Lehramtsausbildung am Wendepunkt

Versammelten führende Expertinnen und Experten zu Thema Lehramtsausbildung auf einer Tagung: (v.l.n.r.) CAU-Vizepräsident Frank Kempken, Hans-Peter Füssel, Vorsitzender der Gesellschaft für Bildungsverwaltung, und Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, mit Bildungsministerin Waltraud Wende
Foto/Copyright: Schimmelpfennig/CAU

Wie sollte das Verhältnis von Praxis und Theorie in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern aussehen? Wie erfolgreich wurde der Bologna-Prozess in Deutschland umgesetzt und wie passgenau sind Lehramtsausbildung und Schulsysteme aufeinander bezogen? Im „Dritten Sankelmarker Gespräch zur Lehrerbildung“ (25. und 26. Oktober) in der Akademie Sankelmark bei Flensburg blickten die Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwaltung (DGBV), die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) zurück und nach vorn. Rund 50 eingeladene Expertinnen und Experten aus der Politik, von Schulen, Universitäten und Forschungsinstituten diskutierten mit ihnen.

Unter dem Tagungsmotto „Lehrerbildung am Wendepunkt“ berichtete Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Waltraud Wende einleitend vom neuen Lehrerbildungsgesetz, das eine Neustrukturierung der Ausbildung zum August 2014 vorsieht. „Schulscharf und passgenau“ zum Bildungssystem würden Lehrerinnen und Lehrer künftig im nördlichsten Bundesland ausgebildet, mit eigenen Studiengängen für Grundschullehrkräfte. Alle drei Phasen, nämlich Studium, Referendariat und Fortbildung, würden besser miteinander verzahnt. Praktische Anteile solle es im Studium von Anfang an geben.

Professor Frank Kempken, Vizepräsident der CAU, nannte die Lehramtsausbildung eine zentrale Aufgabe für die Kieler Universität. Das Zentrum für Lehrerbildung werde deshalb weiter als Querstruktur zu den Fakultäten gestärkt. Inhaltlich bleibe das Lehramtsstudium an der CAU fachwissenschaftlich ausgerichtet. „Wir wissen, dass nur wer sein Fach inhaltlich gut beherrscht, auch gut unterrichten kann“, sagte Kempken. Den neuen Herausforderungen, die den zukünftige Lehrerinnen und Lehrern an den Schulen begegneten, wie der zunehmenden Vielfalt im Klassenraum, der Inklusion und dem Einsatz neuer Medien, begegne die CAU mit einem breiten Zusatzangebot. Der neustrukturierte Master of Education-Studiengang mit einem Praxissemester werde ab dem Wintersemester 2015/16 in Kiel studierbar sein.

Besser als der internationale Durchschnitt, aber mit viel Luft nach oben: Das war das Fazit von Professorin Sigrid Blömeke, die an der Humboldt-Universität Berlin im Projekt „Teacher Education and Development“ arbeitet. Ihre Studien, die sie auf der Tagung vorstellte, bescheinigten angehenden deutschen Grundschul- und Sekundarstufe I-Lehrkräften im internationalen Vergleich zwar ein überdurchschnittliches fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen. Mit weitem Abstand führten ostasiatische Länder wie Taiwan jedoch diese Liste an. Empirisch belegen konnten diese Studien aber auch, dass Lehrkräfte mit guten Fähigkeiten in beidem gute Schülerinnen und Schüler hervorbringen. „Der Abstand nach oben bedeutet praktisch einen Rückstand von mehreren Schuljahren im deutschen Bildungssystem“, fasste Blömeke zusammen.

Widerspruch regte sich unter den Bildungsfachleuten beim Vortrag von Professor Hans Peter Klein von der Goethe-Universität Frankfurt. Er berichtete vom „allmählichen Verschwinden des Faches aus der Fachdidaktik und Lehrerausbildung“. Der Anteil der Fachwissenschaften in der universitären Ausbildung sei in den letzten 40 Jahren um bis zu 50 Prozent gesunken. Fachwissen werde in Abiturprüfungen nicht mehr abgefragt. PISA-Forscher Professor Jürgen Baumert entgegnete, es gebe keinen Beweis für die Abwanderung der Fachwissenschaft.

„Weder die Hoffnungen, noch die Befürchtungen, die mit der Umstellung der grundständigen Studiengänge auf das Bachelor- und Mastersystem verbunden waren, haben sich erfüllt“, bilanzierte Bettina Jorzik vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Auf der einen Seite seien die Studienverläufe nicht flexibler geworden und auch die Studienzeiten wurden durch den Bologna-Prozess nicht verkürzt. Auf der anderen Seite habe es keine weitere Fragmentierung der Studiengänge gegeben und Studierende seien durch die Umstellung nicht demotiviert worden. Eine grundlegende Neugestaltung der universitären Lehramtsausbildung sei aber bisher ausgeblieben. Es gebe kaum gemeinsame Module von Fachwissenschaften und Fachdidaktiken, Theorie und Praxis seien nur unzureichend verzahnt.

Auch Dr. Friederike Zimmermann vom IPN zeigte in ihrem Vortrag Kritikpunkte an der Umsetzung der Bologna-Hochschulreform auf. Bachelor- und Masterstudierende seien weniger zufrieden als Kommilitonen mit traditionellen Abschlüssen als Studienziel. Verantwortlich dafür seien die höhere Arbeitslast und eingeschränkte Freiheit durch das vorstrukturierte Studium. Bei der Einführung von neuen Studienstrukturen müsse deshalb mehr auf die persönliche Entwicklung der Studierenden geachtet werden. Außerdem sei die Reform an den Universitäten sehr vielfältig umgesetzt worden. Besser vergleichbar, und dies ist ein Ziel der Umstellung auf Bachelor und Master, seien die Abschlüsse aber dadurch nicht geworden. Das Hochschulsystem sei insgesamt immerhin transparenter geworden.

Nach den Fachvorträgen, Streit- und Einzelgesprächen der Tagung zog Kempken Schlussfolgerungen für die Kieler Universität. „Lehrerinnen und Lehrer müssen heute sehr viel und Vielfältiges an den Schulen leisten. Alle diese Anforderungen in die erste Phase ihrer Ausbildung pressen zu wollen, ist nicht der richtige Weg und führt am Ziel, gute Lehrkräfte hervorzubringen, vorbei“, erklärte er. Die Universität müsse ihren Studierenden zunächst Kenntnisse im Fach und in der Didaktik vermitteln. Darauf könne dann eine praktische Ausbildung später im Studium aufbauen. „Durch forschendes Lernen werden die Studierenden eigenständiger und entwickeln ihre Persönlichkeit. Außerdem verinnerlichen sie ihr Fachwissen so sehr viel stärker“, so Kempken weiter. Um souverän mit heterogenen Schulklassen, Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund oder Behinderungen, neuen Medien und vielen anderen Einflüssen umgehen zu können, setze die CAU weiterhin auf die Zusatzqualifikationen, die im Zentrum für Lehrerbildung erworben werden können. Dieses Zentrum gehöre in die „Mitte der Universität“.