unizeit Schriftzug

Diversität und Inklusion an der CAU

Chronologie ausgewählter Aktivitäten der letzten 10 Jahre.

Was passiert, wenn sich Forschende der Soziologie, Geschichtswissenschaft, Amerikanistik und Germanistik ein Büro teilen? Das klingt wie die Einleitung eines flachen Witzes über Vorurteile, ist aber das genaue Gegenteil dessen: Im Stipendienprogramm des Collegium Philosophicum arbeiten derzeit vier Nachwuchsforschende an der Sichtbarmachung von Ungleichbehandlung. Das Stichwort, welches die klugen Köpfe aus verschiedenen Fächern zusammenbringt, lautet »Intersektionalität«.

»Es gibt diese klassische Trias von sozialer Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht, anhand derer die Forschung bisher soziale Ungleichheit und Diskriminierungspraktiken untersucht«, erklärt Professorin Gabriele Lingelbach, eine der Vordenkerinnen des Projekts. Aber: »Es wird viel diskutiert, ob dies aus­geweitet werden müsste. Was ist zum Beispiel mit der sexuellen Ausrichtung, dem Alter, der Kon­fes­sion oder der physischen Attraktivität? Und vor allem: Wie beeinflussen sich diese Faktoren gegen­seitig?«

Ein Beispiel hierfür hat Sebastian Schlund in seiner Dissertation über die Geschichte des deutschen Behindertensports untersucht: Dabei stellte sich heraus, dass behinderte Frauen lange Zeit deutlich zugunsten von männlichen Kriegsversehrten benachteiligt wurden. Die Faktoren »Geschlecht« und »Behinderung« hatten hier eine erkennbare Wechselwirkung. Seine Erkenntnisse nutzt Schlund nun, um den Promovierenden helfend zur Seite zu stehen. Als Koordinator des Projekts teilt er sich mit ihnen die Räumlichkeiten: »Das Schöne ist, dass wir hier zwei Büros haben, in denen die Stipendiaten zusammensitzen und miteinander ins Gespräch kommen. Da gibt es dann hitzige Diskussionen.«

Die räumliche Nähe ermöglicht so für die vier, die ihre Dissertationen natürlich immer noch im Rahmen ihrer eigenen Disziplinen schreiben, einen Blick über den fachwissenschaftlichen Tellerrand. In gemeinsamen Workshops mit den Doktorvätern und -müttern, in Kolloquien mit Studierenden und im Flurfunk entsteht so ein fruchtbarer interdisziplinärer Austausch.

»Wir wollten mit diesem Stipendienprogramm möglichst viele schlaue Köpfe zusammenholen und uns von ihnen unterstützen lassen, sie Ideen einbringen lassen – damit wir nicht immer im eigenen Saft kochen«, erklärt die Historikerin Lingelbach augenzwinkernd. Ihr Kollege Professor Andreas Bihrer ergänzt: »Nun geht es hier vor allem um Grundlagenforschung.« Denn so aktuell das Thema sei, müssten erst einmal die Kategorien erarbeitet und vorschnelle Aussagen vermieden werden. Bihrer: »Das ist gar nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht.« Denn die Intersektionalität ist zwar in der Soziologie ein viel verwendeter und untersuchter Begriff, doch in anderen Disziplinen ist sie eine große Unbekannte. Auch wenn eine Person unwissentlich intersektional geforscht hat, fehlt es oftmals an Literatur. Diese Herausforderung ist aber zugleich eine Chance, denn immerhin steht die Kieler Uni somit an der Spitze eines neuen Forschungsansatzes.

Wo die Erkenntnisse eines Tages hinführen könnten, erklärt Professorin Lingelbach: »Als Historiker sagt man eher, dass man nicht aus der Geschichte lernen kann. Man kann aber eine Aufmerksamkeit dafür entwickeln, wo unsere Gesellschaft herkommt und wie Ungleichheit früher und auch heute noch erzeugt und gefestigt wird. Wir wollen mit diesem Projekt nicht sagen, unsere Gesellschaft muss so oder so sein, aber wir geben ihr das Wissen an die Hand, eigene Entscheidungen zu treffen und sich gegebenenfalls zu ändern.«

Sebastian Maas

Weitere Informationen: bit.ly/intersektion

Drei Personen in einem Klassenzimmer
© Foto: pur.pur

Dozentin Suliko Hofschulte (rechts) schaut Muhammad Shqer (Mitte) und Sara Alkoud (links) beim Deutsch lernen über die Schultern.

