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Nr. 87, 16.07.2016  voriger  Übersicht  weiter  REIHEN  SUCHE 

Schluss mit Suchmischmaschmaschinen

Maschinen – zumal die digitalen – haben vielerlei Schnittstellen. Vielleicht die wichtigste ist der Mensch. Diese Annahme liegt der Entwicklung einer neuen wissenschaftlichen Suchmaschine an der Uni Kiel zugrunde.


Wie nach der Nadel im Heuhaufen verlaufen wissenschaftliche Recherchen oft bei Google und Co. Eine neue Suchmaschine soll den Heuhaufen lichten Foto: iStock/pur.pur

»Die Wissenschaft wird digital«, sagt Professor Ansgar Scherp vom Institut für Informatik. So gut wie alles, was in der jüngeren Vergangenheit erforscht und geschrieben worden ist, lässt sich online finden. Ein großer Teil ursprünglich auf Papier gedruckter Standardliteratur ist inzwischen ebenfalls digitalisiert, weiß der Wissenschaftler, der sich schon als Schüler für das Thema Mensch- Maschine-Interaktion interessiert hat.

»Was aber nützt es, wenn alles verfügbar ist, doch man kommt nicht oder nur durch Zufall daran?« So formuliert Scherp die Leitfrage, die hinter der im April gestarteten Initiative MOVING steht. Es handelt sich dabei um ein unter Federführung des ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft beantragtes EU-Großprojekt mit neun Partnern aus Griechenland, Deutschland, Österreich, Slowenien, Großbritannien und Polen.

Ziel von MOVING ist der Aufbau einer Arbeitsumgebung für die qualitative und quantitative Analyse großer Dokumenten- und Datensammlungen. Unter Leitung von Professor Scherp ist die ZBW mit ihrer Expertise im Feld Science 2.0 Forschungspartner im Bereich Text- und Data-Mining. Außerdem übernimmt das in Kiel ansässige Leibniz-Informationszentrum die wissenschaftliche Koordination.

Zu den Zielgruppen gehören junge Studierende und ebenso Berufstätige, die mit großen Dokumenten- und Datenmengen arbeiten. Über den rein universitären Bereich hinaus ist deshalb auch die Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an dem Projekt beteiligt. Scherps Erfahrung nach wird bei der Informationssuche weitgehend auf Google und allenfalls auf wenige andere bekannte Suchmaschinen gesetzt. Die Nutzerinnen und Nutzer »folgen damit der großen Masse«, stellt er fest. Was ein großes Problem sein kann, denn bei Suchanfragen wie »Innovationsmanagement« meldet Google mehr als 500.000 Treffer. »Aber selbst wer an einer Doktorarbeit sitzt, zitiert in der Regel nicht mehr als 200 Dokumente«, sagt Scherp.

Also geht es darum, aus der unüberschaubaren Zahl von Treffern diejenigen herauszufiltern, die für das konkrete Anliegen relevant sind. MOVING setzt dabei auf intelligente Datenanalyseverfahren, die im Hintergrund laufen.

Die Menschen am Rechner bemerken das zwar nicht unmittelbar, doch sie sind eine entscheidende Stütze dieses Systems. MOVING wertet das Benutzerverhalten aus, analysiert, welche weiteren Stichworte eingegeben werden, reagiert aber auch interaktiv und meldet sich mit Vorschlägen, wenn jemand offenkundig nicht weiterkommt. »Dann empfiehlt das System Schritte, die Leute unternommen haben, die schon in ähnlichen Situationen steckten«, erläutert Scherp. Diesen Mechanismus gibt es aber nur, wenn sich jemand für den Dienst ausdrücklich anmeldet und damit der Auswertung seiner Nutzungsdaten zustimmt.

Es wird aber zukünftig auch möglich sein, MOVING ohne Login, also anonym in Anspruch zu nehmen. Die Medienwissenschaft der Technischen Universität Dresden entwickelt dazu gleichzeitig methodische Kompetenzen, um einen effektiven Umgang mit großen Datenmengen einzuüben. Das geschieht von Mensch zu Mensch mit einem didaktischen Konzept, aber auch mit automatisierten digitalen Werkzeugen.

Wie wichtig derlei Handwerkszeug ist, zeigt ein Blick auf das verfilmte Wissen, dessen Bedeutung rasant gewachsen ist. Zum t-Test – einer Standardmethode in der Statistik – liefert YouTube eine unüberschaubare Anzahl an Clips. Innerhalb von MOVING kommt an dieser Stelle das Institut Jozef Stefan ins Spiel. Das slowenische Expertenteam betreibt das Videoportal Videolectures.net und entwickelt Verfahren, um gesprochene Worte in den Videos ihres Portals automatisch in geschriebene Texte zu übersetzen und damit für Suchmaschinen zugänglich zu machen.

Andererseits nimmt MOVING auf der Basis von Metadaten ebenso Quellen ins Visier, deren Volltext nicht zur Analyse verfügbar ist oder die nur in gedruckter Form vorliegen. Dann meldet das System immerhin Hinweise auf Literatur, die für das entsprechende Anliegen einer Würdigung wert sind.

Obwohl das mit 3,5 Millionen Euro geförderte Projekt noch bis April 2019 andauert, sind etliche Inhalte bereits über das Stadium des Wunschdenkens hinausgekommen. Erste Prototypen gibt es bereits, sie werden zum Beispiel am Kieler ZBW erprobt. Zunächst geht es dabei um die Wirtschaftswissenschaften, eine Übertragung auf die Sozialwissenschaften allgemein, aber auch auf völlig andere Disziplinen würde nach Scherps Überzeugung jedoch keinen übermenschlichen Aufwand bedeuten. »Man muss nur wissen, wie das jeweilige Fach tickt«, beschreibt er ein Erfordernis, das zum Kerngeschäft der Informatik gehört.

Martin Geist
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