Erster weltweiter archäologischer Klimagipfel erfolgreich beendet
Forschungserkenntnisse als Klimadeklaration verabschiedet: Lösungen aus der Vergangenheit für eine nachhaltige Zukunft
Das Thema Klimawandel ist in aller Munde. Um die Herausforderungen der globalen Erwärmung zu meistern, braucht es nicht nur einen kritischen Blick auf das Handeln von morgen. Für die Zukunft bedeutsam ist auch der Blick zurück in die ferne Vergangenheit. Um diesen Rückblick sowie die daraus gewonnenen Erkenntnisse für die aktuelle Klimadiskussion ging es beim ersten weltweiten archäologischen Gipfeltreffen zum Klimawandel an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).
Archäologie und Klimawandel – beides hat mehr Berührungspunkte, als es auf den ersten Blick scheint. „Bedeutsame Klimaereignisse gab es schon immer. Und schon immer haben die Menschen darauf reagiert. Das lässt sich durch Forschungen belegen. Dabei lassen sich – selbst in der Langzeitbetrachtung über die Jahrtausende hinweg – Parallelen zur heutigen Zeit ziehen. Erkenntnisse über damaligen Klimawandel und Klimafolgen können auch heute hilfreich sein“, erklärt Professor Johannes Müller vom Kieler Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU das Interesse seines Fachgebietes an der aktuellen Diskussion. Wie groß das Interesse der Fachleute ist, zeigte sich auch beim allerersten „Summit on Social Archaeology of Climate Change (SACC)“, den Archäologe Müller zusammen mit seinem Kollegen Professor Peter Biehl von der Universität Santa Cruz, Kalifornien, initiierte. Er fand im Rahmen der an der Universität Kiel durchgeführten Jahrestagung der European Association of Archaeologists (EAA) statt.
Insgesamt 45 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Vertreterinnen und Vertreter von internationalen Organisationen aus den Bereichen Archäologie, Denkmalschutz und Klimaforschung kamen virtuell zum „extrem erfolgreichen Klimagipfel“ zusammen, so Müller, um gemeinsam die Ergebnisse ihrer Forschungen über (prä)historischen Klimaereignisse zusammenzutragen und in Relation zur aktuellen Lage zu diskutieren. Das gemeinsame Ziel war, Erkenntnisse aus der Vergangenheit zu gewinnen, die auch in heutiger Zeit helfen können, die aktuellen Umwandlungsprozesse besser zu verstehen und gesellschaftliche Resilienzen aufzubauen.
Solche Erkenntnisse gab es einige, wie eine gemeinsame, weltweite Klimadeklaration am Ende des Gipfels aufzeigte: Eine davon ist der enge Zusammenhang zwischen nachhaltigem Wirtschaften und sozialen Faktoren, der über Jahrtausende sichtbar ist, erklärt Müller. Gesellschaften, in denen ein guter Zusammenhalt und ein soziales Gleichgewicht bestünden, hätten bessere Möglichkeiten, nachhaltiger mit Ressourcen umzugehen und andere Formen der Nachhaltigkeit zu entwickeln, die klimatischen Stress langfristig abmildern könnten.
Allerdings war der Umgang mit Ressourcen auch in der Vergangenheit sehr unterschiedlich. So gab es Gesellschaften mit nachhaltiger Bewirtschaftung, aber auch solche, die bereits nach mehreren Generationen ihre Siedlungsplätze aufgrund von Überausbeutung der Umwelt verlassen mussten. „Auffallend ist, wie abhängig eine positive Ressourcenbewirtschaftung von der sozialen Konstitution und der Integrationsfähigkeit von Gesellschaften ist“, sagt Müller. „Gesellschaften mit großen sozialen Unterschieden, in denen die Integration von internen oder benachbarten Gruppen nicht gelingt, scheinen auf Dauer nicht in der Lage zu sein, ein Ressourcenmanagement zu betreiben, das eine Anpassungsfähigkeit gegenüber Umweltveränderungen ermöglicht.“
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Mobilität. „Zu- und Abwanderungen sind ein Grundprinzip der menschlichen Gesellschaft. In fast jeder sesshaften Gesellschaft der letzten zehntausend Jahre sind bis zu 30 Prozent der Bevölkerung mobil“, fasst Müller die Forschungen zusammen. Allerdings gäbe es immer wieder auch unfreiwillige Formen der Migration, wie zum Beispiel „Klimaflüchtlinge“ – Menschen, die ihre Wohnorte verlassen (müssen), weil es aufgrund von klimatisch bedingt knapper werdenden Ressourcen zu Gewalt oder Kriegen kommt.
