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Fakten über Strahlen

Bringt 5G schlimme Krankheiten übers Land? Die Ängste vor dem neuen Mobilfunk-Standard sind in Teilen der Bevölkerung gewaltig. Ein Experte rät dagegen zur Gelassenheit.

Funkmastspitze
© iStock / iYok-photo

Innerhalb der Ringvorlesung »Wissenschaft und alternative Fakten« widmete sich Ende November 2020 Professor Alexander Lerchl von der Jacobs University Bremen der aktuellen Diskussion zum Thema 5G und versuchte, gesichertes Wissen von bloßen Vermutungen oder gezielten Verfälschungen zu unterscheiden. Dabei kam er zu dem Schluss, dass zu diesem Thema zwar tatsächlich noch nicht alle Fragen beantwortet sind, die Bedenken wegen möglicher Gesundheitsgefahren aber weit übertrieben scheinen.

Lerchl, der sein Wissen unter anderem als ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für nicht ionisierende Strahlung der deutschen Strahlenschutzkommission eingebracht hat, stellt gleich klar, dass die fünfte Generation des Mobilfunknetzes nicht wirklich neu ist. Sie bedient sich im Gegenteil zumindest bisher derselben Frequenzen wie der aktuell noch dominierende LTE-Standard und nutzt dazu lediglich ein anderes Netzwerk-Protokoll. »Dieses Protokoll kann man sich wie eine Sprache vorstellen«, erklärt der Experte. In diesem Bild verbleibend, betrachtet er es als den großen Vorteil, dass die Sprache des 5G-Verfahrens sehr viele Informationen mit sehr wenigen Zeichen vermitteln kann. Es handelt sich also um ein reines Komprimierungsverfahren, das ähnlich wie JPG bei Fotos oder MP3 bei Musik sehr große Datenpakete auf schneller übertragbare Volumen schrumpfen lässt.

Warum Komprimierung sinnvoll ist, erklärt der Experte mit eindrucksvollen Zahlen: Allein in der Zeit von 2010 bis 2018 ist das in den deutschen Mobilfunknetzen übertragene Datenvolumen von 65 auf 2.000 Millionen Gigabyte gewachsen und hat sich damit ungefähr verdreißigfacht. War das in diesem Zeitraum vor allem auf stark zunehmendes Videostreaming zurückzuführen, dürfte, so vermutet Lerchl, künftig das Internet der Dinge mit Anwendungen vom autonomen Fahren bis zur digitalen Fabrik der womöglich noch größere Datentreiber sein.

Doch was ist der Preis dieser Turbotechnik? Die im Netz verbreiteten und teils von bekannten Organisationen wie dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aufgenommenen Bedenken führen von Schlafproblemen über Wortfindungsstörungen bis zu Krebs eine Fülle von angeblichen Nebenwirkungen auf. Was Lerchl jedoch mit einem einzigen Satz einordnet: »Das ist alles nicht wissenschaftlich.« Der Biologe beruft sich auf umfangreiche Untersuchungen, aus denen hervorgehe, dass keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu befürchten seien, sofern im Mobilfunk die gültigen Grenzwerte für elektromagnetische Strahlung eingehalten werden.

Selbst wenn der 5G-Standard künftig über die bisher üblichen Frequenzen hinaus auch andere Wellenlängen nutzen wird, hält Lerchl es für »extrem unwahrscheinlich«, dass sich dadurch in Sachen Sicherheit etwas ändern könnte. Das zeige allein schon ein Vergleich der erwiesenermaßen gefährlichen UV-Strahlung mit der Strahlung, die im Mobilfunk anfällt, wenn zum Beispiel einmal die neue 40-Gigahertz-Frequenz für 5G eingeführt wird. Demnach entsteht bei der UV-Strahlung, mit Frequenzen von über 750 Terahertz (1 THz = 1.000 GHz), fast 20-mal mehr Quantenenergie als bei der neuen 40-GHz-Frequenz. Womit laut Lerchl »physikalisch ausgeschlossen« sei, dass 5G bei dieser Frequenz Krankheiten durch ionisierende Effekte auslösen kann.

Ganz allgemein empfiehlt der Professor gern auch mal einen einfachen Plausibilitäts-Check: »Wenn Handystrahlung Krebs auslösen würde, wäre das logischerweise zuerst am Kopf der Fall. Seit vor ungefähr 20 Jahren die Nutzung des Mobilfunks immer mehr zugenommen hat, ist die Zahl der Hirntumore aber nicht gestiegen, sondern sogar leicht gesunken.«

Autor: Martin Geist

Immer wieder Fake und Fakten

Alternative Fakten, dieser Begriff machte Karriere, nachdem Donald Trump vor vier Jahren als Präsident vereidigt worden war und behauptete, mehr Menschen als je zuvor hätten der Zeremonie beigewohnt. Wie sich leicht nachweisen ließ, eine dreiste Unwahrheit. An der Uni Kiel gab das den Anstoß zu der Ringvorlesung »Wissenschaft und alternative Fakten«.

»Mit Methoden der Wissenschaft Fakt und Fake zu unterscheiden«, darum geht es laut Initiator Michael Bonitz, Professor am Institut für Theoretische Physik und Astrophysik. Ein Stück Klarheit in emotional oder ideologisch geprägte Debatten soll diese Herangehensweise bringen, es soll aber auch vermittelt werden, wie die Wissenschaft an sich funktioniert. »Das ist oft ein langwieriger Prozess«, sagt Bonitz und betont, dass auch das Bekenntnis zum Nichtwissen Teil dieses Prozesses ist: »Wenn etwas nicht eindeutig scheint, muss man das offenlegen und verdeutlichen, wo weitere Untersuchungen nötig sind.«

Derzeit erlebt die Reihe ihre siebte Auflage und pflegt ungebrochen ihre Markenzeichen: viel Raum für Diskussion geben, auch zweifelnde Stimmen zulassen, aktive Mitwirkung von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlerinnen oder -wissenschaftlern. Aktuell besteht das Organisationsteam aus Hanna Campen, Lukas Deuchler, Monja Gronenberg, Tobias Hahn, Patrick Ludwig und Elisa Rosati. Den großen Erfolg erklärt sich Professor Bonitz nicht zuletzt mit dieser breiten Basis, die immer wieder auch dazu führe, dass Themen dicht am Puls der Zeit gefunden werden. (mag)

Nächster Termin der digitalen Ringvorlesung

11. Februar, 18:30 Uhr: Schäfchen zählen hilft beim Einschlafen, und blaues Licht ist schlecht – oder nicht? Schlafmythen auf dem wissenschaftlichen Prüfstand
(Dr. Christine Blume, Universität Basel)

Zugang zu der Konferenz und den Videos der zurückliegenden Vorträge:
www.theo-physik.uni-kiel.de/bonitz/m4s.html

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