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Moin Refugees!

Als Dokumentarfilmerin in Syrien hat sie immer wieder helden­hafte Menschen im Alltag gewürdigt. Nun muss Sara Alkoud selber ein bisschen Heldin sein. An der Uni Kiel bereitet sie sich auf ihre zweite akademische Karriere in Deutschland vor.

Drei Personen in einem Klassenzimmer
© Foto: pur.pur

Dozentin Suliko Hofschulte (rechts) schaut Muhammad Shqer (Mitte) und Sara Alkoud (links) beim Deutsch lernen über die Schultern.

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»Ich mag Moin.« Die norddeutsche Begrüßungsformel gefiel Sara Alkoud auf Anhieb, aber mit der neuen Sprache an sich hat sie zu kämpfen. »Deutsch ist sehr schwierig«, seufzt die 31-Jährige und fügt entschlossen hinzu: »Aber ich kann das schaffen.« In Syrien hat sie Englische Literatur und Kunst studiert, erfolgreich abgeschlossen und begonnen, sich als Filmemacherin zu etablieren. Eine gute Zukunft hätte sie vor sich gehabt, wenn der Krieg nicht wäre. Der Krieg, in dem ihr Vater ums Leben kam und der ihr selbst viele Hoffnungen zerstört, aber nicht den Lebensmut genommen hat.

Bevor Sara Alkoud vor gut einem Jahr flüchtete, hatte sie als Kunstlehrerin mit traumatisierten Kindern gearbeitet. »Das war auch für mich eine Hilfe«, betont die junge Frau, die vor diesem Sommersemester im Lektorat Deutsch als Fremdsprache einen Vorbereitungskurs absolvierte, um danach in Intensivkursen für die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) zu büffeln.

Sprache ist erst einmal fast alles. Zumindest für Sara Alkoud und mehrere hundert andere Geflüchtete, die in Kiel gelandet sind und einen akademischen Hintergrund haben. Das reicht von 18-Jährigen mit anerkannter Hochschulzugangsberechtigung bis zu Frauen und Männern, die in ihren Herkunftsländern schon Abschlüsse in Jura, Wirtschaftswissenschaften, Philologie, Medizin, Naturwissenschaften und anderen Fächern erreicht haben. »Wir erleben im Moment tatsächlich eine Welle«, berichtet Martin Lange vom Lektorat Deutsch als Fremdsprache und betont, dass dieser Andrang mit dem Stamm­per­sonal nicht zu bewältigen wäre. Gut, dass das im Bildungsministerium des Landes genauso gesehen wird. Befristet gab es zwei zusätzliche Stellen, um die Wartezeiten für die Studieninteressierten mög­lichst kurz zu halten.

Auch Muhammad Shqer gehört zu den vielen Zugewanderten, die lieber heute als morgen loslegen würden. In Damaskus hat er ein Studium der Anglistik und Englischen Literatur abgeschlossen und sich intensiv mit Grafikdesign beschäftigt. »Englisch ist einfacher«, sagt er und ist umso entschlossener, die neue Herausforderung Deutsch zu meistern. Sein erstes Wort? »Hauptbahnhof«, antwortet er schmunzelnd und irgendwie sehr vielsagend. Muhammad, Sara und die anderen sind alle unterwegs, in Zügen und in ihrem Leben.

Wohin die Reise geht, wissen die wenigsten von ihnen. Muhammad Shqer möchte am liebsten in Kiel seinen Master in Anglistik machen und ist optimistisch. Mit 23 Jahren ist er jung genug, um Anspruch auf BAFöG zu haben. Und die Sache mit Deutsch, davon ist er überzeugt, wird er auch hinkriegen. Schwieriger ist es für seine Landsfrau, die schon einen Platz in der Filmhochschule in Babelsberg in Aussicht hatte. Dann jedoch stellte sich heraus, dass sie für BAFöG schon zu alt ist. Anspruchs­berechtigt wäre Sara Alkoud aber wohl, wenn es ihr gelänge, in einem Masterstudiengang der Berliner Universität der Künste unterzukommen.

»Fast jeder Fall ist tatsächlich anders«, bestätigt Martin Lange. Immer wieder versuchen er und die übrigen Mitglieder seines Teams, den Geflüchteten eine möglichst große Bandbreite von Möglichkeiten an der Uni Kiel vor Augen zu führen. In Syrien etwa hat traditionell das Medizinstudium einen sehr hohen Stellenwert, entsprechend groß ist das Interesse junger Leute, die aus diesem Land gekommen sind. »Die Plätze würden bei Weitem nicht reichen», betont Lange. »Deshalb ist es wichtig, auf Ökotrophologie und andere Fächer links und rechts des Weges hinzuweisen.«

Am Institut für Informatik geschieht das ebenfalls. Erstmals im Herbst 2016 wurde dort ein Mathe-Vor­bereitungskurs in arabischer Sprache angeboten. Im Sommersemester 2017 startet eine Neuauf­lage, zusätzlich wird ein Kurs in der Programmiersprache Java angeboten. »Das soll den Einstieg erleichtern und beschleunigen«, sagt Professor Reinhard von Hanxleden. Ohne Sprachbarriere seien die Geflüch­te­ten viel besser in der Lage herauszufinden, ob zum Beispiel Informatik überhaupt das richtige Fach für sie ist. Denn nicht anders als bei Studierenden deutscher Herkunft zeigt sich nach von Hanxledens Erfahrung, dass andere Studiengänge oder auch nicht-universitäre Berufsausbildungen zuweilen die bessere Wahl sein können.

Und nicht selten, so von Hanxleden, klaffe im fachlichen Niveau eben doch eine »ziemliche Lücke« zwischen Deutschland und den Herkunftsländern. Deshalb gehöre zum Kursprogramm auch die Vor­stellung verschiedener Studienfächer der Technischen Fakultät der CAU und alternativer Berufs­einstiege.

Davon unabhängig bietet das Institut den Geflüchteten mit diesen Kursen Abwechslung und »etwas fachliches Futter«, sagt von Hanxleden. Was dankbar angenommen wird, weil sonst immer wieder das Warten auf amtliche Bescheide oder Kursplätze den Alltag prägt.

Martin Geist

Informationen für studieninteressierte Geflüchtete unter
www.international.uni-kiel.de/en

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