
Grenzen aufzeigen und abbauen
Die Inklusionsbeauftragten des AStA setzen sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen erfolgreich an der CAU studieren können.
Wenn Niels Luithardt eine Vorlesung besucht, hat er immer sein Diktiergerät dabei. Damit zeichnet er die Worte des Dozierenden auf. Mitschreiben kann der Mathe- und Physikstudent nicht, da er blind ist. Zuhause geht es dann ans Nacharbeiten. Das ist alles andere als einfach, in einem Fach wie Mathematik oder Physik, wo die Tafel häufig mit Formeln vollgeschrieben wird. »Da heißt es zum Beispiel, "dann setzen wir diese Formel dort ein"«, erzählt Nils Luithardt. Für jemanden wie ihn, der nicht gesehen hat, was an der Tafel stand, ist es unmöglich, das nachzuvollziehen. Eine Mitschreibassistenz bei Vorlesungen wäre in diesem Fall ideal. Wünschenswert wäre es außerdem, wenn die Vorlesung so gestaltet würde, dass auch Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung folgen könnten.
Für Blinde oder Sehbehinderte ist es zum Beispiel hilfreich, wenn grafische oder filmische Darstellungen Darstellungen verbalisiert und ungenaue Bezeichnungen wie »dies« oder »dort vermieden werden. Für Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung ist es wichtig, dass Lehrende den Studierenden zugewandt sind und mit ausgeprägten Lippenbewegungen sprechen. Idealerweise werden außerdem Kopien der Manuskripte, Tafelbilder oder Folien zur Verfügung gestellt und die für die Veranstaltung benötigte Literatur frühzeitig bekannt gegeben.
Bei der Literaturbeschaffung ergibt sich allerdings für Blinde wie Niels Luithardt das nächste Problem. »Natürlich gibt es Literatur auch schon in digitaler Form. Aber nur weil etwas digital ist, heißt das nicht, dass ich es als Blinder lesen könnte. Leider gibt es kaum Literatur, die so aufbereitet ist, dass ich mir die Dateien einfach selbst am Rechner aufrufen und vorlesen lassen kann.«
Für den 33-Jährigen ist das allerdings kein Grund zu verzweifeln, eher ein Ansporn, Dinge zu verbessern. Daran arbeitet er zusammen mit Laura Hein. Die beiden sind Beauftragte für Inklusion beim AStA und stellen quasi die Schnittstelle zwischen Studierenden und Verwaltung dar. »Wir ermitteln zunächst einmal, welche Bedürfnisse unsere Kommilitoninnen und Kommilitonen haben, versuchen Unsichtbares sichtbar zu machen und so eine Sensibilisierung für die Problematik zu ermöglichen«, erklärt Laura Hein, die den Masterstudiengang für Migration und Diversität studiert.
Nicht alle Hindernisse sind so offensichtlich wie fehlende Rampen oder Fahrstühle für Studierende im Rollstuhl. Wo es überall klemmt, wissen am besten diejenigen, die in irgendeiner Form beeinträchtigt sind. Daher appelieren die Inklusionsbeauftragten an alle Studierenden, solche Probleme zu melden. »Wir können nur helfen, wenn wir die Probleme kennen«, sagt Niels Luithardt. Das betrifft zum Beispiel auch den Nachteilsausgleich.
Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten haben einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Nachteilsausgleiche im Studium und bei Prüfungen. Je nach Art der Beeinträchtigung kann eine Zeitverlängerung bei Klausuren beantragt werden oder eine andere Form der Prüfung. Niels Luithardt zum Beispiel macht nur mündliche Prüfungen. »Selbst mit zeitlicher Verlängerung könnte ich keine Prüfung schreiben. Das Problem mit den Nachteilsausgleichen ist, dass man sich rechtfertigen muss. Nach dem Motto, ich würde mir Vorteile erschleichen. Das nagt schon an einem.« Tatsächlich sind diese Ausgleiche nötig, um überhaupt gleiche Chancen beim Studium zu ermöglichen.
Daher verstehen sich die Inklusionsbeauftragten auch nicht als reine Beschwerdestelle. Ihre Aufgabe sehen sie vor allem in der Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für die Problematik in den verschiedenen Gremien der Hochschulverwaltung. »Das geht am besten über eigene Erfahrung. Wenn man die Leute selber einmal in die Situation bringt, sie zu behindern, etwa indem man ihnen die Augen verbindet, dann wirkt das nachhaltig«, sagt Niels Luithardt. Laura Hein wünscht sich, »dass wir die Barrieren im Kopf abbauen, dass zum Beispiel auch psychische Erkrankungen als Studienerschwernis allgemein akzeptiert sind und Betroffene nicht mehr ein unangenehmes Gefühl haben, darüber zu reden.
Kerstin Nees
Inklusionsbeauftragte des AStA
Niels Luithardt, Laura Hein
0431 880-1720
inklusion@asta.uni-kiel.de
Behindert, beeinträchtigt, chronisch krank
Für sieben Prozent der Studierenden an deutschen Hochschulen erschwert sich das Studium infolge körperlicher oder gesundheitlicher Beeinträchtigung, das hat die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ergeben. 42 Prozent von ihnen leiden unter psychischen Erkrankungen wie Essstörungen oder Depression und jeder Dritte hat eine chronische körperliche Krankheit wie Rheuma, Morbus Crohn oder Diabetes. Weitere studienerschwerende Beeinträchtigungen sind Seh-, Hör- oder Sprechbeeinträchtigungen, Mobilititätsbeeinträchtigungen sowie Legasthenie und andere Teilleistungsstörungen. Die meisten dieser Beeinträchtigungen bleiben unbemerkt, wenn Studierende nicht selbst darauf hinweisen. Auswirkungen auf das Studium haben alle Beeinträchtigungen, egal ob sichtbar oder unsichtbar. (ne)
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