Die unbekannte Seite der chronischen Entzündung

Eine chronische Entzündung etwa im Darm oder an den Gelenken wirkt sich häufig im ganzen Körper aus. Das internationale klinische Symposium des Exzellenzclusters PMI rückt die oft unterschätzte systemische Komponente in den Mittelpunkt.

Personen in weien Kitteln an einem Tisch. Bildschirme im Hintergrund.
© Sascha Klahn, Uni Kiel

Die Behandlung chronisch entzündlicher Erkrankungen erfordert häufig eine interdisziplinäre Herangehensweise. Therapiekonferenzen, wie hier im Exzellenzzentrum Entzündungsmedizin am Campus Kiel, haben mittlerweile Schule gemacht.

Zu viel Cholesterin im Blut fördert Ablagerungen in den Gefäßen, die sogenannte Atherosklerose, die zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen kann. Das ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass auch chronisch entzündliche Erkrankungen Atherosklerose begünstigen. »Es hat sich bei ganz vielen Erkrankungen gezeigt, sei es die rheumatoide Arthritis an den Gelenken, der Morbus Crohn am Darm, oder die Psoriasis an der Haut. Eigentlich alle chronisch-entzündlich Erkrankten haben ein erhöhtes Risiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken und auch zu versterben.« Darauf verweist Professor Matthias Laudes, Inhaber eines Schleswig-Holstein Excellence-Chairs an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktor des neu gegründeten Instituts für Diabetologie und klinische Stoffwechselforschung des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel. »Die Entzündung, das wissen wir heute, ist in den Atherosklerose-Plaques genauso wichtig wie das Cholesterin selbst«, so Laudes. »Der Rückgang der Lebenserwartung bei Patientinnen und Patienten mit diesen Erkrankungen ist im Wesentlichen durch vorzeitige kardiovaskuläre Ereignisse bedingt«, betont Laudes, der auch Vorstandsmitglied im Exzellenzcluster »Precision Medicine in Chronic Inflammation« (PMI) ist. Studien zufolge ist etwa für Menschen mit rheumatoider Arthritis das Risiko eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu bekommen etwa doppelt so hoch wie das der Durchschnittsbevölkerung.

Eine zweite Stoffwechselerkrankung, die mit Entzündung verknüpft ist, ist der Diabetes mellitus, die Zuckerkrankheit. »Die kommt nicht bei allen Entzündungskrankheiten vor. Diabetes und auch Übergewicht sind vor allem mit der Psoriasis (Schuppenflechte) assoziiert«, wie der Diabetologe betont. Dabei hängt das Diabetesrisiko von der Schwere der chronisch entzündlichen Hauterkrankung ab. Bei einem hohen Psoriasis-Schweregrad ist das Risiko für Diabetes im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung doppelt so hoch, hat eine Studie ergeben. Es ist offensichtlich: Entzündungen und Stoffwechsel sind sehr eng verschaltet. Laudes: »Es gibt Immunbotenstoffe, die per se auch Stoffwechseleffekte auslösen, und umgekehrt gibt es Stoffwechselhormone, die auch Entzündungseffekte auslösen.«

Häufig unterschätzt: systemische Entzündung

Diesen Folge- und Begleiterkrankungen liegt eine systemische Entzündung zugrunde. »Entzündung ist am Ende ein systemweites Problem, das den gesamten Alterungsprozess des Menschen negativ beeinflusst. Chronisch entzündliche Erkrankungen kann man nicht auf der Ebene eines einzelnen Organes verstehen.« Mit diesen Worten macht PMI-Sprecher Professor Stefan Schreiber deutlich, warum es so wichtig ist, Menschen mit Entzündungserkrankungen interdisziplinär zu behandeln. »Man kommt zunehmend weg davon, nur die jeweils entzündete Körperoberfläche zu behandeln«, erklärt der Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie und Direktor der Klinik für Innere Medizin I am UKSH, Campus Kiel.

Dieser fachübergreifende Ansatz lag auch dem internationalen klinischen Symposium des Exzellenzclusters PMI zugrunde. Im Audimax der CAU präsentierten im Juli rund 50 ausgewiesene nationale und internationale Expertinnen und Experten die allerneuesten Erkenntnisse aus der molekularen und klinischen Entzündungsforschung. Das Besondere hierbei: Das Symposium brachte Fachleute aus den vier Disziplinen zusammen, die mit chronischen Entzündungen zu tun haben – Dermatologie (Haut), Gastroenterologie (Verdauungstrakt), Pneumologie (Lunge) und Rheumatologie. Denn, so Schreiber, »Die Probleme sind oft gemeinsam, aber verschiedene Disziplinen haben auch verschiedene Lösungsansätze. Wir haben im Dialog und auch im Widerstreit interaktiv Lösungen über die Fächer hinweg erarbeitet.«

Die fächerübergreifende Zusammenarbeit ist auch deshalb wichtig, weil sich die Krankheiten nicht selten überlappen. So ist zum Beispiel bei der Psoriasis häufig nicht nur die Haut entzündet, sondern auch Gelenke oder Sehnen. Bis zu 40 Prozent der Patientinnen und Patienten mit Psoriasis entwickeln eine solche Psoriasis-Arthritis. »Oft ist es ja die Fehlfunktion eines Organs, die den Patienten oder die Patientin zur entsprechenden Fachpraxis führt. Aber systematische Studien zeigen, dass regelhaft auch andere Organe betroffen sind«, erklärt Schreiber. In einer Studie hat er zum Beispiel bei Personen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen die Lungenfunktion geprüft. Dabei kam heraus, dass im aktiven Krankheitsschub auch die Lungenfunktion mitunter stark eingeschränkt ist. Das fiel den Betroffenen aber gar nicht auf, da sie wegen der Darmbeschwerden ohnehin stark eingeschränkt waren.

Autorin: Kerstin Nees

www.precisionmedicine.

Über den Exzellencluster PMI

Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Institut für Weltwirtschaft und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel - Leibniz Lungenzentrum). Mehr zu PMI

Logo PMI - Precision Medicine in Chronic Inflammation

unizeit-Suche:

In den unizeit-Ausgaben 27-93 suchen