
Hydra als Modellsystem
Dr. Puli Chandramouli Reddy aus Indien forscht zurzeit in der Arbeitsgruppe von Professor Thomas Bosch und im Sonderforschungsbereich 1182 »Enstehen und Funktionieren von Metaorganismen« an der CAU. Im unizeit-Interview verrät der indische Gastwissenschaftler, was ihn nach Kiel brachte und woran er forscht.

Puli Reddy bei einem Vortrag im Kieler Zentrum Molekulare Biowissenschaften.
unizeit: Vielen Dank für die Gelegenheit zu diesem Gespräch! Wie ist es zu Ihrem Besuch an der CAU gekommen?
Puli Chandramouli Reddy: Vor einigen Jahren besuchte ich die Universität Kiel als Doktorand. Der Ursprung war ein Besuch von Thomas Bosch in Indien bei einer Konferenz, auf der wir uns trafen. In Indien gibt es nicht einmal eine handvoll Arbeitsgruppen, die am Süßwasserpolypen Hydra als Modellorganismus arbeiten. Damals besuchte ich Thomas' Labor und lernte viel über die Biologie von Hydra. Dank dieser Inspiration setzte ich danach meine Forschung an diesem Organismus fort. Und als Teil meines derzeitigen Stipendiums des Wellcome Trusts UK und der DBT India Alliance bin ich nun wieder in Kiel, um transgene Hydren zu erzeugen.
Inwiefern ist Hydra interessant für Ihre Forschung?
Hydra beherbergt, genau wie der Mensch, viele Mikroben. Es ist interessant zu erfahren, wie diese zur Fitness des Tieres beitragen. Was passiert, wenn diese Mikroben nicht mehr vorhanden sind? Thomas' Labor hat bereits die Bedeutung der verschiedenen mikrobiellen Organismen und ihre Rolle bei der Entwicklung von Hydra gezeigt. Jetzt konzentriere ich mich darauf, wie sie mit dem Hydra-Genom kommunizieren. Die Mikroben können zum Beispiel Nährstoffe verwerten und bestimmte Stoffwechselprodukte liefern, die von Hydra zur direkten Regulierung ihres Genoms verwendet werden.
Worum geht es in Ihrer Arbeit?
Jedes Tier, jede Pflanze, auch der Mensch, beherbergt verschiedene Arten von Mikroben, sie koexistieren mit vielen verschiedenen Arten. Aber wir verlieren diese Mikroben, weil wir heutzutage viele Antibiotika einsetzen. Antibiotika unterscheiden nicht und töten alle Keime ab, ob sie nun schädlich sind oder nicht. Wir ernähren uns auch auf sehr verschiedene Weise. Diese Unterschiede im Lebensstil wirken sich auf die gesamte mikrobielle Besiedlung aus. Wenn sie diese symbiotische Beziehung stören, wird es natürlich Auswirkungen geben – das ist es, was wir verstehen wollen.
Wie sind Sie zu diesem speziellen Thema gekommen?
Ich komme aus dem südlichen Teil Indiens, einer subtropischen, warmen und grünen Region. Ich bin in einer landwirtschaftlich geprägten Gegend geboren und aufgewachsen. Ich lebte also mitten in der Wildnis, immer umgeben von der Natur. Ich war fasziniert von der Vielfalt der verschiedenen Lebensformen.
Ich schloss mein Studium der Chemie, Biochemie und Biotechnologie ab. Später begann ich mich für die Regeneration von Hydra zu interessieren. Wenn man Hydra in zwei Hälften schneidet, kann sie sich wieder regenerieren. Deshalb wollte ich die molekularen Mechanismen verstehen, die diesem Prozess zugrunde liegen. Es ist ein sehr einfacher Organismus mit nur zwei Keimschichten und zwei definierten Körperachsen. Viele Tiere erlangten später komplexe Körperformen und verschiedene Organe. Dies ist also ein Ausgangspunkt, an dem zum ersten Mal neuronale Zelltypen oder Muskelepithelzellen auftraten. Welche Art von evolutionären Übergängen führte zu diesen Innovationen? Das ist für mich sehr interessant.
Bitte erzählen Sie uns von Ihrer Institution in Ihrem Heimatland.
Nach dem Abschluss meiner Doktorarbeit trat ich einem Institut namens »Indian Institute of Science Education and Research« bei, das in Pune im westlichen Teil Indiens angesiedelt ist und direkt vom indischen Entwicklungsministerium unterhalten wird. Es gilt als erstklassiges Institut mit einer hochmodernen Infrastruktur, das alle internationalen Standards erfüllt. In meiner derzeitigen Position am Anfang meiner Karriere konzentriere ich mich hauptsächlich auf die Forschung. Welche Erkenntnisse ich auch immer gewinne, werde ich später in die Lehre einbringen. Aufgrund der vielfältigen Bereiche des Instituts habe ich die Möglichkeit, viele Dinge von anderen Arbeitsgruppen zu lernen, wir können zusammenarbeiten und gemeinsam unsere Ziele schnell erreichen.
Wie unterscheidet sich die akademische Welt in Indien von der in Europa?
Es gibt Vor- und Nachteile in beiden Systemen. Meine Erfahrung ist, dass hier in Deutschland die Wissenschaft Teil der Kultur ist. Genau wie die Kunst, zum Beispiel Musik oder Theater. Das ist in Indien nicht so. Die Kunst ist dort ein wichtiger Teil der Kultur, aber die Wissenschaft ist es noch nicht. In Indien ist das Hauptziel des Bildungswesens die Schaffung von Arbeitsplätzen. Das ändert sich jetzt aber langsam.
Wegen mangelnder Infrastruktur sind Inderinnen und Inder auch nicht sehr früh mit praktischen Erfahrungen konfrontiert. Sie müssen bis zur Universität warten, um selber experimentieren zu können. Gegenwärtig sind die Menschen in Indien sehr gut in den theoretischen Wissenschaften, etwa Mathematik oder Informatik, die wenig Infrastruktur benötigen.
Welche Pläne haben Sie für die nächsten Jahre?
Ich lerne viel in Kiel, zum Beispiel im Forschungsschwerpunkt Kiel Life Science, in dem verschiedene Institutionen und Expertisen zusammenwirken, so dass sie gemeinsam viel mehr erreichen können. Was ich also in Indien tun möchte, ist, Hydra als Modellsystem zu etablieren. Gleichzeitig möchte ich den Menschen beibringen, was ich gelernt habe, damit ich ihren Geist inspirieren kann. Mein Ziel wird sein, zuerst eine gesicherte Stelle zu erreichen und dann das umzusetzen, was ich aus den Erfahrungen, vor allem hier in Kiel, gelernt habe. Da meine Familie in Indien lebt, werde ich mich wohler damit fühlen, zurückzukehren und meine weitere Karriere in der Heimat zu verfolgen.
Das Interview führte Christian Urban.
Dr. Puli Chandramouli Reddy ist India Alliance Early Career Fellow in der Abteilung für Biologie am Indian Institute of Science Education and Research (IISER)-Pune, Indien. Ein aktuelles Stipendium des Wellcome Trust UK und der DBT India Alliance ermöglicht es ihm unter anderem, eineinhalb Jahre lang in der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie an der Kieler Universität zu forschen. Deren Leiter Professor Thomas Bosch pflegt seit vielen Jahren guten Kontakt zu indischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen. Von Reddys Forschungsaufenthalt verspricht er sich neben neuen Erkenntnissen zu den Wirt-Mikroben-Interaktionen auch, die Beziehungen zum IISER und anderen Forschungsinstituten in Indien langfristig zu intensivieren.
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