
Der chemische Käfig
Nach Stationen in Cambridge, Oxford und dem California Institute of Technology, wurde sie bereits mit 31 Jahren Juniorprofessorin in Kiel: Anna McConnell hat viel vor. Zum Beispiel komplexe molekulare Käfige bauen.

Juniorprofessorin Anna McConnell erforscht, wie sich Moleküle zu komplexen Systemen zusammensetzen, auch molekulare Käfige genannt.
Foto: Julia Siekmann
Was passiert, wenn sich Forschende der Soziologie, Geschichtswissenschaft, Amerikanistik und Germanistik ein Büro teilen? Das klingt wie die Einleitung eines flachen Witzes über Vorurteile, ist aber das genaue Gegenteil dessen: Im Stipendienprogramm des Collegium Philosophicum arbeiten derzeit vier Nachwuchsforschende an der Sichtbarmachung von Ungleichbehandlung. Das Stichwort, welches die klugen Köpfe aus verschiedenen Fächern zusammenbringt, lautet »Intersektionalität«.
»Es gibt diese klassische Trias von sozialer Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht, anhand derer die Forschung bisher soziale Ungleichheit und Diskriminierungspraktiken untersucht«, erklärt Professorin Gabriele Lingelbach, eine der Vordenkerinnen des Projekts. Aber: »Es wird viel diskutiert, ob dies ausgeweitet werden müsste. Was ist zum Beispiel mit der sexuellen Ausrichtung, dem Alter, der Konfession oder der physischen Attraktivität? Und vor allem: Wie beeinflussen sich diese Faktoren gegenseitig?«
Ein Beispiel hierfür hat Sebastian Schlund in seiner Dissertation über die Geschichte des deutschen Behindertensports untersucht: Dabei stellte sich heraus, dass behinderte Frauen lange Zeit deutlich zugunsten von männlichen Kriegsversehrten benachteiligt wurden. Die Faktoren »Geschlecht« und »Behinderung« hatten hier eine erkennbare Wechselwirkung. Seine Erkenntnisse nutzt Schlund nun, um den Promovierenden helfend zur Seite zu stehen. Als Koordinator des Projekts teilt er sich mit ihnen die Räumlichkeiten: »Das Schöne ist, dass wir hier zwei Büros haben, in denen die Stipendiaten zusammensitzen und miteinander ins Gespräch kommen. Da gibt es dann hitzige Diskussionen.«
Die räumliche Nähe ermöglicht so für die vier, die ihre Dissertationen natürlich immer noch im Rahmen ihrer eigenen Disziplinen schreiben, einen Blick über den fachwissenschaftlichen Tellerrand. In gemeinsamen Workshops mit den Doktorvätern und -müttern, in Kolloquien mit Studierenden und im Flurfunk entsteht so ein fruchtbarer interdisziplinärer Austausch.
»Wir wollten mit diesem Stipendienprogramm möglichst viele schlaue Köpfe zusammenholen und uns von ihnen unterstützen lassen, sie Ideen einbringen lassen – damit wir nicht immer im eigenen Saft kochen«, erklärt die Historikerin Lingelbach augenzwinkernd. Ihr Kollege Professor Andreas Bihrer ergänzt: »Nun geht es hier vor allem um Grundlagenforschung.« Denn so aktuell das Thema sei, müssten erst einmal die Kategorien erarbeitet und vorschnelle Aussagen vermieden werden. Bihrer: »Das ist gar nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht.« Denn die Intersektionalität ist zwar in der Soziologie ein viel verwendeter und untersuchter Begriff, doch in anderen Disziplinen ist sie eine große Unbekannte. Auch wenn eine Person unwissentlich intersektional geforscht hat, fehlt es oftmals an Literatur. Diese Herausforderung ist aber zugleich eine Chance, denn immerhin steht die Kieler Uni somit an der Spitze eines neuen Forschungsansatzes.
Wo die Erkenntnisse eines Tages hinführen könnten, erklärt Professorin Lingelbach: »Als Historiker sagt man eher, dass man nicht aus der Geschichte lernen kann. Man kann aber eine Aufmerksamkeit dafür entwickeln, wo unsere Gesellschaft herkommt und wie Ungleichheit früher und auch heute noch erzeugt und gefestigt wird. Wir wollen mit diesem Projekt nicht sagen, unsere Gesellschaft muss so oder so sein, aber wir geben ihr das Wissen an die Hand, eigene Entscheidungen zu treffen und sich gegebenenfalls zu ändern.«
Sebastian Maas
Weitere Informationen: bit.ly/intersektion
Wenn Moleküle einander erkennen, können sie sich zu komplexen Systemen verbinden, auch als »molekulare Käfige« bezeichnet. In ihnen können Moleküle, sogenannte Gäste, aufgenommen werden, um nicht mehr mit anderen Molekülen außerhalb des Käfigs zu reagieren. Supramolekulare Chemie heißt dieses Teilgebiet der Chemie, für das sich Anna McConnell besonders interessiert. Erst vor wenigen Monaten kam sie für eine Juniorprofessur in der Organischen Chemie aus England nach Kiel. »Wenn Moleküle miteinander interagieren, kann es zu sehr interessanten Verhaltensweisen kommen, die man nicht immer vorhersagen kann. Ich möchte verstehen, welche Eigenschaften diese Käfige haben und wie wir sie bauen können, auch in komplexeren Formen.»
