Molekulare Kraftmaschine des Zellteilungs-Motors

Interdisziplinäres Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für Biochemie und dem Institut für Allgemeine Mikrobiologie der CAU zeigt, dass dynamische Proteine die Zellmembran von Bakterienzellen verformen und so die Zellteilung einleiten können

Alle lebenden Zellen müssen zur Vermehrung wachsen und sich teilen. Die Vermehrung von Bakterien geschieht normalerweise durch eine sogenannte binäre Zellteilung. Sie macht ein besonders schnelles Wachstum von Bakterien möglich und ist der Grund, warum sich Bakterien, so auch mikrobielle Krankheitserreger, exponentiell vermehren können. Die bei der Zellteilung ablaufenden molekularen Mechanismen sind sehr komplex und noch nicht in allen Details erforscht. Eine wichtige aktuelle Frage in diesem Forschungsfeld ist, wie die zur Verformung der Zellmembran und damit für die Aufteilung einer Zelle notwendige Kraft ausgeübt wird und wie diese auf die Zellhülle einwirkt. An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) beschäftigt sich die Arbeitsgruppe Mikrobielle Biochemie und Zellbiologie um Professor Marc Bramkamp unter anderem mit bakteriellen Organisations- und Reproduktionsmechanismen. Das Forschungsteam vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie der CAU arbeitete dabei eng mit der der Arbeitsgruppe von Professorin Petra Schwille am Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried, zusammen. Beiden Gruppen gelang es nun am Beispiel des Bakteriums Escherichia coli neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Rolle das Zellteilungsmolekül FtsZ bei der Einleitung dieses Vorgangs spielt. Das interdisziplinäre Forschungsteam aus Martinsried und Kiel konnte zeigen, dass das FtsZ mittels eines als „Treadmilling“ (deutsch: „Tretmühle“) bezeichneten Prozesses die Kraft für eine Membranverformung aufbringen und so den Ablauf der Zellteilung in Gang setzen kann. Die neuen Ergebnisse über die Rolle des Proteins als molekularer Initiator der Zellteilung veröffentlichten die Forschenden heute gemeinsam in der renommierten Fachzeitschrift Nature communications.
 

Torsionskraft verformt Zellmembran

Bevor sich eine Bakterienzelle teilen kann, muss an der Teilungsstelle die mehrlagige Zellhülle aus Zellmembran und Zellwand verdoppelt werden. Zudem steht die Zelle unter einem osmotischen Innendruck, dem sogenannten Zellturgor. Damit die Zelle bei der Teilung nicht platzt, muss daher die Stabilität der Zellhülle zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Um in diesem kompliziert regulierten Prozess die Frage der Kraftübertragung zur Verformung der Zellmembran zu untersuchen, arbeitete Bramkamps Arbeitsgruppe mit Professorin Petra Schwille aus Martinsried zusammen. Ausgangspunkt der Untersuchung waren Ergebnisse der Max-Planck-Forschenden, die sie anhand eines Modellsystems gewannen: Im Reagenzglas haben sie die Wirkung eines modifizierten FtsZ-Proteins auf eine künstliche Zellmembran untersucht und konnten daran prinzipiell belegen, dass die Membranverformung durch das Protein tatsächlich als physikalische Kraft auftritt und gemessen werden kann. An dieser Stelle setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Kieler Mikrobiologie an, um diese grundsätzlichen Prinzipien auf ihre Gültigkeit in einer lebenden Zelle zu überprüfen. „Um im lebendigen Organismus mögliche Effekte auf die Zellmembran präzise beobachten zu können, haben wir zunächst einen Trick angewendet und die Zellwand von E. coli-Zellen entfernt und in ein isotonisches Medium überführt, in dem sie zwar ohne Innendruck, aber ansonsten normal überleben können“, erklärt Mitautor Fabian Meyer, Doktorand in Bramkamps Arbeitsgruppe. „Anschließend konnten wir bestätigen, dass auch in vivo die Verankerung des FtsZ-Proteins an der Membran einer E. coli-Zelle tatsächlich stattfindet. Die Voraussetzung für eine Kraftübertragung durch das Protein war damit schon einmal erfüllt. Ihre Effekte konnten wir dann in Abwesenheit des vom Zellturgor ausgehenden Gegendrucks noch besser betrachten“, so Meyer weiter.

