
Intelligente Osteoporose-Diagnostik
Im Alter baut sich die Knochensubstanz vieler Menschen ab. Dieser als Osteoporose bezeichnete Prozess bleibt oft unbemerkt, selbst wenn es zu Brüchen an den Wirbelkörpern kommt. Das Verbundprojekt ARTEMIS unter Kieler Leitung entwickelt eine Software für die Früherkennung.

CT-Aufnahme der Wirbelsäule mit für Radiologen erkennbaren Erkrankungszeichen. Mittels Künstlicher Intelligenz wurden die Wirbelkörperpositionen automatisch im Bild gefunden (bunte Punkte) und die beiden Wirbelkörper mit Bruch- (mittig) bzw. Verschleißanzeichen (oben) richtig identifiziert (rote Kästchen).
Bei Menschen mit Osteoporose braucht es nicht unbedingt ein dramatisches Ereignis, damit die Knochen brechen. Mitunter führt schon ein Stolpern zum Wirbelbruch. Die Betroffenen wissen oft gar nicht, dass ihre Knochen porös sind und dass sie einen gebrochenen Wirbel haben, auch wenn Schmerzen im Rücken darauf hindeuten. Mittels Röntgenuntersuchung oder Computertomografie (CT) könnte die Wirbelfraktur zwar nachgewiesen werden, aber dazu kommt es nicht immer. Diese diagnostische Lücke ist der Ansatzpunkt für das Projekt ARTEMIS (Artificial intelligence musculoskeletal disorders study). Hierbei soll mittels künstlicher Intelligenz Osteoporose diagnostiziert und sollen Vorhersagen über das zukünftige Frakturrisiko getroffen werden. Grundlage der Untersuchung sind CT-Bilder, die aus den unterschiedlichsten Gründen gemacht wurden und ohnehin in der Klinik vorliegen.
»Wir haben erste Programme entwickelt, die unter Anwendung von künstlicher Intelligenz Hinweise auf Osteoporose automatisch auf Computertomographien erkennen«, erklärt der Projektkoordinator Professor Claus-Christian Glüer. Dabei gehe es zunächst darum, Wirbelkörperfrakturen überhaupt erst einmal zu erkennen. »Die können im hektischen Klinikalltag, wenn man nach anderen Krankheiten guckt, schon mal übersehen werden«, erklärt der Professor für Medizinische Physik an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Leiter der Sektion Biomedizinische Bildgebung der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie am UKSH, Campus Kiel, und des Molecular Imaging North Competence Center (MOIN CC).
Die Diagnose der Osteoporose ist aber nur ein Aspekt. Entscheidend für Patientinnen und Patienten ist die weitere Prognose. Ziel des Projekts ist daher auch, vorhersagen zu können, wer ein hohes Risiko hat, in den nächsten zehn Jahren eine Hüftfraktur zu erleiden oder wegen Wirbelsäulenproblemen eine Operation zu benötigen. Für die Entwicklung von Prognosemodellen nutzen die Forschenden die AGES-Reykjavik-Studie aus Island, die Langzeitdaten einer sehr großen Population enthält. Anschließend werden die anhand der isländischen Daten trainierten KI-Programme in einer Kieler Kohorte getestet. Glüer: »Wir gehen von Island zurück ans UKSH nach Kiel und kontaktieren Patientinnen und Patienten, bei denen zehn Jahre zuvor CT-Bilder erstellt wurden. Wenn sie seitdem eine Hüftfraktur erlitten haben oder wegen Wirbelsäulenproblemen operiert worden sind, prüfen wir, ob unsere Programme das Risiko erkannt hätten.«
Nach Abschluss des Projekts soll die Software prinzipiell an allen Kliniken eingesetzt werden können. »Ein Kernpunkt der KI ist ja, dass sie vollautomatisch arbeitet. Dadurch, dass wir das bereits in unterschiedlichen Zentren ausprobiert haben, sind wir zuversichtlich, dass es auch funktioniert«, sagt Glüer. Er betont, dass die neue Software die Knochendichtemessung, das aktuelle Standardverfahren zur Osteoporose-Diagnostik, keinesfalls ersetzen soll. »Es ist einfach ein anderer Zugang und notwendig, da Osteoporose häufig übersehen wird. Die Daten liegen ohnehin vor, es ist keine zusätzliche Strahlenexposition notwendig.«
Die Diagnose mittels künstlicher Intelligenz funktioniert übrigens auch bei normalen Röntgenaufnahmen. Das hat Diplom-Physiker Timo Damm zusammen mit anderen Mitarbeitenden aus Glüers Arbeitsgruppe in einem anderen Projekt in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Informatik der CAU sowie aus Kalifornien (University of California, San Francisco) und anderen amerikanischen Zentren nachgewiesen. Er konnte zeigen, dass das Hüftfrakturrisiko mittels künstlicher Intelligenz anhand von Röntgenbildern des Beckens besser vorhergesagt werden kann als mit der Knochendichtemessung.
Autorin: Kerstin Nees
Projekt ARTEMIS
Das auf drei Jahre angelegte Projekt Artificial intelligence musculoskeletal disorders study (ARTEMIS) wird mit zwei Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das Projekt startete im Oktober 2020. Neben der CAU und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) sind auch die Universität zu Lübeck sowie die Uniklinik Erlangen-Nürnberg und die Ostfalia Hochschule Wolfenbüttel beteiligt. (ne)
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