
Philosophie des Richtigen
Was hat Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) mit dem modernen Nachhaltigkeitsgedanken zu tun? Sehr viel, meint der Umweltethiker Professor Konrad Ott. In einem neuen Forschungsprojekt will er die Wirkung des oft verkannten Philosophen bis in die heutige Zeit hinein würdigen – und zugleich die Diskussionsstränge, die sich in vielerlei Weisen um das Thema Nachhaltigkeit ranken, auf eine gesellschaftstheoretische Basis stellen.

Hegels vielschichtige Theorien haben auch heute noch Relevanz.
»Sittlichkeit und Nachhaltigkeit in einer Postwachstumsgesellschaft« heißt das auf drei Jahre angelegte Projekt, das in diesem Frühjahr trotz Corona allmählich Fahrt aufgenommen hat. Eingebettet ist es in ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes wissenschaftliches Dreierpaket. Philosophieprofessor Ludger Heidbrink beschäftigt sich dabei unter anderem mit den religiösen Dimensionen des Wachstumsglaubens, während sich die kürzlich von Kiel nach Göttingen gewechselte Politikwissenschaftlerin Professorin Tine Stein den Möglichkeiten einer ökologischen Transformation der Gesellschaft widmet.
Dass Konrad Ott in diesem Trio ein Stück weit den Hegelianer gibt, zeigt sich schon im Titel seines Teilprojekts, denn das Wort Sittlichkeit ist ein zentraler Begriff im Werk Hegels. Wobei für Hegel Sittlichkeit nichts mit einem plumpen Verhaltenskodex zu tun hat. Sie verbindet für ihn als gedankliche Klammer Institutionen wie die Familie oder das Gemeinschaftsleben überhaupt, aber auch die Wirtschaft und dem Staat. »Das Interessante daran ist, dass die Werte, die dieser Sittlichkeit zugrunde liegen, nicht statisch sind, sondern immer wieder neu diskutiert und verhandelt werden müssen«, erläutert Konrad Ott. Wenn sich Hegel also mit der »Philosophie des Richtigen« beschäftigt, wie Ott es formuliert, mit den normativen Grundlagen von Recht, Wirtschaft und Politik, dann führt aus Sicht des Umweltethikers genau dieses stetige Infragestellen zu einer Aktualität des Hegelschen Denkens.
Was früher als spinnert oder esoterisch abgetan wurde, ist heute auf dem Weg zum Mainstream.
»Gerade auch zu Nachhaltigkeit hat Hegel heute noch etwas zu sagen«, betont Ott und verweist auf dessen Konzeption von Rechtlichkeit, Moralität und Sittlichkeit. Eine herausragende Stellung nimmt dabei zunächst das Prinzip der Legalität ein, die Verankerung von Normen des Zusammenlebens in allgemeingültigen Regeln. Hegel hätte nach Otts Überzeugung »nie in Abrede gestellt«, dass diese Normen immer wieder auf die aktuellen Gegebenheiten hin geprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen. Und so lässt sich beispielsweise mit Hegel gut begründen, dass der schon im 18. Jahrhundert angesichts des zunehmenden Raubbaus an den Wäldern aufgekommene Nachhaltigkeitsgedanke heutzutage in einer Fülle von Umweltgesetzen präsent ist. Dazu Ott: »Vor 30, 40 Jahren war das ein Randgebiet, heute ist es eine tragende Säule des öffentlichen Rechts.«
Auch die Moral oder in diesem Zusammenhang die Umweltethik im engeren Sinn ist ein Pfeiler der Hegelschen Rechtsphilosophie. Ott sieht dabei eine »relativ robuste Umweltmoral« im Werden, einen längst den sozialen Nischen entwachsenen Konsens über notwendige Neuausrichtungen beim Konsum, in der Mobilität und in der Art des Wirtschaftens. »Die Koordinaten haben sich erheblich verschoben«, meint Ott. »Was früher als spinnert oder esoterisch abgetan wurde, ist heute auf dem Weg zum Mainstream.«
Eine weitere Sphäre im Hegelschen System ist das Gemeinschaftsleben, die Kultur des Miteinanders, die von der Kindererziehung bis zur Organisation von Nachbarschaft reicht. Und nicht zuletzt, so erklärt Konrad Ott, geht es um die Wirtschaft: »Die kann nicht komplett auf Umweltethik umgestellt werden, aber denkbar und möglich ist ein grüner Ordoliberalismus, der den Rahmen für Investitions- und Produktentscheidungen setzt.« Mithin könnte also aus der sozialen eine ökosoziale Marktwirtschaft werden. Ganz in der Weise, wie es aus Otts Sicht am Geographischen Institut der Uni Kiel mit dem von Professor Christoph Corves ins Leben gerufenen Yooweedoo-Wettbewerb für nachhaltiges Unternehmertum mustergültig vorgemacht wird.
Postwachstumsgesellschaften, die sich in einem lebensbejahenden Sinn auf den Gedanken der Endlichkeit einstellen, müssen dies zudem auf der politischen Ebene und ebenso über internationale Regeln umsetzen, fügt Ott hinzu. Am besten gelingen kann das nach seiner Überzeugung mit Hegels Idee der Konkretion, dem Ineinandergreifen aller Sphären vom Privaten übers Gesellschaftliche bis zur nationalen und internationalen Ebene. Wer mag, kann derlei verstandene Konkretion auch als Ganzheitlichkeit bezeichnen – und erahnen, dass der Philosoph schon vor 200 Jahren ziemlich gegenwärtig unterwegs war.
Autor: Martin Geist
DFG-Projekte zu »Politik und Ethik der Endlichkeit«
Das Projekt »Endliche Welt und offene Zukunft. Endlichkeit und Wachstumskritik im politischen Denken« von Professor Ludger Heidbrink und der Politikwissenschaftlerin Professorin Tine Stein von der Universität Göttingen ist Teil eines Dreierpakets, mit dem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Uni Kiel noch bis Herbst 2022 die wissenschaftliche Arbeit zum Themenkomplex Endlichkeit und Wachstumskritik unterstützt. Ebenfalls enthalten ist darin ein Projekt des Kieler Umweltethikers Professor Konrad Ott zu »Sittlichkeit und Nachhaltigkeit in einer Postwachstumsgesellschaft«. Professorin Stein schließlich befasst sich im dritten Teil mit den Möglichkeiten einer ökologischen Transformation der Gesellschaft. (mag)
Siehe auch: »Vom Wesen des Wachstumsgedankens« in unizeit 102, 04.04.2020
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