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Infrastrukturen für Big Data aus der Meeresforschung

Daten und datengetriebene Dienste sollen verfügbar gemacht, zusammengeführt, vertrauensvoll geteilt und genutzt werden können. Diese Ziele der digitalen Infrastrukturinitiative GAIA-X setzt das Projekt MARISPACE-X für die besonderen Anforderungen von Daten aus dem Meer um.

Luftbild eines welligen Küstenbereichs
@ Felix Gros / Kilian Etter, Institut für Geowissenschaften, Uni Kiel

MARISPACE-X steht für Smart Maritime Sensor Data Space X (deutsch: Datenraum für intelligente maritime Sensoren). Das Vorhaben will eine neue Art der digitalen Zusammenarbeit in der Meeresforschung realisieren. Ziel ist, das Sammeln und die Analyse aller ozeanrelevanten Daten zu erleichtern und zu verbessern. Maritime Daten sollen nutzbar gemacht, miteinander verknüpft und über intelligent vernetzte Objekte (Internet of Underwater Things, IoUT) verarbeitet werden. Herausfordernd ist insbesondere Letzteres, also ein Netzwerk per Internet verbundener Geräte, die Sensordaten zur zentralen Verarbeitung an eine Cloud übermitteln. »Das Medium Wasser ist da der limitierende Faktor. Wenn die Sensoren unter Wasser sind, können ihre Signale nicht durch das Wasser transportiert werden«, erklärt Professor Matthias Renz. Der Informatiker leitet die Arbeitsgruppe Archäoinformatik – Data Science und koordiniert den CAU-Part in MARISPACE-X. Zur Weitergabe der Daten müssen die Tauchroboter oder Unterwasser-Messgeräte zunächst an die Oberfläche kommen. »Diese Hürde hat man in anderen Anwendungen nicht. Deswegen brauchen wir auch spezielle Methoden, wie die Information gesammelt werden kann, wie die Sensoren miteinander kommunizieren können, und das Ganze soll nicht nur intelligent, sondern auch souverän laufen«, betont Renz.

Vielleicht war gerade diese Herausforderung ein Grund, warum das Projekt innerhalb des Förderwettbewerbs »Innovative und praxisnahe Anwendungen und Datenräume im digitalen Ökosystem GAIA-X« erfolgreich war, obwohl die Meereswissenschaften als Themenbereich überhaupt nicht vorgesehen waren. Zu den in der Ausschreibung genannten Bereichen gehören unter anderem Energie und Mobilität, Gesundheit, Geoinformation und Smart Living. Die Gewinnerprojekte sollen die technologische Machbarkeit sowie die wirtschaftliche Umsetzbarkeit und die Nutzbarkeit innovativer digitaler Technologien und Anwendungen demonstrieren. Das MARISPACE-X-Konsortium unter Leitung des Cloudanbieters IONOS SE (1&1) erhält hierfür insgesamt rund 15 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für drei Jahre.

Wir messen erstmal mit allen möglichen Sensoren, um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen. Dadurch erzeugen wir ein enormes Datenvolumen.

Natascha Oppelt

Koordiniert wird der Verbund von der Kieler Firma north.io GmbH (ehemals EGEOS). Weitere Partner sind das Kieler Start-up TrueOcean GmbH, die Universitäten Kiel und Rostock, das GEOMAR – Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD), die Stackable GmbH und die MacArtney Germany GmbH.

Die Universität Kiel ist mit fünf Arbeitsgruppen aus der Informatik sowie je einer aus der Geographie und den Geowissenschaften vertreten. »Die Informatik entwickelt gemeinsam mit north.io die grundlegenden Methoden für den Datenraum und die Dateninfrastruktur. Verschiedene Anwendungsbeispiele für die digitale Infrastruktur sollen zudem die unterschiedlichen Aspekte der Datensammlung darstellen«, erklärt Renz, der als Data-Science-Experte die Schnittstelle zwischen der Informatik und den anderen Wissenschaften bildet und das Projekt auch im Rahmen des Schwerpunktthemas »Digital Ocean« im CAU-Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science (KMS) vorantreibt.

Satellitenbild der Ostseeküste um Kiel
© Geographisches Institut, Uni Kiel

Satellitenbild der Ostseeküste um Kiel. Für die Kartierung von Seegras (grüne Streifen vor der Küste) werden Sensoren mit verschiedenen Spektralwellenlängen verwendet. Die Aufnahme des Untersuchungsgebiets Heidkate wurde in einer Vorstudie ausgewertet.

