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CCGA: Die erste Adresse für Genomanalysen

Der Bedarf für Gensequenzierung in der Forschung ist groß. Mit einem von vier nationalen Sequenzierzentren spielt die Uni Kiel hier in der ersten Liga. Corona bescherte den Forschenden einige Nachtschichten und eine große Öffentlichkeit.

Wissenschaftlerin im Labor
© Oliver Franke / IKMB

Egal ob die DNA in der Probe vom Menschen, Seeadler oder der Fruchtfliege stammt – die modernen Sequenziergeräte am CCGA entschlüsseln die Erbinformation oft innerhalb weniger Stunden.

Einen derartigen Medienrummel um seine Forschung wie im Juni 2020 hat Professor Andre Franke zuvor noch nicht erlebt. Noch bevor die Arbeit zu Risikogenen für einen schweren Verlauf von COVID-19 im hochrangigen New England Journal of Medicine publiziert wurde, wollten Medien weltweit, von der New York Times bis CNN, die vorab online veröffentlichte genomweite Assoziationsstudie erklärt bekommen. Diese hatte unter anderem ergeben, dass Menschen mit der Blutgruppe A ein um etwa 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 tragen als Menschen mit anderen Blutgruppen, und dass die Blutgruppe 0 mit einem geringeren Risiko einhergeht. Diese Befunde haben zwar keine unmittelbare therapeutische Konsequenz, sind aber für die weitere Erforschung der Erkrankung von großem Wert. Das enorme Interesse an der Arbeit führt der Kieler Genetik-Professor darauf zurück, dass »wir die ersten waren, die eine so große genetische Studie durchgeführt und erstmals genetische Krankheitsursachen für einen schweren Covid-19-Verlauf identifiziert haben«, sagt der Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie (IKMB) und Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters Precision Medicine in Chronic Inflammation (PMI). Innerhalb von nur drei Wochen wurde die DNA aus den über 4.000 Blutproben isoliert und mit sogenannten Biochips (SNP-Arrays) vermessen.

Dass die Kieler Arbeitsgruppe bei dieser Genotypisierungs-Studie die Nase vorn hatte, beruht auf der Leistung und Expertise des Kompetenzzentrums für Genomanalysen (englisch: Competence Centre for Genomic Analysis, kurz CCGA) am IKMB an der Universität Kiel und dem UKSH mit Partnern aus Borstel, Lübeck und Plön. Seit 2018 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das CCGA als eines von deutschlandweit vier Zentren für Hochdurchsatz-Sequenzierung im Kompetenznetzwerk Next Generation Sequencing (NGS). Vor kurzem kam die Förderzusage für weitere drei Jahre. »Durch die DFG-Förderung können wir Projekte in einer Größenordnung realisieren, die vorher nicht möglich war«, betont Dr. Sören Franzenburg, der die Arbeitsgruppe Sequenzierung am IKMB leitet. »Aber auch schon vor der Gründung des CCGA zählte das IKMB zu den größten akademischen Sequenzierstandorten in Deutschland.« Die Infrastruktur wurde insbesondere durch den Vorgänger des aktuellen Exzellenzclusters aufgebaut und ständig erweitert. Seit mehr als zehn Jahren ist die NGS-Plattform in nationalen und internationalen Kooperationen erfolgreich verankert.

Die erneute Förderung ist für den Sprecher des CCGA, Professor Philip Rosenstiel, »ein weiterer Schritt auf dem Weg in eine Verstetigung dieser wichtigen Infrastruktur. Das ist insbesondere für die Arbeit des Exzellenzclusters von großer Bedeutung.« Das CCGA unterstützt die Genomforschung an der Universität und im Exzellenzcluster PMI. Darüber hinaus bietet es im Rahmen der DFG-Förderung auch Dienstleistungen für externe Forschungsgruppen an. Die Stärke des Zentrums ist die Vielfalt an Methoden. »Wir können das gesamte Spektrum von kleinen Sequenzierprojekten bis hin zur Sequenzierung des gesamten menschlichen Genoms abdecken«, erklärt IKMB-Direktor und PMI-Vorstandsmitglied Rosenstiel. Die Expertise des CCGA war auch beim erfolgreichen Aufbau der Corona-Diagnostik am Standort eingebunden. Seit Februar wird im Schulterschluss von Routinediagnostik und Forschung eine überwachende Virus-Sequenzierung durchgeführt, um die Ausbreitung von Mutanten frühzeitig zu erfassen.

Aktuell sehr gefragt ist die noch junge Methode der Einzelzellanalyse, bei der Aktivierungszustände zehntausender Zellen parallel mittels Sequenzierung bestimmt und charakterisiert werden. Sie geben beispielsweise Aufschluss über die Aktivität und Funktion einzelner Immunzellen bei chronischen Entzündungsprozessen. »Die Methode birgt großes Potenzial in der Forschung, da Krankheitsvorgänge auf die einzelne Zelle heruntergebrochen werden und so ganz neue Ansatzpunkte für zielgerichtete Therapien erkannt werden können«, erklärt Rosenstiel. Ein Team aus seiner Arbeitsgruppe hat mit der Einzelzellgenomik bestimmte unreife Zelltypen im Blut identifiziert, die auf schwere Krankheitsverläufe bei Covid-19 hindeuten. In der Studie wurden bei einer Gruppe von Erkrankten die im Blut vorkommenden Zellen in einer Zeitserie, also zu verschiedenen Zeitpunkten während der Erkrankung, analysiert. »Letztlich haben uns genau diese Serienaufnahmen der Krankheit zu vorher unbeachteten Zelltypen geführt, die charakteristisch für eine schwere Covid-19-Erkrankung sind«, erklärte Rosenstiel. Diese Erkenntnisse könnten die Grundlage für diagnostische Testverfahren schaffen, die anhand von Blutproben bereits früh einen schweren Krankheitsverlauf erkennen können.

Autorin: Kerstin Nees

www.ccga.uni-kiel.de

Gensequenzierung und NGS

Unter Gensequenzierung versteht man die molekularbiologische Analyse zur Entschlüsselung der Erbinformation von Organismen. Dabei wird die genaue Abfolge der DNA-Bausteine bestimmt. Da die DNA den gesamten Bauplan für einen Organismus und seine Funktionen enthält, ist die Sequenzierung der Schlüssel für unzählige biomedizinische Fragestellungen. So können mit ihrer Hilfe etwa Gene gefunden werden, die bestimmte Krankheiten verursachen oder begünstigen.

Die ersten Techniken wurden Ende der 1970er Jahre entwickelt. Die heute genutzten Verfahren sind wesentlich leistungsfähiger als noch vor einigen Jahren und werden unter dem Begriff Next Generation Sequencing (NGS) zusammengefasst. Mit der zunehmend leistungsfähiger gewordenen Technik ist eine verborgene Welt zugänglich geworden: So lässt sich heute der gesamte genetische Code eines Menschen, das Genom, oder der Funktionszustand von zehntausenden Einzelzellen innerhalb weniger Stunden vollständig entziffern. (ne)

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