Doch auch positive Botschaften sind in der Deklaration enthalten, so Müller: Archäologische Forschungen zeigen, dass Klimawandel und Naturkatastrophen die Menschen oft nicht hilflos zurückließen, sondern sie aktiv und kreativ versuchten, Lösungen zu finden. Zwei Ergebnisse ergeben sich daher als Fazit des Klimagipfels: Um nachhaltig wirtschaften und damit auch auf den Klimawandel reagieren zu können, sollte der Zusammenhalt innerhalb von und zwischen Gesellschaften groß sein. Dies ist seit Jahrtausenden nur der Fall, wenn soziale Ungerechtigkeiten minimalisiert werden, da sonst inner- und zwischengesellschaftliche Auseinandersetzungen zu groß werden. Auch das Grundmuster der Mobilität, das zu menschlichen Gesellschaften seit Jahrtausenden gehört, sollte nicht eingeschränkt werden. „Offene Grenzen ermöglichen immer wieder die Fortschritte, die sonst nicht möglich wären“, so Müller.
Jahrestagung der European Association of Archaeologists (EAA)
Der archäologische Klimagipfel fand im Rahmen der Jahrestagung der European Association of Archaeologists (EAA) statt, dem größten archäologischen Kongress Europas. Veranstalterin war die Johanna-Mestorf-Akademie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit ihrem Exzellenzcluster ROOTS und dem Sonderforschungsbereich 1266. Mehr als 2.500 Teilnehmer aus 66 Ländern trafen virtuell zusammen und hielten Vorträge unter dem Motto „Widening Horizons“. Mit dabei waren EAA-Präsident Professor Felipe Criado-Boado, der lobte: „Kiel als Tagungsort der EAA-Konferenz 2021 steht symbolisch für die Horizonterweiterung durch die Integration von Natur- und Lebenswissenschaften in die Archäologie, durch die Einbeziehung unterschiedlichster Horizonte zwischen Ost, West, Nord und Süd und durch die Entwicklung neuer Forschungszentren, die auf bewährten Beispielen aufbauen.“ Die schleswig-holsteinische Wissenschaftsministerin Karin Prien beschrieb den zentralen Stellenwert, den die Archäologie in den Forschungsschwerpunkten des Landes Schleswig-Holstein einnehme. Universitätspräsidentin Professorin Simone Fulda betonte die entscheidende Rolle, die die Archäologie auch in der Internationalisierungsstrategie der CAU spiele.
Während der Jahrestagung nahm das Thema Klimawandel ebenfalls einen großen Stellewert ein: Die EAA hat eine europäische „Kieler EAA-Erklärung“ verabschiedet. In der heißt es unter anderem: „Der Klimawandel gefährdet archäologische Hinterlassenschaften. Zu den klimabedingten Kräften, die sich auf archäologische Stätten auswirken, gehören Küstenerosion, der Anstieg des Meeresspiegels, Dürren, Überschwemmungen, das Austrocknen von Böden, einschließlich Torf, Bodenerosion, die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Waldbränden, Veränderungen des Wetters, die zu extremer Hitze, Niederschlägen und Stürmen führen, Veränderungen der Vegetation und der biologischen Vielfalt, das Auftauen des Permafrosts und das Abschmelzen der Gletscher.“ Entsprechend werde die archäologische Denkmalpflege vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Ein Umdenken in vielen Bereichen sei nötig.
Weiterführende Links:
www.youtube.com/watch?v=Htqu9aY8AC8 Eröffnung des Jahrestreffens der EAA
www.e-a-a.org/EAA2021 EAA Kiel homepage
Kiel SACC Summit Declaration:
www.jma.uni-kiel.de/en/news/kiel-sacc-summit-statement-social-archaeology-of-climate-change
Text: Jennifer Ruske
Auf archäologischen Ausgrabungen wird Schicht für Schicht Geschichte freigelegt. Die Daten zu Umwelt- und Gesellschaftsentwicklungen vergegenwärtigen die Tragik des Klimawandels.
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Johannes Müller
Institut für Ur- und Frühgeschichte
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
johannes.mueller@ufg.uni-kiel.de
0431/880-3391
Dr. Peter F. Biehl
Universität Kalifornien, Santa Cruz
Kalifornien, USA
pbiehl@buffalo.edu
: +831 459 3336; +831 459 5079
Pressekontakt:
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