Klimawandel lässt marine Arten polwärts wandern
Modellierung von mehr als 30.000 marinen Arten zeigt mögliche massive Veränderung von Lebensräumen als Folge des Klimawandels
Die biologische Vielfalt im Meer befindet sich bereits gegenwärtig – bedingt durch die Folgen des Klimawandels – in einer Phase des rasanten Wandels. Werden die CO2-Emissionen bis zum Ende des Jahrhunderts weiter in dem Maße ansteigen wie bisher, wird der Lebensraum für viele Arten im Ozean zum einen deutlich schrumpfen und sich zum anderen weiter polwärts verlagern. Dadurch würden einst zusammenhängende Lebensräume besonders um den Äquator auseinandergerissen, mit einschneidenden Auswirkungen auf Nahrungsnetze und Populationsgrößen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine groß angelegte interdisziplinäre Modellierungsstudie von Forschenden aus Deutschland, Kanada und den Philippinen unter Beteiligung der Arbeitsgruppe Paläoklimamodellierung des Instituts für Geowissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), die kürzlich im Fachmagazin Global Change Biology erschienen ist.
„Die Ergebnisse der Studie stimmen durchaus bedenklich“
Die neue Studie stützt sich auf eine umfangreiche Datengrundlage über gegenwärtige globale Verbreitungsgebiete von mehr als 33.500 im Meer lebender Arten und auf Daten zukünftiger zu erwartender Änderungen von Umweltparametern aus globalen Klimamodellsimulationen. Durch die Integration dieser Komponenten konnten nun erstmals Zukunftsszenarien für eine große Anzahl mariner Organismen modelliert werden. Diese Berechnungen stützen sich zudem auf eine Vielzahl an Umweltparametern: Temperatur, Salzgehalt und Sauerstoffkonzentration jeweils an der Meeresoberfläche sowie am Meeresboden und Primärproduktion, Meereisbedeckung und Abstand zur Küste. Mit Klimamodelldaten für drei unterschiedliche Emissionsszenarien zukünftiger atmosphärischer Treibhausgaskonzentrationen und einem ökologischen Nischenmodell wurde abgeschätzt, in welchen Meeresregionen die untersuchten Arten zukünftig vorkommen können und wie diese Änderungen von den künftigen CO2-Emissionen abhängen. Statistische Methoden ermöglichen die gesamtheitliche Beschreibung der projizierten Änderungen.
„Uns ist es gelungen, verschieden strukturierte Modelle und Denkweisen zusammenzuführen. Mit Klimamodellen können wir nur wenige Organismen berücksichtigen, und umgekehrt können biologische Modelle keine Stoffkreisläufe oder klimatischen Parameter simulieren. Die Statistiken ermöglichen eine zusammenfassende Beschreibung der Veränderungen“, sagt Dr. Joachim Segschneider, der gemeinsam mit Professorin Birgit Schneider zu der Studie beigetragen hatte. „Die Ergebnisse der Studie stimmen durchaus bedenklich: Bei unvermindertem CO2-Ausstoß sind drastische nachteilige Veränderungen in den marinen Ökosystemen wahrscheinlich“, so Segschneider.
Erkenntnisse als Basis für Management der Ökosysteme
Rund die Hälfte der untersuchten Meeresorganismen könnten bis zum Ende des Jahrhunderts ihre derzeitigen Lebensräume verlieren, betrachtet man das emissionsreichste Szenario. Weitere Arten werden kleinere Habitate vorfinden, Verbreitungsgebiete rund um den Äquator könnten auseinanderbrechen. Dadurch sind erhebliche Auswirkungen auf Populationsgrößen und Nahrungsnetze zu erwarten, auch durch Verschiebung räuberischer Arten. Die Studie zeigt aber auch, dass das Ausmaß der räumlichen und strukturellen Veränderungen der marinen Ökosysteme entscheidend davon abhängen wird, welcher Pfad der Treibhausgasemissionen realisiert wird.
Obwohl die Wechselwirkung zwischen den Arten noch nicht berücksichtigt werden konnte, trägt die Studie entscheidend zum Verständnis bei, wie sich die Veränderungen durch den Klimawandel auf das zukünftige Leben im Meer auswirken wird. Die Erkenntnisse sind daher eine wichtige Basis für das Management der Ökosysteme, vor allem vor dem Hintergrund eines steigenden Bedarfs an natürlichen Meeresressourcen. Durch die Vorhersage könnten rechtzeitige Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Über Kiel Marine Science (KMS)
Kiel Marine Science (KMS) ist das Zentrum für interdisziplinäre Meereswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). KMS bildet die organisatorische Einheit für alle natur-, geistes- und sozialwissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher, die sich mit den Meeren, Küsten und den Einfluss auf die Menschheit beschäftigen. Die Expertise der Gruppen kommt beispielsweise aus den Bereichen der Klimaforschung, der Küstenforschung, der Physikalischen Chemie, der Botanik, aus der Mikrobiologie, der Mathematik, der Informatik, der Ökonomie oder aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Insgesamt umfasst KMS über 70 Arbeitsgruppen an sieben Fakultäten und aus über 26 Instituten. Gemeinsam mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft arbeiten sie weltweit und transdisziplinär an Lösungen für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans.
Änderung der Vorkommen mariner Arten zwischen Anfang und Ende des 21. Jahrhunderts für drei mögliche Szenarien der Treibhausgaskonzentrationen und entsprechender global gemittelter Erderwärmung für die Jahre 2090 - 2100 von 0.8oC (RCP26), 1.8oC (RCP45) und 4oC (RCP85). Rechts: breitengradabhängige Anzahl von nicht mehr vorkommenden (rot) und neu hinzugekommenen Arten (blau). Die Linien zeigen den Median, der Bereich zwischen den 25% und 75% Quantilen ist schattiert dargestellt.
Originalpublikation:
Hodapp, D., Roca, I T., Fiorentino, D., Garilao, C., Kaschner, K., Kesner-Reyes, K., Schneider, B., Segschneider, J., Kocsis, Á T., Kiessling, W., Brey, T., & Froese,R. (2023). Climate change disrupts core habitats of marine species. Global Change Biology, 00, 1–14. DOI: 10.1111/gcb.16612