In einem nächsten Schritt untersuchten die Kieler Forschenden, wie sich der in seiner Struktur seit einigen Jahren bekannte „Treadmilling“-Mechanismus funktionell auf die bakterielle Zellmembran auswirkt. Das FtsZ-Protein bildet eine ringförmige Struktur, an die sich weitere zur Zellteilung benötigte Enzyme anlagern können. Dabei werden laufend Bausteine in das wachsende Filament eingebaut, während am Ende des Filaments andere wieder herausfallen, so dass sich die gesamte Struktur quasi auf der Stelle kreisförmig um sich selber dreht. „Die Frage war nun, ob das FtsZ über dieses ‚Treadmillling‘ auch in vivo ein Drehmoment erzeugen kann, das für eine Verformung der Zellmembran geeignet ist“, betont Meyer. „Mit Hilfe von dreidimensionaler Fluoreszenzmikroskopie konnten wir bestätigen, dass die Kraftausübung durch das FtsZ tatsächlich auch in Anwesenheit aller übrigen Proteine einer lebenden Zelle genauso stattfindet wie im Modell. Wir konnten also direkt dabei zuschauen, wie das Protein einzelne Membranbestandteile abschnürt und damit die für eine Teilung notwendige Richtungsänderung der Membran einleitet“, so Meyer weiter. Damit gelang den Forschungsteams von Professorin Schwille und Professor Bramkamp der Beweis, dass die Dynamik des FtsZ-Proteins in der Tat auch im lebenden Organismus eine Kraft auf die Membran ausübt – und sie ausreicht, um diese zu verformen.
 

Zelluläre Selbstorganisation mittels Bildgebung studieren

Die neuen Ergebnisse der Forschungskooperation zwischen CAU und dem Max-Planck-Institut für Biochemie demonstrieren ein weiteres Mal den großen Wert der interdisziplinären Zusammenarbeit: Nur die gemeinsame Anstrengung biophysikalischer und molekularbiologischer Expertinnen und Experten erlaubte es in diesem Fall, in Form der Analyse des FtsZ-Proteins und seiner Rolle in der Membranverformung, einen weiteren Baustein der molekularen Architektur des Lebens zu entschlüsseln. Großen Anteil daran hat aus Kieler Sicht erneut die Anwendung mikroskopischer Analysen: „Unsere Bildgebungsverfahren, in diesem Fall die dreidimensionale Fluoreszenzmikroskopie, erlauben uns hier und in anderen Fällen Einblicke in Lebensprozesse, die weit über biochemische Analysen hinausgehen“, betont Bramkamp, Leiter der Arbeitsgruppe Mikrobielle Biochemie und Zellbiologie an der CAU. „Biochemisch betrachtet mündet die Bindung des FtsZ-Proteins an einen Energieträger in der Freisetzung von Energie. Erst die Beobachtung des Proteins in der lebenden Zelle erlaubt es uns, die Wirkung dieser Energieabgabe nachzuvollziehen – die sich in diesem Fall in der Verformung der Zellmembran äußert“, so Bramkamp weiter, der auch die Zentrale Mikroskopie (ZM) an der Landesuniversität leitet. Insgesamt trägt die neue Forschungsarbeit zum Bestreben der Arbeitsgruppe Mikrobielle Biochemie und Zellbiologie bei, allgemeingültige Prinzipien der biologischen Musterbildung zu identifizieren. Diese Musterbildung ist in der Biologie von zentraler Bedeutung, etwa bei der Entstehung komplexer vielzelliger Lebewesen.

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Marc Bramkamp
Arbeitsgruppe Mikrobielle Biochemie und Zellbiologie,
Institut für Allgemeine Mikrobiologie, CAU
0431-880-4341
bramkamp@ifam.uni-kiel.de

Stäbchenbakterien unter dem Mikroskop
© Fabian Meyer

Das Zellteilungprotein FtsZ (gelb markiert) ist an seiner typischen Position zu Beginn der Zellteilung in einer E. coli-Zelle zu sehen.


Eine E. coli-Zelle unter dem Mikroskop
© Fabian Meyer


Nachdem die Zellwand entfernt wurde, bildet sich unter isotonischen Bedingungen eine Abschnürung der Zellmembran einer E. coli-Zelle, die auf die Krafteinwirkung von FtsZ zurückzuführen ist.


Originalarbeit:

Diego A. Ramirez-Diaz, Adrian Merino-Salomon, Fabian Meyer, Michael Heymann, German Rivas, Marc Bramkamp & Petra Schwille (2021): FtsZ induces membrane deformations via torsional stress upon GTP hydrolysis. Nature communications First published: 3. June 2021
DOI: 10.1038/s41467-021-23387-3

Weitere Informationen:

Über Kiel Life Science (KLS)

Das interdisziplinäre Zentrum für angewandte Lebenswissenschaften – Kiel Life Science“(KLS) – vernetzt an der CAU Forschungen aus den Agrar- und Ernährungswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Medizin. Es bildet einen von vier Forschungsschwerpunkten an der Universität Kiel und will die zellulären und molekularen Prozesse besser verstehen, mit denen Lebewesen auf Umwelteinflüsse reagieren. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Fragen, wie sich landwirtschaftliche Nutzpflanzen an spezielle Wachstumsbedingungen anpassen oder wie im Zusammenspiel von Genen, dem individuellen Lebensstil und Umweltfaktoren Krankheiten entstehen können. Gesundheit wird dabei immer ganzheitlich im Kontext der Evolution betrachtet. Unter dem Dach des Forschungsschwerpunkts sind derzeit rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 40 Instituten und sechs Fakultäten der CAU als Vollmitglieder versammelt.

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Wissenschaftskommunikation
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