
Im Sprint zum Corona-Impfstoff
Gegen das neue Coronavirus gelang es in Rekordzeit, Impfstoffe zu entwickeln, die offensichtlich wirksam und sicher sind. Wie funktioniert die Impfung? Halten die Impfstoffe, was sie versprechen? Und wurden sie in der kurzen Zeit wirklich sorgfältig geprüft?

Seit Ende 2020 wird in Deutschland gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft. Noch ist der Impfstoff rar und daher besonderes infektionsgefährdeten Gruppen vorbehalten.
Impfungen sind neben Abstand, Quarantäne und Hygiene eine wichtige Säule im Kampf gegen lebensbedrohliche Infektionskrankheiten. Aus diesem Grund wird weltweit intensiv an der Entwicklung von Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 geforscht, die ersten Impfstoffe wurden bereits zugelassen. Ziel der Impfung ist, weite Teile der Bevölkerung immun gegen die Infektionskrankheit zu machen. Das heißt, sie können sich nicht mehr bei anderen anstecken und geben idealerweise auch die Erkrankung nicht weiter. Dadurch könnte die Ausbreitung von SARS-CoV-2 eingedämmt und schwere Krankheitsfälle zu verhindert werden.
Können die angekündigten Impfstoffe die Pandemie eindämmen?
Die Ankündigungen einer über 90-prozentigen Wirksamkeit der Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna stimmen zuversichtlich. Damit könnte die Wende in der Pandemie eingeläutet werden. Der Kieler Virologe Professor Helmut Fickenscher dämpft die Erwartungen allerdings: »Ich bin sehr gespannt, ob sich die Ergebnisse der Phase-III-Studien bestätigen. Ich würde mich freuen. Aber wie die Wirksamkeit in der Bevölkerung sein wird, kann man jetzt noch nicht vorhersagen«, sagt Fickenscher, der das Institut für Infektionsmedizin leitet. Für Professorin Regina Scherließ vom Pharmazeutischen Institut der CAU ist noch fraglich, ob die gänzlich neuartigen Impfstoffe auch tatsächlich die Risikogruppen schützen, die besonders gefährdet sind. »Diese Teilgruppen in den klinischen Studien müssen sorgfältig ausgewertet werden.«
Trotz Unsicherheiten bezüglich Ausmaß und Dauer der Wirksamkeit, spricht sich Fickenscher für die Impfung aus. »Die Impfung bietet die Chance, sich und andere vor einer ernsten Infektionskrankheit zu schützen«, so der Infektionsmediziner. »Diese Chance sollte man unbedingt nutzen, auch in Anbetracht der drohenden Spätfolgen durch die Covid-19-Erkrankung«, ergänzt die Pharmazeutin.
Wie funktioniert eine Impfung?
Ziel der Impfung ist, das körpereigene Immunsystem auf einen Krankheitserreger zu trainieren. Hierzu werden abgetötete, abgeschwächte oder auch nur Bruchstücke der Erreger (Antigene) verabreicht, die selbst keine ernsthafte Erkrankung mehr verursachen können. Ein relativ neuer Ansatz sind mRNA-Impfstoffe. Dieses Prinzip wird bei den Impfstoffen von BioNTech und Moderna angewandt. Sie enthalten genetische Informationen des Erregers, aus denen der Körper ein Viruseiweiß herstellt. Die Virus-RNA wird synthetisch hergestellt. »Beim klassischen Ansatz der Impfstoffherstellung wird hingegen ein Protein aus dem Virus isoliert und gereinigt. Das ist sehr viel aufwändiger«, erklärt Regina Scherließ, die die Arbeitsgruppe Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie leitet.
Egal welches Verfahren zum Einsatz kommt, es geht immer darum, dem Körper eine Infektion vorzutäuschen. Er reagiert darauf mit der Bildung von Antikörpern und sogenannten Gedächtniszellen. Bei einem zukünftigen Kontakt mit dem echten Erreger können diese schnell aktiv werden und die Erkrankung abwehren.
Die klinische Prüfung der Impfstoffe erfolgte in Rekordzeit. Wurde hier wirklich sorgfältig auf Risiken und Nebenwirkungen geprüft?
Wie bei allen Prüfungen von Impfstoffen und auch von Arzneimitteln wird zunächst im Tiermodell die Verträglichkeit und prinzipielle Wirksamkeit untersucht. Erst nach diesen präklinischen Tests wird der Wirkstoff in drei Phasen in klinischen Studien am Menschen getestet. Vor der Zulassung und Anwendung eines Impfstoffs muss die Sicherheit und Wirksamkeit in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nachgewiesen werden, das heißt, alle zugelassenen Impfstoffe haben alle drei Phasen abgeschlossen. Die Messlatte für einen Impfstoff ist hoch, da er gesunden Menschen verabreicht werden soll. Auch nach seiner Marktzulassung erfolgt eine kontinuierliche Überwachung, um auch seltene Probleme aufzuspüren.
