die Beziehungsanalyse von Sven Singhofen entsprechend gemischt aus: Einerseits redet man ausgesprochen viel miteinander, andererseits ist man sich oft uneinig und lebt »einigermaßen blutleer« nebeneinander her.

Noch ernüchternder fällt das Urteil des Fachmanns über die Sicherheitspolitik aus. Obwohl Russland bis heute offiziell eine sicherheitspolitische Kooperation mit der EU pflegt, passiert hier laut Singhofen am wenigsten. Schon weil es an gemeinsamen Zielen und Werten mangelt, kann aus seiner Sicht von strategischer Partnerschaft keine Rede sein. Zu stark widersprechen sich das Demokratie-Leitbild der EU und der russische Autoritarismus oder auch das russische Groß- beziehungsweise Weltmachtstreben und das Bild von der EU als Wertemacht.

Wirklich eng verflochten sind für Singhofen beide Seiten allein in wirtschaftlicher Hinsicht. Russland ist für die EU nach den USA und China der drittgrößte Handelspartner, die EU für Russland sogar der mit Abstand größte. »Das sind zwei Seiten, die gut zusammenpassen«, sagt Singhofen und erinnert daran, dass Russland vorzugsweise Energie und andere Rohstoffe exportiert, während die EU überwiegend Konsum- und Anlagegüter dorthin verkauft. Singhofen spricht in dieser Hinsicht von einer »tiefen Partnerschaft«, geradezu einer »wechselseitigen Abhängigkeit«.

Aber auch wenn ökonomische Verflechtungen nach aller Erfahrung besondere Stabilitätsfaktoren im Verhältnis zwischen Staaten sein können, fällt Sven Singhofens Fazit für die Beziehungen zwischen Russland und der EU sehr differenziert aus: »Es ist eine prekäre Mischung aus Partnerschaft, Konkurrenz und bisweilen auch Gegnerschaft.«

Martin Geist
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