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Sternstunden der Archäologie

Ein Kieler Forschungsteam geht der Vergangenheit in der rumänischen Region Sultana auf den Grund. In der international und interdisziplinär besetzen Ausgrabungswerkstatt an der unteren Donau werden 7.500 Jahre alte Siedlungshügel untersucht. Dabei treten spannende Funde zutage.

Mehrere Personen an einer archäologischen Grabungsstelle
© Johannes Müller

Studierende der Universitäten Bukarest und Kiel bei Vermessungs- und Ausgrabungsarbeit an einer Grabungsstelle im Tell Sultana.

Wenn zwischen fester Erdschicht und losem Sand ein kleines weißes oder kupferfarbenes Schimmern aufblitzt, dann schlägt auch das Herz gestandener Archäologinnen und Archäologen höher. Eine Vielzahl solcher Entdeckermomente hat das wissenschaftlich breit aufgestellte Team der Christian-Albrechts-Universität in diesem Sommer in Rumänien erlebt. Zum ersten Mal ist die Kieler Universität – zusammen mit der Universität Bukarest – an der international besetzten Ausgrabungswerkstatt »Sultana School of Archaeology« beteiligt. Insgesamt 50 Studierende und Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen der Kieler Universität sowie aus ganz Europa erforschen die 7.500 Jahre alten Siedlungshügel in der Region Sultana an der unteren Donau. Die Kieler Forschungen sind im Sonderforschungsbereich 1266 »TransformationsDimensionen« angesiedelt, der Mensch-Umwelt-Wechselwirkungen in einem Zeitfenster von 15000 vor Christus bis zur Zeitenwende untersucht und zunächst bis Mitte 2024 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird.

»Diese Ausgrabung ist eine ganz besondere«, sagt Professor Johannes Müller vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU, der zusammen mit Dr. Catalin Lazar von der Universität Bukarest die Leitung des internationalen Projektes hat. »Es sind zum einen die europäische Perspektive der Projektgruppe und ihre Interdisziplinarität, die das Projekt voranbringen«, so Müller. Zum anderen liegt die Besonderheit im Gegenstand der Untersuchungen: Die Siedlungslandschaft an der unteren Donau stellte um 4500 vor Christus die wohl innovativste Region in ganz Europa dar. »Die Menschen haben damals schon die Kupfermetallurgie entwickelt, Werkzeuge daraus hergestellt und mit diesen Handel betrieben«, sagt Müller. »In dieser Region wurde auch eine Kombination verschiedener Nahrungsressourcen praktiziert, das heißt, es wurde gejagt, gefischt, es wurden Rinder und Schweine gehalten und Früchte und Obst gesammelt, um die schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren«, ergänzt die Kieler Professorin und Archäobotanikerin Wiebke Kirleis, die Makroreste von Getreide und Früchten in Bodenproben gefunden hat.

Besonders aber hat es die Art des Siedlungsbaus den Fachleuten angetan: »In der Region wurden neue Architekturelemente wie das Wohnen auf Siedlungshügeln eingeführt«, erklärt Müller. Entstanden sind die bis zu neun Meter hohen Hügel, die sich in großer Zahl in jeweils fünf bis zehn Kilometern Abstand am Fluss finden lassen, weil die Menschen auf Überresten ihrer durch Alter, Witterung, Feuer oder Überschwemmung zerstörten Lehmbauten neue Häuser erbauten. Schicht für Schicht geben diese nun ihre Geheimnisse preis.

Einfache Möbelminiaturen aus Keramik
© Agnes Heitmann, Uni Kiel

Gut erhalten ist das Möbel-Miniatur-Set aus Keramik, das bei den Ausgrabungen gefunden wurde.


»Wir haben im Sommer bei den Grabungen auf den Siedlungshügeln, den sogenannten Tells, unglaublich viele spannende Dinge entdeckt«, schwärmt der prähistorische Archäologe Müller. Nach den Vorarbeiten des geophysikalischen Teams aus Kiel (Leitung Professor Wolfgang Rabbel, Institut für Geowissenschaften), das mittels Bodenradar und anderer geophysikalischer Methoden »den Siedlungshügel erstmals durchgehend rekonstruieren« konnte, wie Doktorand Manuel Zolchow erklärt, haben sich die Archäologinnen und Archäologen stellenweise bis zu 4,50 Meter tief in die feste Erde gegraben. Dabei wurden in verschiedenen Bodenschichten Reste von rund 20 Lehmhäusern unterschiedlichen Alters, Überreste einer 4,50 Meter hohen Palisadenanlage, die zur Verteidigung der Siedlung diente, sowie ein menschliches Grab entdeckt. Unter den Fundstücken waren auch etliche Tierknochen von Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen, Werkzeuge aus Kupfer und Keramikgefäße zum Gebrauch und zur Dekoration. »Es ist schon faszinierend, eine umgefallene Schrankwand mit zahlreichen Töpfen über dem ehemaligen Fußboden eines Hauses auszugraben – so etwas findet man in Mitteleuropa nur selten und das gehört zu den Sternstunden der Archäologie«, erklärt auch der Kieler Archäologe Dr. Robert Hofmann.

Ein ganz besonderer Fund, der nicht nur die Herzen der Keramik-Spezialistinnen und -Spezialisten höherschlagen ließ, ist das gut erhaltene Möbel-Miniatur-Set aus Keramik: »Das gibt uns einen guten Einblick in das Wohnen in der Zeit um 4500 vor Christus«, sagt Hoffmann. Weitere Funde zeigen, dass die Menschen der Kupferzeit sich bereits beruflich spezialisiert hatten«, erklärt Kirleis. »Es wurde Ackerbau und Viehzucht betrieben, gefischt und gejagt und Werkzeug und Keramik hergestellt.« Die Archäobotanikerin interessiert sich besonders für die Essgewohnheiten der Menschen, die sie mittels Bodenproben unter anderem aus Feuerstellen ermittelt.

Neben den Untersuchungen in der Siedlung selbst erforschen die Abteilungen Archäobotanik und Geoarchäologie (Institut für Ökosystemforschung), wie sich regionale Veränderungen der Umwelt wie beispielsweise Überschwemmungen und durch den Menschen verursachtes Abholzen von Wald auf das Leben in der Siedlung und auf das Nahrungsangebot auswirkten. »Um einen guten Einblick in die Lebensweise der Menschen, die Populationsgröße, aber auch die Beschaffenheit und Vegetation der Landschaft vor 7.500 Jahren zu bekommen, werden wir weiterhin vor Ort mit dem internationalen und interdisziplinären Team Grabungen durchführen. Im Anschluss werden wir unsere Proben in Kiel analysieren und auswerten«, sagt Projektleiter Müller und erklärt: Die Arbeit in den Laboren der Uni dauert in der Regel neunmal so lang wie die Ausgrabung selbst. »Das Hochgefühl, wenn sich aus einzelnen Puzzleteilen am Ende ein vielschichtiges Bild der Vergangenheit zusammensetzen lässt, ist aber genauso groß wie beim Finden der Stücke.«

Autorin: Jennifer Ruske

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