
Aus erster Hand
Das ist besonders: Im Institut für Inklusive Bildung der Kieler Universität lehren ausschließlich Menschen mit Behinderung. Das ist nicht nur ein Novum, sondern ein Meilenstein für die Inklusion an Schulen und die Lehre an der Uni.

Samuel-David Wunsch (links) und Laura Schwörer gehören zu den Bildungsfachkräften, die an der Uni Kiel lehren.
Foto: Institut für Inklusive Bildung
»Macht ihr einen Ausflug?« An diesen Spruch erinnern sich Laura Schwörer, Samuel-David Wunsch, Isabell Veronese, Horst-Alexander Finke und Marco Reschat noch wie heute. Bei ihrem ersten Einsatz in der Fachhochschule Kiel wurden die Bildungsfachkräfte von einem Angestellten nicht nur geduzt, sondern – ob ihrer Behinderung – für minderbegabt gehalten. »Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie Menschen mit Einschränkungen häufig wahrgenommen und behandelt werden«, weiß Marco Reschat (32), der im Rollstuhl sitzt.
Diese Episode ist inzwischen acht Jahre her. »Damals startete die Stiftung Drachensee das Leuchtturmprojekt, bei dem sie Menschen mit Behinderungen qualifizierte, Studierende zu unterrichten«, erläutert Dr. Jan Wulf-Schnabel, Geschäftsführer des Instituts für Inklusive Bildung. Daraus ist das Institut entstanden, das im November 2016 als Einrichtung der Kieler Universität angegliedert wurde. Seitdem können sich Studierende das ganz persönliche Wissen der Expertinnen und Experten in eigener Sache zu Nutze machen.
Dass sie Teil eines so besonderen Projekts und inzwischen auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sind, macht die Bildungsfachkräfte stolz. »Die Arbeit macht Spaß«, sagt Reschat. Der Handballfan sowie seine Kolleginnen und Kollegen geben regelmäßig Vorlesungen für Erstsemester und leiten Workshops, mit denen sie Studierende für das Thema Behinderung sensibilisieren wollen.
»Wir erklären ihnen unsere Lebenswelt«, sagt Samuel-David Wunsch (32). »Wie sieht unser Alltag aus, wie unsere Freizeit, wo gibt es Probleme und auf was sollten die angehenden Fach- und Führungskräfte im Umgang mit behinderten Kindern und Jugendlichen achten? Das und mehr sind die Themen, die wir behandeln«, ergänzen Laura Schwörer (28), Isabell Veronese (31) und Horst-Alexander Finke (52). Sie wünschen sich von den angehenden Lehrkräften »Geduld und die Bereitschaft, sich auf Menschen mit Behinderung einzulassen«, formuliert es Laura Schwörer. »Und dass sie keine Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg treffen, sondern uns fragen.«
In der Kieler Uni sind die Bildungsfachkräfte ein fester Teil des Lehrplans. Das Institutsangebot steht allen Fakultäten und Studiengängen unkompliziert zur Verfügung – auch an anderen Hochschulen und Einrichtungen. »Anfangs waren wir noch aufgeregt, aber inzwischen schreckt uns auch ein voller Hörsaal nicht ab«, sagt Reschat selbstbewusst. Und das ist gut so, denn »die Bildungsfachkräfte referieren regelmäßig vor vollem Haus«.
Darauf verweist Professorin Birgit Brouër vom Institut für Pädagogik. »Die Studierenden sind in der Regel sehr beeindruckt von den Vorlesungen«, versichert die Professorin für empirische Bildungsforschung. Dass Menschen, die im öffentlichen Bildungswesen keine Chance hatten, sich aus eigener Kraft hocharbeiten (»es zeigt, was möglich ist, wenn man die richtigen Rahmenbedingungen schafft«, so Brouër), beeindruckt genauso wie die Offenheit der Bildungsfachkräfte, die auch Einblicke in private Lebensbereiche geben. Und das kommt gut an.
»Die Vorlesungen bleiben den Studierenden im Gedächtnis, weil sie emotional berührt sind«, freut sich Brouër über den Erfolg. Und über die Tatsache, dass sich Gespräche auf Augenhöhe ergeben, die so sonst nicht stattgefunden hätten. Auch beim Team des Institutes für Inklusion sind Freude und Stolz über Erreichtes groß. »Doch das ist nur der Anfang«, verspricht Geschäftsführer Wulf-Schnabel. »Wir wollen weiterhin für Begegnungen und Austausch sorgen – damit Vorurteile und komische Sprüche irgendwann passé sind.«
Jennifer Ruske
Die gute Idee zieht Kreise
Das Kieler Institut für Inklusive Bildung will in den kommenden fünf Jahren an weiteren zehn Hochschulstandorten insgesamt 60 Bildungsfachkräfte mit Behinderungen qualifizieren und an den Hochschulen einsetzen.
Auch die Lehre an der CAU wird weiter angepasst: Der bereits gestartete Einsatz der Bildungsfachkräfte des Instituts für Inklusive Bildung wird im Lehramtsstudium innerhalb des Moduls »Heterogenität und Inklusion« ab dem Wintersemester 2018/19 fest etabliert (Modulverantwortliche: Professorin Friederike Zimmermann). (jr)
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