Leben mit Behinderung im Sozialismus
Digitale Ausstellung widmet sich der Situation Betroffener und ihrer Familien in der DDR
Wie erging es eigentlich Menschen mit Behinderung in der DDR? Diese Frage steht im Mittelpunkt einer digitalen Ausstellung, die einer Koproduktion zwischen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Universität der Bundeswehr München und der Stiftung Drachensee in Kiel entstammt. Als Kooperationspartner mitgewirkt hat das Institut für Inklusive Bildung, in dem Menschen mit Behinderungen als Fachleute in eigener Sache auftreten. Die digitale Veranstaltung wird am Mittwoch, 2. Februar, freigeschaltet.
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist das Kiel-Münchener Verbundprojekt „Menschen mit Behinderungen in der DDR“ im Herbst 2018 gestartet. Um die Ergebnisse vorzustellen, war von Anfang an eine digitale Ausstellung geplant. Und das, wie Projektleiter Professor Sebastian Barsch vom Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte am Historischen Seminar der Uni Kiel betont, nicht mit prophetischem Blick auf kommende Corona-Mühen, sondern im Interesse umfassender Barrierefreiheit. „Dank technischer Möglichkeiten wie der Wiedergabe geschriebener Texte in gesprochenen Worten oder auch der Veranschaulichung von Sachverhalten durch Videos lassen sich die Zielgruppen, um die es geht, viel besser erreichen“, meint Barsch. Barrierearm gibt sich die Ausstellung zudem in räumlicher Hinsicht, sodass sie dank ihres digitalen Gewands bequem für Interessierte auch außerhalb Schleswig-Holsteins zugänglich ist.
Nach der Devise „Nichts über uns ohne uns!“ arbeitete in Kooperation mit der Kieler Stiftung Drachensee ein Team des Instituts für Inklusive Bildung gleichberechtigt mit den wissenschaftlichen Kräften der beteiligten Universitäten an dem Projekt mit. Die Inklusions-Fachleute waren unter anderem maßgeblich dafür zuständig, dass Textmaterial in verständlicher Sprache bereitzustellen. Diese kann alternativ zu einer Version in komplexer Sprache ausgewählt werden.
Stoff für den Schulunterricht
Inhaltlich gliedern sich die in weiten Teilen auf Grundlagenforschung beruhenden Ergebnisse in drei an Lebenswelten orientierte Bereiche. Unter Leitung der Kieler Historikerin Professorin Gabriele Lingelbach wird zunächst die Lage von Familien mit Kindern mit Behinderungen beleuchtet. Ihr Kollege Sebastian Barsch betreut ein weiteres Teilprojekt zum Umgang der DDR-Medien mit dem Thema Behinderung. Und schließlich widmeten sich die Privatdozentin Elsbeth Bösl und Dr. Ulrike Winkler vom Historischen Seminar der Bundeswehr-Universität den technischen und baulichen Bemühungen um Barrierefreiheit in der DDR.
Erarbeitet wurden die Resultate der Ausstellung in mehreren Projektseminaren zusammen mit Studierenden und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. In Kiel waren laut Barsch die Geschichtsstudierenden, die durchweg ins gymnasiale Lehramt streben, mit viel Elan bei der Sache und fanden das Projekt „sehr, sehr spannend“. Und das auch aus beruflichem Interesse. Schließlich ist die Ausstellung „Menschen mit Behinderungen in der DDR“ mit Extra-Material versehen, das ausdrücklich zur Verwendung in den Klassenzimmern vorgesehen ist.
Behinderung und Sozialismus
Dargestellt wird beispielsweise der Konflikt zwischen der auf den sozialistischen Humanismus begründeten Solidarität mit den Schwächeren und der Definition der Menschen über ihre Arbeitsproduktivität. Auch der Mangel an Material und Kapazitäten, der einfache Dinge wie die Absenkung von Bordsteinen vielerorts kaum möglich machte, prägte die Situation in der DDR auf besondere Weise. Was die Medien betrifft, zeigt die digitale Schau unter anderem die journalistische Darstellung von Betreuungseinrichtungen oder auch das pädagogisch motivierte Streben, den richtigen Umgang mit Querschnittsgelähmten zum Beispiel durch TV-Beiträge zu vermitteln. Thematisiert wird außerdem eine bereits im August 1945 geführte Debatte über die Frage, ob Kriegsversehrte als Opfer des Faschismus betrachtet werden müssten – oder vielleicht doch als mitschuldige Steigbügelhalter eben dieses Systems.
Am Mittwoch, 2 Februar, von 18 bis 20 Uhr werden die Mitglieder des Forschungsprojekts die digitale Ausstellung im Rahmen einer Online-Vernissage eröffnen.
Text: Martin Geist
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Sebastian Barsch
Professur für Didaktik der Geschichte
sbarsch@histosem.uni-kiel.de
Pressekontakt:
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