Wissenschaftlern vom Kieler Campus des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) ist es gemeinsam mit Forschern der Kölner Uniklinik gelungen, den genauen Mechanismus aufzuklären, wie die Bildung von reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS-reactive oxygen species) im Blut durch das Enzym NADPH-Oxidase bei Entzündungsreaktionen aktiviert wird. Damit legen sie Grundlagen für neue Ansätze in der Entzündungs- und Krebsforschung.
Die Überproduktion von reaktiven Sauerstoff-Molekülen führt zu oxidativem Stress, denn sie verbrennen (oxidieren) DANN, Lipide und Proteine, die Grundbausteine der Zellen. "Oxidativen Stress verstehen wir als äußerst negativen Faktor", sagt Professor Dr. Stefan Schütze, stellvertretender Direktor des Instituts für Immunologie, Mitglied des Kieler Sonderforschungsbereichs 415 und des "Exzellenzclusters Entzündungsforschung." "Denn die Reaktion der reaktiven Sauerstoffmoleküle, mit der Erbsubstanz DNA wird mit der Entstehung von Krebs in Zusammenhang gebracht", so Schütze. Darüber hinaus gebe es eine Verbindung mit der Entstehung von Gefäßverkalkung, das heißt der Atherosklerose.
ROS entstehen als unvermeidliches Nebenprodukt der Atmungskette während der Energiegewinnung in den "Energiekraftwerken" der Zellen, den Mitochondrien. Besonders viele Mitochondrien finden sich in Zellen mit hohem Energieverbrauch. Zum Beispiel in Muskel-, Nerven- und Sinneszellen. Eine defekte Mitochondrienfunktion mit stetiger Freisetzung von ROS wird als treibender Motor für degenerative Prozesse und Zellalterung angesehen, das heißt also für die Entstehung von Krankheiten.
Die Fähigkeit zur Bildung von ROS hat jedoch nicht nur schädigende Wirkungen für unseren Organismus, im Gegenteil: Bei Infektionen mit mikrobiellen Erregern haben sie die wichtige Funktion, die mikrobiellen Eindringlinge zu zerstören und so die Immunabwehr zu unterstützen.
Die Bedeutung der ROS-Bildung für die immunologische Abwehr wird am Beispiel der seltenen Erbkrankheit chronische Granulomatose deutlich: Bei dieser Krankheit ist die Funktion der Granulozyten und Makrophagen gestört. Diese auch als Fresszellen bezeichneten weißen Blutkörperchen können ihren Beitrag zur Immunabwehr nicht erfüllen. Krankheitserreger, speziell pathogene Bakterien und Pilze, breiten sich ohne ständige medikamentöse Behandlung daher weitgehend ungehindert im Körper der Betroffenen aus. Bei der chronischen Granulomatose ist das Enzym NADPH-Oxidase als Hautproduzent von ROS defekt und die Patienten leiden an einer erheblichen Abwehrschwäche bei mikrobiellen Infektionen, da sie zuwenig ROS dafür bilden.
ROS sind also bei der Abwehr von mikrobiellen Erregern wichtig, allerdings unter Umständen auch zu einen hohen Preis: Durch die exzessive ROS-Produktion von Immunzellen werden nicht nur die Erreger eliminiert. "Eine Folge sind zum Beispiel unvermeidbare Entzündungen", sagt Schütze, "und oft sind diese Entzündungsreaktionen unseres eigenen Immunsystems gefährlicher und als die toxischen Eigenschaften des Erregers selbst." Als bestimmende Faktoren für die Symptomatik und den Krankheitsverlauf seien sie zumal wichtig für einen Therapieansatz.
Wie es zur Bildung von ROS nach Aktivierung von Immunzellen durch den Botenstoff "Tumor Nekrose Faktor" (TNF) kommt, wurde nun von den Kieler und Kölner Forschern entschlüsselt: Eine wichtige Rolle dabei spielt das Enzym Riboflavinkinase. Dieses wird an die Erkennungsstruktur des Botenstoffs, den TNF-Rezeptor, gebunden und bildet dadurch einen Komplex mit mehreren anderen Proteinen, der in der Folge die Bildung der Sauerstoffradikalen auslöst.
Ein entscheidender Beitrag zu dieser Entdeckung wurde durch ein neuartiges biotechnologisches Verfahren zur Isolierung von kleinsten subzellulären Organellen ermöglicht. Gemeinsam mit dem Biophysiker Dr. Vladimir Tchikov hat der Immunologe Schütze das Verfahren in Kiel entwickelt und auch bereits patentiert. Dabei werden Membranstrukturen mittels kleinster magnetischer Nanopartikel markiert. Danach erfolgt die Isolierung der magnetisierten Zellbestandteile in einer eigens dafür entwickelten Magnetkammer. Die isolierten Zellbestandteile können dann mittels verschiedener biochemischer Methoden charakterisiert werden.
Mit diesem innovativen Verfahren war es den beiden Kieler Wissenschaftlern in den letzten Jahren bereits mehrfach gelungen, neue Erkenntnisse zur Regulation von Signalübertragungswegen von immunologischen Botenstoffen, den sogenannten Zytokinen, zu gewinnen.
Die Entschlüsselung dieser Vorgänge durch Kölner und Kieler Wissenschaftler ist jetzt in der Zeitschrift Nature veröffentlicht worden. Über die immunologisch-infektiologischen Aspekte hinaus haben die Ergebnisse auch Bedeutung für eine mögliche gezielte therapeutische Unterbindung überschießender ROS-Bildung. Dies könnte den Gewebsschaden einer überschießenden immunologischen Entzündungsreaktion bei Infektionskrankheiten einschränken, ohne dabei den Nutzen, also die Elimination von Infektionserregern zu gefährden. Auch beim unbestrittenen Zusammenhang zwischen vermehrter ROS-Bildung und neurodegenerativen Krankheiten sowie dem Altern können neue Forschungen ansetzen. Bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Alzheimer oder bei Artherosklerose und Alterungsprozessen könnte sich eine Unterbindung der Bildung von ROS durch NADPH-Oxidase als therapeutisch wirksam erweisen.
Link zur Nature-Veröffentlichung
www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature08206.html
Kontakt:
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Institut für Immunologie
Prof. Dr. rer. nat. Stefan Schütze
0431/597-3382
schuetze@immunologie.uni-kiel.de
Dr. rer. nat. Vladimir Tchikov
0431/597-3374
tchikov@immunologie.uni-kiel.de