Bisher unbekanntes Protein macht Pflanzen zu Zwergen

Kieler Botanik-Forschungsteam beschreibt ein neu entdecktes mitochondriales Protein bei Arabidopsis thaliana, das in die Genregulation eingreift

Die Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana gehört zur Familie der Kreuzblütler und dient Forschenden in aller Welt als gängiger Modellorganismus, der eine vergleichsweise einfache Analyse von Erbinformationen und der mit ihnen verbundenen Funktionen erlaubt. Das Genom von Arabidopsis wurden bereits vor etwa 20 Jahren vollständig sequenziert. Obwohl die Pflanzen zu den wissenschaftlich am besten untersuchten Organismen zählen, lassen sich an ihrem Beispiel weiterhin bislang unbekannte Bestandteile der pflanzlichen Regulation entdecken. An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) arbeiten Forschende aus der Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie unter der Leitung von Professor Frank Kempken an der Entschlüsselung dieser Prozesse.

In einer neuen Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Botanischen Institut nun einen neuartigen Baustein dieser Regulation charakterisiert: Von der großen Familie der pflanzlichen PPR-Proteine nahm man bisher an, dass sie vor allem an der RNA-Reifung in den Mitochondrien beteiligt sind. Nun konnte das Kieler Forschungsteam allerdings ein neues Protein identifizieren. Das Protein ist Teil der mitochondrialen Ribosomen und dort an der Proteinbiosynthese beteiligt. Der genaue Wirkmechanismus ist zwar noch unbekannt, aber die Autorinnen und Autoren konnten zeigen, dass das Protein wahrscheinlich in die Wachstumsregulation eingreift. Ist es künstlich ausgeschaltet, zeigt Arabidopsis einen verzögerten und zwergenhaften Wuchs, bei dem allerdings die volle Funktionsfähigkeit der Pflanze gewahrt bleibt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auch im Kiel Plant Center (KPC) aktiv sind, veröffentlichten ihre Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift Scientific Reports.

PPR-Proteine in Mitochondrien aktiv

Erbinformationen findet man nicht nur im Zellkern, sondern auch in Zellorganellen wie den Mitochondrien. PPR-Proteine werden durch Gene im Zellkern kodiert und über die sogenannte Boten-RNA an die Ribosomen übertragen. Dort werden sie im Zuge der Translation schließlich in Proteine übersetzt. Die fertigen PPR-Proteine werden danach in die Mitochondrien transportiert, wo sie an der Steuerung vielfältiger Lebensprozesse beteiligt sind. In jüngster Zeit haben Forschende entdeckt, dass die Untergruppe der rPPR-Proteine in den mitochondrialen Ribosomen vorkommt. Dadurch dass Mitochondrien früh in der Entwicklungsgeschichte des Lebens ursprünglich autarke einzellige Lebewesen waren, besitzen sie eine eigenständige Ausstattung zur Genexpression. Um die dortige Regulation der Erbinformationen in heutigen Pflanzen besser zu verstehen, haben die CAU-Forschenden ein bestimmtes häufig vorkommendes mitochondriales rPPR-Protein analysiert, das vom sogenannten DWEORG1-Gen kodiert wird.

„Wir haben Hinweise gefunden, die auf eine direkte Rolle von DWEORG1 bei der mitochondrialen Translation hindeuten“, sagt Dr. Stefanie Grüttner, wissenschaftliche Mitarbeiterin in Kempkens Arbeitsgruppe. „Bei Pflanzen mit experimentell ausgeschaltetem DWEORG1 zeigte sich eine reduzierte Effektivität der Translation, was auch durch das signifikant reduzierte Auftreten einer Reihe von Proteinen zum Ausdruck kam“, so Grüttner weiter. Für die Funktionsfähigkeit des Gesamtorganismus scheint DWEORG1 jedoch keine fundamentale Rolle zu spielen, denn die manipulierten Pflanzen zeigten nur eine Wachstumsverzögerung und insgesamt kleinere Größe. Ihre übrige Gestalt und Lebensprozesse waren hingegen nicht beeinträchtigt. „Insgesamt gehen wir davon aus, dass DWEORG1 für ein bislang unbekanntes rPPR-Protein verantwortlich ist, das an der Synthese einer Reihe von pflanzlichen Proteinen beteiligt ist und damit eine wichtige stabilisierende Funktion für die Genexpression in den Mitochondrien spielt“, fasst Grüttner zusammen.

Mögliche Ansätze für die Pflanzenzüchtung

Ein besseres Verständnis der genetischen Grundlagen der pflanzlichen Steuerung ist von fundamentaler Bedeutung, um zum Beispiel die Anfälligkeit oder Widerstandskraft verschiedener Pflanzen für den Klimawandel und ihre Reaktionen auf damit verbundene Änderungen der landwirtschaftlichen Anbaubedingungen abzuschätzen. Pflanzenforschende auf der ganzen Welt untersuchen daher insbesondere die genetische Regulation pflanzlicher Wachstums- und Lebensprozesse. „Die Erforschung der Rolle der rPPR-Proteine in den Mitochondrien steht erst am Anfang. Unsere neue Arbeit zur mitochondrialen Genregulation bei Arabidopsis thaliana trägt einen wichtigen Baustein zum Aufbau dieses Wissens bei, das künftig auch in der Pflanzenzüchtung zur Anwendung kommen könnte“, betont Kempken, KPC-Mitglied und Leiter der Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie an der CAU.

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Frank Kempken
Abt. Genetische Botanik und Molekularbiologie,
Botanisches Institut und Botanischer Garten, CAU:
0431-880-4274
fkempken@bot.uni-kiel.de

Eine Frau und ein Mann im Portrait
© Prof. Frank Kempken

Dr. Stefanie Grüttner und Prof. Frank Kempken konnten in der großen Familie der pflanzlichen PPR-Proteine ein neues Protein identifizieren, das als Teil der mitochondrialen Ribosomen an der Proteinbiosynthese beteiligt ist.

Wachstumsstadien von Arabidopsis
© Dr. Stefanie Grüttner

Bei Pflanzen mit experimentell ausgeschaltetem DWEORG1 (links) zeigte sich eine reduzierte Effektivität der Translation sowie eine Wachstumsverzögerung und insgesamt kleinere Größe.

Originalarbeit:

Stefanie Grüttner, Tan-Trung Nguyen, Anika Bruhs, Hakim Mireau and Frank Kempken (2022): The P-type pentatricopeptide repeat protein DWEORG1 is a non-previously reported rPPR protein of Arabidopsis mitochondria. Scientific Reports.
First published: 21. July 2022 DOI: 10.1038/s41598-022-16812-0

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