Mehr noch: McConnell forscht daran, wie sich die Käfige durch externe Signale kontrollieren lassen, zum Beispiel mit Licht. Ihr Ziel ist es, Moleküle zu entwickeln, die sich zu einem Käfig zusammensetzen, oder einen bereits bestehenden Käfig wieder aufbrechen, sobald sie mit Licht beschienen werden.
Zerfällt ein Gebilde, wird das eingeschlossene Gast-Molekül freigesetzt und kann wieder auf seine Umwelt reagieren. Langfristig macht das eine Anwendung von molekularen Käfigen in der Medizin denkbar und zwar als Medikamententransporter. »Viele Medikamente lassen sich nicht besonders gut in Wasser auflösen, was aber wichtig ist, damit sie aktiviert werden. Als Gäste in molekularen Käfigen könnten wir sie im Körper transportieren, um sie an der richtigen Stelle mit der Hilfe von Licht freizusetzen.« Das stellt McConnell gleich vor zwei Herausforderungen: Käfige zu bauen, die nicht nur wasserlöslich, sondern auch groß genug sind, um Medikamente als Gäste aufzunehmen.
Dass sie mit der Uni Kiel den richtigen Ort für ihr Forschungsvorhaben gefunden hat, ist sich Anna McConnell sicher. Die spannende Forschung in den chemischen Instituten und im Sonderforschungsbereich 677 »Funktion durch Schalten« sei einer der Gründe gewesen, warum sich die gebürtige Neuseeländerin für Kiel entschied. Ein anderer ist die Lage am Wasser, gibt sie zu. »In Neuseeland habe ich auch am Meer gelebt, was ich während meiner Zeit in England sehr vermisst habe. Das gefällt mir hier sehr gut.«
Bereits in der Schule lernte McConnell Deutsch und kam damals für einen Schüleraustausch nach Nürnberg. In Norddeutschland lebt sie jetzt zum ersten Mal. Sie hofft, ihre Deutschkenntnisse bald mit einem Sprachkurs auffrischen zu können. Hilfreich sind dafür auch die Netzwerkabende für Juniorprofessorinnen. »Wir werden hier sehr gut betreut. Es ist eine tolle Möglichkeit, um frühzeitig seine Forschung und eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen«, sagt McConnell.
Zu ihren Aufgaben gehören auch die Lehre sowie die Betreuung von Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten. »In der Lehre können wir neue Forschungsergebnisse direkt an Studierende weitergeben, noch bevor sie in den Lehrbüchern stehen.« Wissen zu vermitteln, ist ihr besonders wichtig. Die vielen didaktischen Angebote für Lehrende an der Uni Kiel fallen ihr daher besonders positiv auf. Es sei wichtig, wissenschaftliche Karrieren zu fördern. »Wir sollten früh anfangen, junge Menschen für Wissenschaft zu begeistern.« So nutzt sie die Chance, die molekularen Käfige gleich bei ihrer ersten kieler uni live auf der Kieler Woche einem größeren Publikum vorzustellen. »Das ist eine persönliche Herausforderung, die ich mir gestellt habe«, verrät Anna McConnell. Denn den Vortrag will sie auf Deutsch halten, das hat sie sich fest vorgenommen.
Julia Siekmann
Von Neuseeland nach Kiel
Anna McConnell wurde 1985 in Wellington, Neuseeland, geboren. An der University of Canterbury studierte sie Chemie und erhielt 2005 den Abschluss Bachelor of Science mit Auszeichnung. Anschließend ging sie nach England und promovierte bei Professor Paul Beer in Anorganischer Chemie an der University of Oxford. Nach ihrer Promotion forschte sie von 2010 bis 2013 als Postdoctoral Scholar und als Lindemann Fellow am California Institute of Technology (Caltech), USA, bei Professor Jackie Barton. Von 2013 bis 2016 war sie Postdoctoral Research Associate bei Professor Jonathan Nitschke an der University of Cambridge, bevor sie im November 2016 die Stelle als Juniorprofessorin am Otto Diels-Institut für Organische Chemie in Kiel annahm. (jus)
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