Ein Anwendungsbeispiel, bei dem enorme Datenmengen anfallen, betreuen die Kieler Geographieprofessorin Natascha Oppelt (Arbeitsgruppe Earth Observation and Modelling) und der Geophysiker Dr. Jens Schneider von Deimling (Arbeitsgruppe Marine Geophysik). Mit einem kombinierten Ansatz aus optischer Fernerkundung und schiffsgebundener Hydroakustik wollen sie eine Methode entwickeln und validieren, mit der sich aquatische Vegetation an der Ostseeküste, wie zum Beispiel Seegras, Brauntang oder invasive Rotalgen, flächig erfassen und monitoren lassen. Seegras und Brauntang wachsen im Flachwasserbereich, sind wichtige Habitate für Fische und Kleinlebewesen und dienen als biologischer Klimaschutz, indem sie Kohlenstoff binden und damit den Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre reduzieren. »Bisher ist für Schleswig-Holstein nicht bekannt, in welchen Bereichen diese Arten wachsen und wo nicht, welche Einflussfaktoren eine Rolle spielen und wo Anpflanzungen sinnvoll wären«, erklärt Oppelt. »Wir messen erstmal mit allen möglichen Sensoren, um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen. Dadurch erzeugen wir ein enormes Datenvolumen. Das geht sehr schnell in den Terabyte-Bereich.« Darauf aufbauend ist die Informatik gefordert, die dabei helfen soll, mit Mustererkennung und künstlicher Intelligenz die Daten zu extrahieren, die wirklich relevant sind. Wenn eine Kombination von Sensoren identifiziert ist, die die Situation gut abbildet, soll in einem nächsten Schritt das Verfahren so weit verfeinert werden, dass sich damit die heimische und invasive aquatische Vegetation an der Küste kontinuierlich überwachen und erforschen lässt. Aber nicht nur die Messungen sind komplex, sondern auch die sich anschließenden Rechenprozesse. »Wir sind im Bereich Big Data und müssen in Richtung Cloud-Lösungen gehen. Auf Einzelrechnern lassen sich unsere Daten nicht mehr verarbeiten«, sagt Oppelt.

Die entsprechende Infrastruktur wird in MARISPACE-X entwickelt. Das umfasst einerseits eine sichere Cloud-Umgebung und eine Kombination mit Edge und Fog Computing. Die Cloud wird heute schon vielfach als virtueller Datenspeicher für Fotos, Videos oder Dokumente genutzt. Mit Cloud Computing ist eine virtuelle und skalierbare IT-Infrastruktur gemeint. Sie umfasst Anwendungen, Daten, Speicherplatz und Rechenleistung aus einem virtuellen Rechenzentrum. Dieses besteht aus zusammengeschalteten Computern. Edge ist der Ort, wo die Daten entstehen, entweder durch direkte Sensormessung oder als Satellitendaten. Edge Computing sieht vor, einen Teil der Datenverarbeitung nicht erst in der Cloud durchzuführen, sondern bereits lokal, auf einem System nahe am Ort des Geschehens. Führt man zwischen Edge und Cloud eine zusätzliche Verarbeitungsebene ein, nennt man das Fog Computing. »Diese Infrastruktur muss geschaffen werden. Denn ohne Stationen, die mit der Sensorik kommunizieren können, und ohne ein belastbares Kommunikationsnetz sind auch die intelligentesten Algorithmen wertlos«, betont Renz.

Autorin: Kerstin Nees

GAIA-X

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) rief 2019 die Initiative GAIA-X ins Leben. Ziel ist, die Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen IT-Anbietern und marktbeherrschenden datengetriebenen Plattformen zu reduzieren. Mittlerweile wird das Projekt von mehreren europäischen Staaten und Unternehmen weltweit unterstützt.

Mit GAIA-X entwickeln Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf internationaler Ebene einen nachhaltigen Beitrag zur Gestaltung der nächsten Generation einer europäischen Dateninfrastruktur. Ziel ist eine sichere und vernetzte Dateninfrastruktur, die den höchsten Ansprüchen an digitale Souveränität genügt und Innovationen fördert. In einem offenen und transparenten digitalen Ökosystem sollen Daten und Dienste verfügbar gemacht, zusammengeführt, vertrauensvoll geteilt und genutzt werden können.

Die IT-Architektur von GAIA-X basiert auf dem Prinzip der Dezentralisierung. GAIA-X ist das Zusammenspiel zahlreicher individueller Plattformen, die alle einem gemeinsamen Standard folgen. Das digitale Ökosystem soll dafür sorgen, dass Unternehmen und Geschäftsmodelle aus Europa wettbewerbsfähig sein können. (ne)

Über Kiel Marine Science (KMS)

Kiel Marine Science (KMS) ist das Zentrum für interdisziplinäre Meereswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). KMS bildet die organisatorische Einheit für alle natur-, geistes- und sozialwissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher, die sich mit den Meeren, Küsten und den Einfluss auf die Menschheit beschäftigen. Die Expertise der Gruppen kommt beispielsweise aus den Bereichen der Klimaforschung, der Küstenforschung, der Physikalischen Chemie, der Botanik, aus der Mikrobiologie, der Mathematik, der Informatik, der Ökonomie oder aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Insgesamt umfasst KMS über 70 Arbeitsgruppen an sieben Fakultäten und aus über 26 Instituten. Gemeinsam mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft arbeiten sie weltweit und transdisziplinär an Lösungen für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans.

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