
Der Faktor Mensch
Unter welchen Umständen ist der Mensch dazu bereit, der Umwelt oder der Gesellschaft Gutes zu tun? Was führt andererseits dazu, dass sich pures Gewinnstreben Bahn bricht? Zahlen und Theorien allein helfen bei diesen Fragen oft nicht weiter. Wohl aber Experimente.

Till Requate erläutert den Gästen, die sich anlässlich eines Tages der offenen Tür ins Experimentallabor der Uni Kiel setzten, die Details eines Versuchs. »Gespielt« wird dann am Rechner.
Forschung mithilfe von Versuchen begann sich in den Wirtschaftswissenschaften erst vor ungefähr 50 Jahren zu etablieren. Als Pionier gilt der amerikanische Ökonom Vernon Smith, der auf die Idee kam, einfach mal mit echten Menschen zu überprüfen, ob die schönen Theorien seiner Zunft auch der Wirklichkeit standhalten. Ebenso wie sein deutscher Kollege Reinhard Selten, der ähnlich früh auf diesem Gebiet unterwegs war, wurde auch Smith mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Was eindrucksvoll zeigt, welch steile Karriere die experimentelle Ökonomie hingelegt hat.
Zeit gebraucht hat es dafür trotzdem. Noch als Till Requate 1996 die Professur für Umweltökonomie an der Universität Heidelberg übernahm und mit Versuchen begann, hörte er oft genug: »Jetzt machst du ja keine richtige Wissenschaft mehr.« Inzwischen, so sagt Requate, der an der Uni Kiel seit 2002 den Lehrstuhl für Innovations-, Wettbewerbs- und Neue Institutionenökonomik innehat, hat die experimentelle Wirtschaftsforschung »fast schon einen Siegeszug erlebt«.
An der Uni Kiel zeigt sich das auch räumlich. Vor wenigen Monaten ist das im Jahr 2003 gegründete Experimentallabor KEEL (Kiel Experimental Economic Laboratory) umgezogen und hat seine Kapazitäten mehr als verdoppelt. Statt 20 gibt es jetzt 42 Versuchsplätze mit vernetzten Rechnern sowie zwei mit professioneller Kamera- und Audiotechnik ausgestattete Räume für Gruppenexperimente. Hinzu kommt ein Regieraum, in dem dank moderner Software das Forschungsgeschehen in Echtzeit nachvollzogen und gesteuert werden kann.
Zugleich hat sich das Spektrum des Labors erweitert. Was der Faktor Mensch in der Wirtschaft auslöst, untersuchen inzwischen nicht mehr allein Teams um Volkswirt Requate, sondern auch Forschende im Umfeld von Professorin Claudia Buengeler. Die Betriebswirtin ist auf Personal und Organisation spezialisiert und hat entsprechend ganz andere Fragestellungen im Kopf als ihr eher aufs umfassende wirtschaftliche Geschehen ausgerichteter Kollege aus der Volkswirtschaft.
Der fragt sich beispielsweise, was getan werden muss, damit die Verantwortlichen in Unternehmen und Regierungen bereit sind, Geld für öffentliche Güter wie den Klimaschutz in die Hand zu nehmen. Das kann über positive Anreize geschehen oder auch über negative Anreize wie Strafsteuern oder andere Sanktionen. Claudia Buengeler und ihr Team untersuchen dagegen, wie sich der Führungsstil von Vorgesetzten auf die Psyche und den Körper der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirkt.
»Mit diesem Experiment sind ganz viele Fragestellungen verbunden«, erläutert Buengeler. So geht es darum, ob passive Vorgesetzte beim Personal womöglich ebenso viel Schaden anrichten wie destruktive. Oder darum, was passiert, wenn der Chef oder die Chefin den Stil immer mal wieder ändert. »Niemand verhält sich ja zu 100 Prozent konsequent«, erklärt Buengeler dieses Phänomen.
In den Gruppenräumen laufen derweil Versuche, bei denen es stark auf Interaktion ankommt. Das kann laut Claudia Buengeler die Frage sein, ob eine nach Geschlecht, Nationalität, Alter und anderen Kriterien hohe Diversität in einem Team zu besonders kreativen Lösungen führt – oder womöglich zur Herausbildung typischer Hackordnungen. Hier soll teambasiertes Diversitätstraining helfen, das Potenzial der Vielfalt zu nutzen.
Die Bereitschaft, an solchen Experimenten teilzunehmen, ist bemerkenswert groß. Mehrere tausend Freiwillige sind im Datenpool von KEEL registriert, weil sie vielfach Spaß an solchen Versuchen haben und außerdem oftmals dafür entlohnt werden. »Damit es ernst genommen wird, bezahlen wir in etwa so viel wie in anderen Jobs für Studierende«, Professor Requate. Und räumt ein, dass die oft überwiegend aus Studierenden zusammengesetzten Versuchsgruppen durchaus zu schiefen inhaltlichen Aussagen führen könnten. Vermieden werden soll das unter anderem durch zusätzliche Erhebungen, etwa unter Beschäftigten von echten Unternehmen.
Autor: Martin Geist