Geschichten und Hintergründe zur Kieler Gebäranstalt

Zwei Wissenschaftler der Kieler Universität beschreiben in ihrem neuen Buch anhand von 14 Einzelschicksalen die sozialen und gesetzlichen Umstände für arme Frauen, die im 19. Jahrhundert schwanger wurden und bei der Geburt verstarben.

Die Kieler geburtshilfliche Beckenforschung galt im 19. Jahrhundert als herausragend. Um Geburtskomplikationen zu erforschen und zu vermeiden, untersuchten die damaligen Kieler Professoren der Medizinischen Fakultät Gustav Adolph Michaelis und Carl Conrad Theodor Litzmann knöcherne Beckenpräparate von Frauen, deren Geburten aufgrund ihrer Beckenform besondere Komplikationen verursachten und die infolgedessen verstarben. „An diesen Körperpräparaten haben Michaelis und Litzmann zwischen 1830 und 1880 erforscht, wie die Form des weiblichen Beckens den Geburtsverlauf beeinflusste", erklärt Eva Fuhry, die Leiterin der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Die vor drei Jahren eröffnete Ausstellung „Female Remains - Frauenschicksale und die Vermessung der Geburt“ stellt den medizinischen Forschungsinteressen die Biografien von fünf Frauen dieser Zeit gegenüber, die zur Entbindung in die Gebäranstalt gekommen waren und dort verstarben.

Ausgehend von dieser Ausstellung haben sich Dr. Christian Hoffarth vom Historischen Seminar der CAU und Professor Dr. Ibrahim Alkatout von der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, eingehend mit den noch erhaltenen Beckenpräparten und der Geschichte der Geburtshilfe beschäftigt. Ihre Erkenntnisse und Entdeckungen haben Eingang in das jetzt publizierte Buch „Arm, ledig, schwanger. Die Kieler Gebäranstalt des 19. Jahrhunderts als Spiegel medizinischer und sozialer Herausforderungen“ gefunden. Sie recherchierten an erhaltenen medizinischen Unterlagen, Kirchenbüchern und vielen weiteren Quellen die bewegenden Lebensgeschichten von 14 Frauen, deren Beckenpräparate damals zur Forschung und Lehre dienten. Die Autoren decken dabei die schwierigen sozialen und gesetzlichen Bedingungen in Schleswig-Holstein auf, unter denen sich die oft weitgehend mittellosen ledigen Schwangeren bewegten. Dabei erzählen sie auch eine Geschichte der Geburtshilfe vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

„Die Geschichten der Frauen wieder ans Tageslicht zu holen, sie aus verschiedenen Perspektiven darzustellen und in größere historische wie medizinische Zusammenhänge einzubetten, soll auch zur Klärung der ethischen Fragen beitragen, die sich zwangsläufig mit einer solchen Beckensammlung heute verbinden“, schreiben Hoffarth und Alkatout im Vorwort.

Buchvorstellung und Ausstellungsführung

Am Donnerstag, den 2. November, stellen die Autoren Alkatout und Hoffarth zusammen mit dem Verleger Dr. Stefan Eick vom Solivagus Verlag ihr Buch vor. Professor Nicolai Maass, Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am UKSH, Campus Kiel, wird die Veranstaltung eröffnen. Beginn 19 Uhr, Hörsaal der Augenklinik, Hegewischstraße 2, Kiel. Interessierte sind herzlich zu der Veranstaltung eingeladen. Eintritt frei.

Am Freitag, den 3. November, bietet Eva Fuhry, die Leiterin der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung der Medizinischen Fakultät der CAU, eine begleitende Führung durch die Ausstellung „Female Remains - Frauenschicksale und die Vermessung der Geburt“ an. 15:00 bis 16:00 Uhr, Brunswiker Straße 2, Kiel. Anmeldung erforderlich unter medmuseum@med-hist.uni-kiel.de. Eintritt frei.

Text: Kerstin Nees

Buchcover
© Solivagus Verlag

Ibrahim Alkatout und Christian Hoffarth erklären in ihrem Buch die sozialen und gesetzlichen Bedingungen, unter denen sich die ledigen Schwangeren bewegten. Sie erzählen dabei auch eine Geschichte der Geburtshilfe ab dem 19. Jahrhundert.

Illustration
Illustration: Carina Klena

Im Kindbett gestorben: Adele Jürgensen aus Schönhagen ist eine von 14 Frauen, deren Lebensgeschichte für das Buch „Arm, ledig, schwanger. Die Kieler Gebäranstalt des 19. Jahrhunderts als Spiegel medizinischer und sozialer Herausforderungen“ recherchiert wurde.

Schrank mit Exponaten
© Uni Kiel

Die Ausstellung „Female Remains - Frauenschicksale und die Vermessung der Geburt“ regt an, den Umgang mit den Patientinnen der Kieler Gebäranstalt und den Umgang mit ihren sterblichen Überresten zu diskutieren.

Portrait
© privat

Professor Dr. Ibrahim Alkatout ist leitender Oberarzt an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des UKSH, Campus Kiel.

Portrait
© privat

Dr. Christian Hoffarth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Regionalgeschichte der CAU.

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. med. Ibrahim Alkatout
Medizinische Fakultät, CAU
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, UKSH, Campus Kiel
0431/500- 21450
Ibrahim.Alkatout@uksh.de

Dr. Christian Hoffarth
Historisches Seminar, CAU
Abteilung Regionalgeschichte mit Schwerpunkt Schleswig-Holstein
0431/880-1061
choffarth@histosem.uni-kiel.de

Wissenschaftlicher Kontakt:

Eva Fuhry
Medizinische Fakultät, CAU
Leitung der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung
0431/880-5721
medmuseum@med-hist.uni-kiel.de

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