
Genetisches Vermächtnis früherer Seuchen
Professor Ben Krause-Kyora erforscht die Seuchen unserer Vorfahren mittels Analyse alter DNA. Seine Erkenntnisse tragen auch dazu bei, Entzündungskrankheiten von heute besser zu verstehen.

Kieferknochen des Mannes, der vor rund 5.000 Jahren in Riņņukalns, Lettland, begraben worden ist. Aus diesem Material hat das Forschungsteam Überreste des Erbguts des Pesterregers nachgewiesen.
Einen Teil vom Schädel oder einen Zahn von alten Skeletten, mehr benötigt Professor Ben Krause-Kyora nicht, um daraus die DNA, also den Träger der Erbinformation, zu gewinnen. Ab einem Alter von etwa 100 Jahren spricht man von alter DNA oder aDNA. Deutlich älter ist das Material, mit dem es der Archäologe und Biochemiker vom Institut für klinische Molekularbiologie (IKMB) der Uni Kiel zu tun hat. «Unsere Skelette stammen aus dem Mittelalter oder sind sogar mehrere Tausend Jahre alt«, betont Krause-Kyora. Da in solch altem Knochen nur noch wenig DNA enthalten ist, erfordert die Aufbereitung des Materials besondere Sorgfalt. Wichtig ist insbesondere, jede Verunreinigung mit moderner DNA zu vermeiden. «Unsere Räumlichkeiten am Kieler UKSH-Campus sind vergleichbar mit den Reinräumen für die Computerchip-Produktion. Wir achten darauf, dass wirklich alles DNA-frei ist. Um jegliche Kontamination zu vermeiden, tragen wir auch Einmalanzüge, Mundschutz, Haarhaube und Handschuhe«, erklärt Krause-Kyora, der unter anderem Mitglied im Exzellenzcluster «Precision Medicine in Chronic Inflammation« (PMI) ist. Liegt die DNA aus der Probe dann isoliert vor, wird sie mit den gleichen Hochdurchsatz-Sequenziergeräten analysiert wie moderne DNA.
Anhand dieser Analyse lässt sich zum Beispiel herleiten, wie Menschen vor Tausenden von Jahren lebten und wer mit wem verwandt war. Das lässt zum Beispiel Rückschlüsse auf soziale Strukturen oder Völkerbewegungen zu. Krause-Kyora interessieren insbesondere Forschungsfragen im Schnittfeld von Archäologie und Medizin. «Ich versuche auf der einen Seite, Krankheitserreger in historischen und prähistorischen Proben zu detektieren und deren Evolutionsgeschichte nachzuzeichnen. Auf der anderen Seite interessiert mich, welchen Fußabdruck diese Erreger in unserem Genom hinterlassen haben.«
Diese Forschung führte zu viel beachteten Entdeckungen. Zum Beispiel gelang es, an einem ca. 5.000 Jahre alten Skelett den bisher ältesten Nachweis des Pesterregers (Yersinia pestis) zu führen. «Das liegt zeitlich schon sehr nahe an dem Punkt, wo das ursprüngliche Bodenbakterium auf den Menschen übergeht und zu einem Krankheitserreger wird. Es ist schon beeindruckend nachzuvollziehen, wie ein normales Bodenbakterium, das eigentlich überall vorkommt, sich einen neuen Wirt sucht, sich auf diesen Wirt spezialisiert und langfristig zu einem tödlichen Bakterium wird, wie wir es aus dem Mittelalter kennen.« Im Vergleich mit Proben von Pesttoten aus dem Mittelalter konnte der aDNA-Experte zeigen, dass sich das Bakterium auch in den epidemischen Ausbrüchen noch weiterentwickelte und den Gegebenheiten anpasste.
Dass die Infektionskrankheit Lepra Spuren im menschlichen Genom von Europäerinnen und Europäern hinterlassen hat, ist eine weitere Entdeckung der Arbeitsgruppe von Krause-Kyora. In einer Studie verglichen sie aDNA von Skeletten eines Leprahospitals mit aDNA von Menschen ohne Lepra sowie mit moderner DNA. Dabei kam heraus, dass eine bestimmte Variante eines Gens, das für die Immunantwort wichtig ist, die Menschen anfälliger für Lepra machte. Dadurch, dass Leprakranke isoliert wurden und keine Nachkommen zeugen konnten, gaben sie diesen Risikofaktor nicht weiter. Langfristig setzte sich also die Genvariante durch, die zu einer besseren Abwehr von Infektionskrankheiten führte. Interessanterweise wird diese Genvariante heute mit dem Auftreten von Entzündungskrankheiten, zum Beispiel des Darms (Colitis ulcerosa), in Verbindung gebracht.
Das Beispiel zeigt, wie die Erforschung alter menschlicher DNA auch zu einem besseren Verständnis moderner Erkrankungen beitragen kann. Während Infektionen das Immunsystem von Menschen in früheren Jahrtausenden aufgrund der Lebensbedingungen stark forderten, kommt es heute durch fehlgeleitete Immunantworten häufiger zu chronischen Entzündungen. Evolutionär könnte das zusammenhängen. «Wir müssen moderne Erkrankungen des Immunsystems und ihre historischen Ursprünge besser verstehen, um neue Präventionsstrategien zu entwickeln. Wir wollen mehr über die Krankheitsursachen wissen, die früher das menschliche Immunsystem besonders gefordert und den heutigen Menschen geprägt haben. Daher ist ihre Erforschung auch schon lange ein wichtiges Element im Exzellenzcluster PMI«, sagt Cluster-Sprecher Professor Stefan Schreiber, der Direktor des IKMB und Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel.
Autorin: Kerstin Nees
unizeit-Suche:
In der unizeit ab Ausgabe 93 suchen
In den unizeit-Ausgaben 27-93 suchen
unizeit #109
unizeit als PDF
Archiv
Kontakt
unizeit@uni-kiel.de
0431/880-2104
Abo, Feedback und Termine