Jahrestagung der Agrarökonomen in Kiel

Eine weltweit verbesserte Zusammenarbeit in der Landwirtschaftspolitik könnte Preiserhöhungen der Grundnahrungsstoffe wie Reis, Weizen und Mais entgegenwirken. Unterernährung und Hunger könnten damit vermindert werden. Zu diesem Fazit kamen Agrar- und Ernährungswissenschaftler bei der 49. Jahrestagung der GEWISOLA (Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e.V.), die vergangene Woche an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel tagte.

170 Agrarökonomen befassten sich auf der Tagung mit den Agrar- und Ernährungsmärkten nach dem Agrarpreisboom der Jahre 2007 und 2008, der besonders in armen Ländern Hunger, Not und Unruhen auslöste. Diskutiert wurden agrarökonomische Problemlösungen, die inzwischen aus den damaligen Erfahrungen gewonnen wurden und die helfen können, weiteren Preissteigerungen und Hunger vorbeugen: Denn die landwirtschaftliche Produktivität muss bis 2050 um 70% gesteigert werden, um weitere 2,3 Milliarden Menschen ernähren zu können.

Professor Dr. Gerhardt Fouquet, Präsident der Kieler Universität, begrüßt es, dass Agrarwissenschaftler aus aller Welt beim Treffen in Kiel den Tatsachen ins Auge sehen: "Besonders in Zeiten der Wirtschaftskrise dürfen sich die Industriestaaten gegenüber den ärmeren Ländern nicht verschließen. Das Problem der Getreidepreissteigerung und der Unterernährung geht uns alle an. Wir müssen verantwortlich gegenüber unseren ärmeren Mitmenschen handeln, ebenso gegenüber den uns nachfolgenden Generationen. Die Universitäten können hier einen relevanten Beitrag leisten, einerseits im wissenschaftlichen Diskurs, vor allem aber auch aktiv in der Forschung, um Grundlagen für neue Lösungen zu schaffen, von denen alle Seiten am Ende profitieren können."

Auswertungen von Statistiken des Preisbooms von 2007/2008 zeigen, dass kurzfristige politische Notfall-Maßnahmen, wie beispielsweise Exportverbote, die Situation nur zusätzlich verschlimmerten. Angesichts der erhöhten Nachfrage von Getreide in weniger entwickelten Nachbarstaaten stoppten oder beschränkten Länder (z.B. Russland, Ukraine, Ägypten) damals ihre Exporte im Glauben Preissteigerungen im eigenen Land verhindern zu können. Mittel- und langfristig führte das zu weiteren Verlusten für die Landwirtschaft, da wichtige Exporteinnahmen fehlten. Reinvestitionen in die Agrarwirtschaft und Weiterentwicklung konnten nicht vollzogen werden – damit stiegen die Preise nach kurzem Einbruch erneut.

Um das weltweite Problem der Unterernährung und der hohen Getreidepreise langfristig zu lösen, hilft nur, so der Konsens der Jahrestagung in Kiel, in den Entwicklungsländern die Kleinbauern zu fördern: Angefangen von der Forschung und Entwicklung von Getreidesorten, die selbst unter ungünstigen Bedingungen ordentliche Ernten einbringen, bis hin zu neuen Anbau-Techniken, weltweitem Know-how-Transfer, Schulung und Förderung von Kleinbauern in armen Ländern.

In den vergangenen Jahren bewiesen vor allem private Hilfsorganisationen, was mit konsequent auf die Landwirtschaft ausgerichteter Entwicklungshilfe in armen Ländern erreicht werden kann. Der Großteil der Unterstützung kommt heute in Form von Finanzen, Forschung und Aufklärung von privaten weltweit agierenden Institutionen, wie beispielsweise von der Bill and Melinda Gates Foundation, aber auch von Zusammenschlüssen aus Industriestaaten und privaten Förderungen, wie z.B. im Rahmen der CGIAR (Consultative Group on International Agricultural Research).

Bereits die "Grüne Revolution" Mitte des 20. Jahrhunderts zeigte, dass mit speziell gezüchteten Hochertrags-Pflanzen, trotz klimatisch schwieriger Bedingungen, hohe Ernten erzielt werden können: Der kürzlich verstorbene Friedensnobelpreisträger Norman Borlaug züchtete in Mexiko ertragreiche und krankheitsresistente Weizenpflanzen, verbesserte die Anbautechniken und brachte Ende der 60er Jahre das Konzept nach Südasien: Indien wurde vom "Hunger"-Land zum Exportland für Weizen.

Heute bauen die Hilfsorganisationen auf den Erfahrungen von damals auf und streben eine "Zweite Grüne Revolution" an, diesmal vor allem für Afrika. Dabei werden heute zusätzlich wichtige Umweltaspekte berücksichtigt, wie die Vermeidung der Übernutzung des Grundwasser oder der Bodenerosion.

Zusammenfassende Auswahl an Beiträgen der Jahrestagung:

Friedrich von Hayek befürchtete, dass Ökonomen, die nur Ökonomen sind, sehr leicht zu einer Plage, wenn nicht sogar zu einer echten Gefahr werden. Um diesem Schicksal zu entgehen, hatten die Agrarökonomen Lutz Goedde von der Bill und Melinda Gates Foundation in Seattle nach Kiel eingeladen. Diese Stiftung, deren Vermögen von rund 70 Milliarden US$ aus Spenden von Bill Gates und dem Investor Warren Buffett stammt, verwendet ein Viertel ihrer jährlichen Fördermittel von knapp 3 Milliarden US$ für die Förderung der landwirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Afrika und Südasien sowie die Bekämpfung von Hunger und Armut in der Welt.

Daniel A. Sumner von der University of Califonia, Davis, betrachtete den jüngsten Preisboom aus der Perspektive langfristig fallender Preise für die wichtigsten Agrarprodukte und er verglich die Preisentwicklungen der Jahre 2005 bis 2009 mit denen der Jahre 1971 bis 1977. 1974 stiegen die Preise im Zuge der im Herbst 1973 beginnenden ersten Erdölkrise rasch an und fielen erst 1976 wieder auf ihr altes Niveau. Die Empfehlungen von politischen Ratgebern und die Reaktionen von Politikern waren damals ziemlich dieselben wie heute: Staatlich kontollierte Lebensmittelläger, Handelsbarrieren, Versicherungen für Preise und Ausgaben und der Ruf, die Exportländer zum Verzicht auf Exportkontrollen zu verpflichten. Besonders schädlich sind dabei nach Ansicht von Sumner Politiken, die mit unilateralen, lokalen Mitteln versuchen ein Problem zu lösen, das letztlich globaler Natur ist.

Thomas Glauben vom Leibnitz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa zeigte, wie Russland und die Ukraine mit unilateralen Politiken versuchten, ihre Konsumenten von den Auswirkungen des weltweiten Preisbooms abzuschirmen. Diese beiden Länder verstärkten damit die Desintegration der Weltweizenmärkte in der Krise, und sie nahmen erhebliche Erlösverluste und Investitionsanreize für ihre Landwirtschaft in Kauf.