In den klinischen Studien erwiesen sich die aktuell erfolgreichen Impfstoffkandidaten als gut verträglich. Wie von anderen Impfungen bekannt, kam es zu Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Rötungen und Schmerzen an der Einstichstelle und dergleichen. Das sind Zeichen dafür, dass das Immunsystem auf die Impfung reagiert. Schwere Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. »Die auf RNA basierten Impfstoffe sind besonders einfach herzustellen. Und deshalb geht die Entwicklung hier relativ schnell«, so Fickenscher. Er hält es für extrem unwahrscheinlich, »dass RNA-Impfstoffe relevante Nebenwirkungen haben.« Denn es werde, so der Infektionsmediziner, kein komplexes Antigen eingesetzt, also kein abgeschwächter oder abgetöteter Erreger, sondern nur der Bauplan für ein Virusprotein. Bisher gibt es, außer den jetzt neu zugelassenen Corona-Impfstoffen, allerdings noch keinen anderen zugelassenen Impfstoff mit einem derartigen Wirkprinzip und damit auch noch keine Erfahrungswerte in der breiten Anwendung. Gänzlich neu ist das Prinzip aber nicht. Schon seit längerer Zeit werden aber Impfstoffkandidaten und neuartige Krebstherapien auf RNA-Basis entwickelt.
Eine in sozialen Medien häufig kolportierte Befürchtung kann auf jeden Fall ausgeschlossen werden: »Die mit der Impfung verabreichte mRNA wird unter anderem aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht ins menschliche Genom eingebaut, sondern rasch von körpereigenen Enzymen inaktiviert und abgebaut«, erklärt Scherließ.
Warum dauert die Impfstoffentwicklung üblicherweise so lange oder gelingt gar nicht?
Bei der Entwicklung von Impfstoffen können verschiedene Schwierigkeiten auftreten. »Zum Beispiel hat man lange Zeit versucht, Impfstoffe gegen das Ebolavirus zu entwickeln. Man konnte die Impfstoffkandidaten dann aber nicht testen, weil es keine Krankheitsausbrüche gab«, erklärt der Infektionsmediziner Fickenscher. Erst als es einen großen Ausbruch von Ebola in Westafrika gab, habe man den Impfstoff testen und die Wirksamkeit beweisen können. Dieser Impfstoff wurde Ende 2019 zugelassen. Entscheidend für die Entwicklung ist ein funktionierendes Grundprinzip, so Helmut Fickenscher, »und wo das nicht zu finden ist, wie beim Humanen Immundefizienz-Virus (HIV), beim Hepatitis-C-Virus oder bei der Tuberkulose, zieht sich das sehr in die Länge. Wenn klar ist, wo es lang geht, ist die Impfstoffentwicklung zwar immer noch kompliziert, aber gewöhnlich innerhalb von wenigen Jahren komplett durch.«
Wie misst man die Wirksamkeit eines Impfstoffs?
Während bei einem therapeutischen Wirkstoff, zum Beispiel gegen Bluthochdruck, geprüft wird, ob das neue Medikament den Blutdruck besser senkt als ein wirkungsloses Scheinmedikament (Placebo), muss ein vorbeugender Impfstoff unter Beweis stellen, dass die Infektion nicht eintritt. Dafür müssen sehr viele Menschen in den Studien eine Impfung mit dem neuen Impfstoff oder mit einem Placebo erhalten. Und erst wenn eine gewisse Anzahl an Infektionen aufgetreten ist, lässt sich beurteilen, ob in der tatsächlich geimpften Gruppe weniger Menschen erkranken als in der Placebogruppe. »Wir sind im Rahmen der klinischen Studien darauf angewiesen, dass unter den Probandinnen und Probanden ein gewisser Prozentsatz tatsächlich dem Virus ausgesetzt ist und erkrankt oder eben nicht erkrankt«, verdeutlicht Regina Scherließ. »Das ist der Grund, weshalb die Studien in Ländern mit hoher Virusverbreitung erfolgten.«
In der Studie von BioNTech/Pfizer wurden über 40.000 Personen geimpft. An Covid-19 erkrankten 162 Personen der Placebogruppe und 8 Personen der Impfstoffgruppe (N Engl J Med 2020; 383:2603-2615). Daraus errechnet sich eine Wirksamkeit von 95 Prozent. Die Phase-3-Studiendaten des Moderna-Impfstoffs sind ebenfalls publiziert (N Engl J Med 2020 Dec 30). Diese bescheinigen auch dem Moderna-Impfstoff eine Wirksamkeit von 94,1 Prozent. Für eine präzise Aussage zur Wirksamkeit ist aber nach Ansicht von Fickenscher auch diese Größenordnung noch dürftig. Wie wirksam der Impfstoff tatsächlich ist, werde die Realität zeigen. Ebenfalls unklar sei, wie die langfristige Wirksamkeit der Impfstoffe aussieht. »Man kann die Infektion mit SARS-CoV-2 durchmachen, ohne irgendein Anzeichen für eine Immunreaktion. Und deshalb müssen wir da offen sein, wie gut die Impfung wirklich funktioniert und wie häufig dieses Phänomen vorkommt«, so Fickenscher.
Autorin: Kerstin Nees
unizeit-Suche:
In der unizeit ab Ausgabe 93 suchen
In den unizeit-Ausgaben 27-93 suchen
unizeit #105
unizeit als PDF
Archiv
Kontakt
unizeit@uni-kiel.de
0431/880-2104
Abo, Feedback und Termine