Foto: pur.pur

Kanadische Reiseliteratur vor 1945

Christian Schmidt, Nordamerikastudien:
»In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich, inwiefern westliche Iden­titätskonstruktionen in historischen Reiseberichten über Kanadas Arktis und Subarktis anhand der Verbindung von kategorialen Zuschrei­bungen wie Ethnizität, Klasse, Geschlecht, Religion und geografischer Lokalität verhandelt werden. Dementsprechend liegt der Fokus der Ar­beit auf Konzepten wie Maskulinität und Wildnis sowie der Sicht­bar­machung relevanter literarischer Repräsentationsstrategien, deren narra­tive Entwürfe eines indigenen Anderen über den Intersektionali­täts­ansatz aufgezeigt werden sollen.«

Portrait Christian Schmidt
© Foto: Maas

Christian Schmidt

Hass als sprachliches Mittel

Eddi Steinfeldt-Mehrtens, Soziologie:
»In meiner Arbeit untersuche ich, wie sich sprachliche Gewalt auf Be­troffene auswirkt. Welche Schimpfwörter werden mit welchen Adjektiven kombiniert und was empfinden die Betroffenen selbst als besonders ver­letzend? Hate Speech beschränkt sich nicht auf die Bezugnahme eines Herrschaftsverhältnisses, durch Verknüpfungen von Rassismus und Sex­is­mus kann der Effekt sprachlicher Gewalt beispielsweise verstärkt werden. Außerdem geht es um Antworten darauf, wie gewaltvoller Rede etwas entgegengehalten werden kann.«

Portrait Eddi Steinfeldt-Mehrtens
© Foto: Maas

Eddi Steinfeldt-Mehrtens

Artusromane und höfische Ideale

Jöran Balks, Ältere deutsche Literaturwissenschaft:
»Ich untersuche Artusromane, also Erzählliteratur um 1200, in der sich Ideale und die Selbstwahrnehmung des Adels widerspiegeln. Besonders interessiert mich die Darstellung von körperlich andersartigen und schwer einzuordnenden Figuren, beispielsweise Riesen. Diese negati­ven Figuren sind niemals adlig und zeichnen sich durch unkontrollierte Gewalt und Sexualität aus. Was aber, wenn einer nun am Hof von König Artus selbst auftaucht? An solchen Beispielen zeigt sich das Reflex­ionspotenzial der damaligen Literatur.«

Portrait Jöran Balks
© Foto: Maas

Jöran Balks

Zivildienstleistende

Nils Kühne, Geschichte der Neuzeit:
»In meiner Arbeit untersuche ich Zivildienstleistende und ihren Arbeits­alltag in Pflegeeinrichtungen. Bereits die Einführung des Zivildienstes im Jahr 1961 war für alle Beteiligten eine Herausforderung, sowohl für die jungen, beruflich oft unerfahrenen Männer als auch für viele der Pflege­einrichtungen. Ich möchte herausfinden, wie Zivildienstleistende ihren neuen Lebensabschnitt mit all seinen Herausforderungen wahrnahmen und bewältigten. Dabei geht es mir auch um die Frage, inwiefern Zivil­dienstleistende zu den Wandlungsprozessen in den Pflegeeinrichtungen seit den 1960er Jahren beitrugen.«

Nils Kühne
© Foto: Maas

Nils Kühne

Was bedeutet Intersektionalität?

Das Wort beschreibt die Überschneidung mehrerer sozialer Ungleichheits- und Diskriminie­rungs­formen in einer Person oder Gruppe. Welche Mechanismen dabei zu beobachten sind, erkannte zuerst die schwarze Juristin Kimberlé Crenshaw bei ihrer Arbeit gegen das Vorgehen von General Motors: Als die Firma in den 1970er Jahren einen Großteil der schwarzen weiblichen Mitarbeiterinnen entließ, konnte ein Gericht daran nichts Sexistisches oder Rassistisches finden – immerhin hätten sowohl weiße Frauen als auch schwarze Männer ihren Job behalten. (sma)

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