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Bewegte Erde im Mittelmeer

Sizilien liegt in einer geodynamisch sehr aktiven Region. Nicht nur der Vulkan Ätna kann ausbrechen, auch Erdbeben oder Tsunamis sind reale Risiken. Im interdisziplinären Verbund analysieren und bewerten Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Gefahren.

Hafen mit Ätna im Hintergrund
© Felix Gross

Die Ostflanke des Ätna rutscht langsam Richtung Meer. Dadurch senkt sich der gesamte Hafen des Küstenorts Stazzo am Fuß des Vulkans ab.

Europas größter Vulkan, der etwa 3.340 Meter hohe Ätna, bricht regelmäßig aus und stößt schwarze Asche, glühendes Gestein und Rauchschwaden in die Luft. Mitunter fließen auch Lavaströme den Berg hinab und in bewohnte Gebiete. Häufig kommt es im Zuge der Eruptionen auch zu Erdbeben. Mit diesen Gefahren lebt die Bevölkerung Siziliens schon lange, sie hat sich so gut es geht damit arrangiert. Mehr noch, sie profitiert auch davon. Die Lavaströme bringen fruchtbare Böden hervor und der Vulkan-Tourismus ist eine willkommene Einnahmequelle.

Tatsache ist jedoch, die Region birgt unkalkulierbare Risiken. Diese gehen nicht nur von der vulkanischen Aktivität des Ätna aus: Der riesige Berg selbst ist in Bewegung, genauer gesagt, ein Teil davon. Die Ostflanke des Ätna rutscht langsam, aber kontinuierlich in Richtung Meer, im Schnitt mit einer Geschwindigkeit von ein bis zwei Zentimetern pro Jahr. In den betroffenen Gebieten durchziehen tiefe Risse Straßen und Häuser, die Erde verschiebt sich. »Wie schnell sich die Flanke an Land bewegt, wird mit Messstationen vor Ort und Satellitenbeobachtung permanent erfasst. Denn falls sie komplett abrutschen würde, könnte dies, wie 2018 am Anak Krakatau in Indonesien, einen Tsunami auslösen«, erklärt Dr. Felix Gross vom Institut für Geowissenschaften und dem meereswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science (KMS).

Indizien dafür, dass sich der Hang auch unter Wasser bewegt, hat der Kieler Geophysiker im Rahmen seiner Doktorarbeit gefunden. Für die Überprüfung dieser Annahme nutzte er die Daten eines neuen, schallbasierten Vermessungsnetzes, das unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel auf dem Meeresboden vor der Südostküste Siziliens ausgebracht worden war. Diese Messung war die erste ihrer Art im marinen Bereich, und sie bestätigte die Hypothese, dass sich die Bewegung unter Wasser fortsetzt. Gross: »Wir sehen, dass der unterseeische Kontinentalhang, der dem Ätna vorgelagert ist, komplett instabil ist. Am Meeresboden und im Sediment sind markante Strukturen zu finden, die darauf hindeuten, dass hier extrem viel Bewegung im System ist. Das macht diese Vulkanflanke zu einer noch größeren Gefahr.«

Mit seismischen und hydroakustischen Messtechniken lassen sich zum einen morphologische Karten der Oberfläche des Meeresbodens erstellen und zum anderen die geologischen Strukturen in der Tiefe aufschlüsseln, erklärt Gross. »Wir haben zwischen der Straße von Messina im Norden und südlich von Sizilien Daten aufgezeichnet und ausgewertet. Der gesamte Meeresboden weist viele weitere Störungszonen auf, die in der Vergangenheit für Erdbeben und daraus resultierende Tsunamis verantwortlich gewesen sein könnten.« Bekannt sind vor allem drei große Erdbeben in der Region in den Jahren 1693, 1783 und 1908, die viele Todesopfer forderten (1693: etwa 60.000; 1783: 32.000–50.000; 1908: 75.000–110.000). Auch zukünftig könnten solche Ereignisse wieder auftreten. Der Grund: Süditalien (Sizilien und Kalabrien) befindet sich an der Kollisionszone zwischen der Afrikanischen und der Eurasischen Platte. »Dieser Kollisionsgürtel ist extrem komplex. Die Kontinentalplatten treffen in verschiedenen Winkeln aufeinander und verschieben sich übereinander«, so Gross. »Wir sehen vertikale Versätze zwischen den Platten. An diesen Bruchzonen sind die Sedimente komplett gegeneinander verschoben. Und das ist nur möglich, wenn starke Kräfte darauf wirken. Daher gehen wir davon aus, dass hier der Ursprung für vergangene Erdbeben liegt.«

Um frühere Ereignisse zu modellieren, werden die Störungszonen an der Oberfläche des Meeresbodens und im Untergrund kartiert. Gross: »Dabei schauen wir uns nicht nur den Meeresboden an, sondern auch das, was an Land passiert, um ganzheitliche Modelle zu erstellen.« Genau vorhersagen lassen sich Erdbeben oder marine Naturgefahren auch mit diesen Modellen nicht. Der Blick in die geologische Vergangenheit lasse aber darauf schließen, welche Gebiete zukünftige Gefahren bergen. Und dazu zählt nach Einschätzung des Geophysikers auch die rutschende Flanke des Ätna.

Um die aktuellen Naturgefahren in Süditalien genauer zu betrachten, haben sich Kieler Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von CAU und GEOMAR disziplinübergreifend mit Kooperationspartnern aus Italien zusammengeschlossen. Sie beobachten aktive Bruchzonen, kartieren den Meeresboden und modellieren Szenarien. Zudem werden auch soziale und ökonomische Aspekte betrachtet und in die Analysen miteinbezogen. Felix Gross koordiniert und leitet die gemeinsamen Aktivitäten im neu gegründeten Center for Ocean and Society an der Uni Kiel.

Autorin: Kerstin Nees

Das Center for Ocean and Society möchte als fakultätsübergreifende Plattform des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) einen entscheidenden Beitrag leisten, den nachhaltigen Umgang mit Meeren und Küsten sicherzustellen. Dabei steht im Mittelpunkt, die soziale Gerechtigkeit für heutige und zukünftige Generationen mit Respekt für die Umwelt zu verbinden.

www.kms.uni-kiel.de/de/oceanandsociety

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