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Doktor international

In einem enger zusammenwachsenden Europa können Promovierende ihre Doktor­arbeit länderübergreifend an zwei Universitäten schreiben. Der Schweizer Mirco Brun­ner sieht viele Vorteile in diesem binationalen Verfahren.

»Obwohl mein Forschungsgebiet geografisch betrachtet der zentrale Alpenraum ist, bieten mir die Zusammenarbeit mit und der Aufenthalt an der Kieler Universität viele Vorteile«, erklärt Mirco Brunner. Der Berner Prähistoriker ist für ein Jahr an die Ostsee gekommen, um hier für seine Dissertation zu forschen. »Am Kieler Institut für Ur- und Frühgeschichte, das wesentlich größer ist als sein Pendant an meiner Heimat-Uni Bern, sowie an der Graduiertenschule Human Development in Landscapes gewinne ich Einblicke in viele neue Forschungs­bereiche und -ansätze, etwa den Umgang mit Datierungen«, erläutert Brunner.

Der 29-Jährige untersucht die Siedlungsgeschichte des zentra­len Alpenraumes seit der Jungsteinzeit. »Bisher sind vor allem die vergleichsweise flachen Voralpengebiete, etwa rund um den Bodensee, gut erforscht«, erklärt er. Die Forschungslücke in den bergigeren Regionen der Ostschweiz blieb lange bestehen, weil kantonale Archäologiebehörden zunächst vor allem im Mittel- und Unterland entstanden. Schon durch die rege Bautätigkeit in diesen Gebieten kamen viele prähistorische Überbleibsel ans Tageslicht. »Mittlerweile gibt es aber auch aus Kantonen wie Graubünden und St. Gallen zahlreiche Grabungsergebnisse und Funde, die ich als Grundlage für meine Arbeit verwenden kann«, freut sich Mirco Brunner. So verbrachte er im ersten Jahr seiner Promotionsforschung viel Zeit in den dortigen Archiven, um Daten zu sammeln, Fundkomplexe auszuwerten und Material für Altersbestimmungen zusammenzustellen.

Nachdem er sich diese Quellen erschlossen hat, befindet sich Brunner nun in der zweiten Phase seiner Dissertation: »Durch den Zerfall von Kohlenstoffatomen in organischen Überresten wie Holz lässt sich deren Alter mit der sogenannten C14-Methode ziemlich genau bestimmen. Mit möglichst vielen solcher Datierungen möchte ich chronologisch nachvollziehen, wann an welchen Orten rund ums Alpenrheintal Menschen siedelten.« In einem dritten und letzten Schritt will der Schweizer Nachwuchsforscher aus diesen Erkenntnissen modellieren, wie sich Mobilität und Kulturtransfer in den und innerhalb des Zentralalpenraums abgespielt haben. Kulturtransfer könne beispielsweise bedeuten, dass sich eine Bestattungsform zunächst am Bodensee und später auch in Graubünden nachweisen lasse, erläutert Brunner. Für die Modellierung freut er sich auf die Unterstützung seiner Kieler Forschungskolleginnen und -kollegen, denn »die sind in diesem Bereich ganz vorn mit dabei.«

Für sein binationales Promotionsvorhaben hat Mirco Brunner in beiden Teilnehmerländern einen Betreuer: Sein Schweizer Doktorvater ist Professor Albert Hafner von der Universität Bern, in Kiel übernimmt Professor Johannes Müller diese Rolle. Auch die Prüfungskommission, die am Ende über Brunners Arbeit urteilt und über die Vergabe des Doktortitels entscheidet, setzt sich aus Mitgliedern beider Universitäten zusammen. Brunner hat sich beim Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung erfolgreich um finanzielle Unterstützung für seine Dissertation im Rahmen des Programms Doc.CH beworben. Sein Start in Kiel wurde ihm dadurch erleichtert, dass er Ende 2015 bereits für einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt an der Graduiertenschule zu Gast war. »So fand ich mich schnell wieder zurecht und konnte gleich voll loslegen«, freut er sich.

Jirka Niklas Menke

Vier Personen bei einer Ausgrabung
© Foto: RTR/Federico Belotti 2016

Vor seinem Studienaufenthalt in Kiel beteiligte sich Mirco Brunner an meh­reren archäologischen Ausgrabungen in den Schweizer Alpen. Das Foto zeigt ihn (im gelben T-Shirt) bei einer Gra­bung im Sommer 2016 in Graubün­den.

Foto: RTR/Federico Belotti 2016

Binational promovieren

An der Philosophischen Fakultät ist Mirco Brunner einer von derzeit drei binational Promovierenden. Auch in den anderen Bereichen der CAU ist das Verfahren noch selten: Die Mathematisch-Natur­wis­senschaftliche Fakultät verzeichnet neben fünf abgeschlossenen binationalen Verfahren vier in Vor­bereitung befindliche mit Partnerunis in Frankreich und Portugal. In den Rechtswissenschaften laufen drei Verfahren mit Hochschulen in São Paulo und Paris. Die anderen Fakultäten melden derzeit keine binationalen Promotionen nach diesem Muster, teils gibt es aber andere grenzübergreifende Verfahren. (jnm)

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