Windparks verdrängen Seetaucher
Kieler Forschende sehen negativen Einfluss von Windparks auf die Population von Seevögeln
Windräder auf dem Meer haben laut einer neuen Studie von Forschenden des FTZ Forschungs- und Technologiezentrums Büsum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) negativen Einfluss auf die Bestände von Seetauchern. Dazu zählen besonders die fischfressenden Wasservögel Stern- und Prachttaucher. Seetaucher meiden Offshore-Windparks sowie direkt angrenzende Bereiche fast vollständig, zu diesem Ergebnis kommt eine in der Zeitschrift Scientific Reports veröffentlichte Studie eines Teams um den Biologen Professor Stefan Garthe vom FTZ Büsum.
Modellstudie in der Nordsee
Garthe und Kollegen haben untersucht, wie sich der Bestand an Seetauchern durch den Bau von zwölf Offshore-Windparks in der südöstlichen Nordsee verändert hat. Das Team wertete Daten aus, die zwischen 2010 und 2017 im März und April von Schiffen und Flugzeugen aus erhoben wurden. Daraus modellierte es, wie sich die Dichte der Seetaucher in den Gebieten bis zu einer Entfernung von zehn Kilometern vom jeweiligen Windpark und darüber hinaus veränderte.
Ergebnis: Die Verteilung und Häufigkeit von Seetauchern veränderten sich nach dem Bau der Windparks erheblich. Die Vögel verschwanden demnach aus der unmittelbaren Umgebung der Windräder fast vollständig. „Der Bestand an Seetauchern ging im Umkreis von einem Kilometer um die Windkraftanlagen um 94 Prozent und im Umkreis von zehn Kilometern um 54 Prozent zurück“, sagt Professor Stefan Garthe, der auch im Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science (KMS) an der CAU aktiv ist.
Insbesondere aus der Umgebung der Windparkregionen Bard/Austerngrund und nördlich von Borkum sind Seetaucher laut Studie nahezu vollständig verschwunden. „Stattdessen sammelten sich die Vögel in hoher Dichte in einem Gebiet nordwestlich der Windparks bei Helgoland. Wenn die Vogeldichte in anderen Gebieten zunehme, führe das dort möglicherweise zu einem verstärkten Wettbewerb,“ so Garthe weiter. Insgesamt sank der geschätzte Bestand der Seetaucher in der südlichen Nordsee nach Forscherangaben um 29 Prozent von knapp 35.000 Individuen vor dem Bau der Windkraftanlagen auf weniger als 25.000 Vögel nach dem Bau.
Den Forschern zufolge zeigten keine anderen Seevögel eine so signifikante negative Reaktion auf die Anwesenheit der Windkraftanlagen. Sie vermuten, dass sich der Bau der Anlagen auf die Nahrungssuche der Seetaucher auswirkt, da ihre Aktionsräume nun auf kleinere Gebiete beschränkt sind.
Weitere Analysen an verschiedenen Standorten nötig
«Wir haben keinen Zweifel daran, dass erneuerbare Energien einen Großteil unseres künftigen Energiebedarfs decken sollten», schreibt das Team in der Studie. Aber Politiker sollten auch die bestehende Krise der Artenvielfalt berücksichtigen. Analysen zu vielen Arten an verschiedenen Standorten sollten helfen, herauszufinden, welche Meeresgewässer sich am besten für Windkraftanlagen eignen, ohne Artenschutzziele zu gefährden.
Die Autoren verweisen auf frühere Studien, die bereits ergeben hätten, dass verschiedene Seevogelarten unterschiedlich auf Offshore-Windparks reagieren: einige Arten meiden Windparks, was folglich zu einer Verringerung ihres Lebensraums führt. Manche Arten würden demnach aber förmlich angelockt, was wiederum die Gefahr von Kollisionen mit Windrädern erhöht.
Die Studie wurde vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) gefördert.
Quelle: dpa/André Klohn, bearbeitet: CAU
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Stefan Garthe
Forschungs- und Technologiezentrum (FTZ), Büsum
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
garthe@ftz-west.uni-kiel.de
www.ftz.uni-kiel.de/de
Originalpublikation:
Garthe, S., Schwemmer, H., Peschko, V. et al. Large-scale effects of offshore wind farms on seabirds of high conservation concern. Sci Rep 13, 4779 (2023). DOI: 10.1038/s41598-023-31601-z
Über Kiel Marine Science (KMS)
Kiel Marine Science (KMS) ist das Zentrum für interdisziplinäre Meereswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). KMS bildet die organisatorische Einheit für alle natur-, geistes- und sozialwissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher, die sich mit den Meeren, Küsten und den Einfluss auf die Menschheit beschäftigen. Die Expertise der Gruppen kommt beispielsweise aus den Bereichen der Klimaforschung, der Küstenforschung, der Physikalischen Chemie, der Botanik, aus der Mikrobiologie, der Mathematik, der Informatik, der Ökonomie oder aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Insgesamt umfasst KMS über 70 Arbeitsgruppen an sieben Fakultäten und aus über 26 Instituten. Gemeinsam mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft arbeiten sie weltweit und transdisziplinär an Lösungen für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans.
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