Corona-Pandemie und das Arbeiten im Ausland

Geschlossene Grenzen infolge der Pandemie: Welchen Einfluss Corona auf migrantische Arbeitskräfte im Ausland hat, untersucht Professor Matthias Lücke vom Kiel Institut für Weltwirtschaft für den Bereich Osteuropa. *

Drei Arbeiter auf einer Baustelle
© iStock/Bulga

Besonders auf dem Bau in Osteuropa werden migrantische Arbeitskräfte eingesetzt.

Ein Virus hat das Leben lahmgelegt: COVID-19 sorgte im Jahr 2020 weltweit für einen Lockdown. Geschäfte geschlossen, ganze Branchen heruntergefahren, die einzelnen Länder durch Grenzschließungen abgeschottet. Das hatte Auswirkungen auf die globale Wirtschaft – und auf die Menschen, die diese mit ihrer Arbeitskraft am Laufen halten. Dazu gehören Menschen aus Osteuropa und Zentralasien, die zeitweise in Russland arbeiten und dort auf dem Bau, in der Pflege oder im Einzelhandel beschäftigt sind. Wie hat sich die Einschränkung der Mobilität auf migrantische Arbeitskräfte dort ausgewirkt? Mit dieser Frage beschäftigt sich Dr. Matthias Lücke, Senior Researcher am Kiel Institut für Weltwirtschaft und Experte für internationale Migration.

Die These des Osteuropa-Kenners ist, dass es weltweit erstaunlich wenig einschneidende Veränderungen gegeben habe. Denn trotz geschlossener Grenzen etwa für touristische Reisen lief der Warentransport zwischen den meisten Ländern weiter, erklärt der Honorarprofessor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel. Auch die meisten Arbeitskräfte durften reisen, mussten gegebenenfalls einige Zeit in Quarantäne verbringen. »Für migrantische Arbeitskräfte in Russland gab es – außer in den ersten Monaten der Pandemie – wenig Schwierigkeiten auf dem Weg zur Arbeit und zurück ins Herkunftsland.« Genauso kamen in Deutschland Erntehelferinnen und Erntehelfer weiterhin ins Land, ebenso wie die migrantischen Arbeitskräfte, die zum Beispiel in den Schlachthäusern und in der Lebensmittelverarbeitung beschäftigt sind.

Lücke hat sich besonders die langfristigen Beschäftigungsverhältnisse von Menschen angeschaut, die mehrere Monate am Stück in Russland beschäftigt sind, aber ihre Heimat, ihren Haushalt und ihre Familie in Moldau, Usbekistan oder auch in der Ukraine haben. »Besonders auf dem Land und in Kleinstädten in Osteuropa gibt es viel temporäre Migration ins Hochlohnland Russland, weil es dort Arbeit und im Vergleich zur Heimat eine bessere Bezahlung gibt.« Das Geld dient dazu, die Familie zu unterstützen, die weiterhin relativ günstig zu Hause lebt.

Die Geldtransfers per Bank in die Heimat dienten dem Experten als wichtige Quelle, um seine These zu untersuchen. Zudem konnte Lücke auf die in Russland üblichen Befragungen in den Haushalten und den Arbeitsstätten sowie auf Einreise-Statistiken zurückgreifen. »Wobei oft nicht klar ist, wie groß der Wahrheitsgehalt bei den Umfragen ist«, sagt Lücke. Die Geldtransfers laut Zahlungsbilanz erscheinen daher als robuste Quelle, auch wenn die Summen, die bar nach Hause gebracht werden, teilweise nur geschätzt werden können.

In Moldau machen die Rücküberweisungen der migrantischen Arbeitskräfte derzeit noch 16 Prozent des heimischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus.

Matthias Lücke

Weltweit sind die Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten in Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zwischen 2019 und 2020 nur geringfügig (um 1,7 Prozent) gesunken, so Lücke. 2021 haben sie sich wieder erholt und sind sogar um 7,3 Prozent gestiegen. Ähnlich sah es in Moldau und in der Ukraine aus, während etwa in Usbekistan die empfangenen Geldtransfers 2020 um 18 Prozent zurückgingen und sich 2021 von diesem Rückschlag erst teilweise erholt haben.

Warum das so ist, erklärt sich der Experte mit der Art der Jobs: »Die migrantischen Arbeitskräfte findet man oft in essenziellen Bereichen wie der Pflege oder der Bauindustrie. Die Arbeit lief während der Krise weiter, da wurden Menschen benötigt. Wer seinen Job in anderen Bereichen verlor, fand hier einen neuen. Daher gab es die Reise-Ausnahmen während der Corona-Krise.« Das war nicht nur für die russische Wirtschaft gut, sondern auch für die der Heimatländer. »In Moldau machen die Rücküberweisungen der migrantischen Arbeitskräfte derzeit noch 16 Prozent des heimischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus; Mitte der 2000er Jahre war es sogar bis zu einem Drittel. In Usbekistan sorgen die rund zwei bis drei Millionen migrantischen Arbeitskräfte für Familieneinkommen in Höhe von gut zwölf Prozent des heimischen BIP und in der Ukraine decken die Rücküberweisungen immer noch ein Zehntel des BIP ab. Gerade für viele kleinere Herkunftsländer sind Arbeit und Einkommen im Ausland ein wirtschaftlicher Anker.«

Lückes Fazit: Covid-19 hat nur begrenzt Einfluss auf die Zahl der migrantischen Arbeitskräfte gehabt. Größere Folgen haben politische Krisen, wie in den letzten zehn Jahren zwischen der Ukraine und Russland. Seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 gibt es in Russland nur noch wenige ukrainische Arbeitskräfte, während an die zwei Millionen Menschen aus der Ukraine in Polen arbeiten. »Wie sich die Lage migrantischer Arbeitskräfte in Russland angesichts der Finanzsanktionen und heraufziehenden Wirtschaftskrise entwickelt, muss sich zeigen.«

Autorin: Jennifer Ruske

* Der Beitrag bezieht sich auf die Situation vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

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