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Reden oder schweigen?

Was wiegt schwerer, die Geheimhaltung von Unternehmensinterna von Aktiengesellschaften oder die Information der breiten Öffentlichkeit? Ist die öffentliche Hand in dem Unternehmen involviert, ist die Antwort nicht immer eindeutig, wie der Jurist Davud Tayaranian in seiner Doktorarbeit belegt.

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Grafik: pur.pur

Der geplante Ausbau des Schienennetzes und die Gründe für die Verspätungen der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (AG) waren der Auslöser: Die kleinen Anfragen einiger Mitglieder des Bundestages und der Fraktion der Grünen 2010 im Parlament brachte einen Konflikt zum Vorschein, der nicht einfach zu lösen ist. Das Problem ist die Beteiligung des Staates an der Deutschen Bahn. Die Regierung entsendet Vertreterinnen und Vertreter in den Aufsichtsrat. Diese haben aufgrund der dort besprochenen sensiblen Informationen eine besondere Verschwiegenheitspflicht. Gleichzeitig hat die Regierung aber auch eine Auskunftspflicht gegenüber dem Parlament, die sich auf genau dieselben Informationen beziehen kann. »Damit müsste die Regierung sowohl schweigen als auch reden«, erklärt Davud Tayaranian, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Kieler Universität, das Dilemma. Weil nicht beides gleichzeitig geht, muss eine Entscheidung getroffen werden.

»Die Frage, welche Pflicht schwerer wiegt, lässt sich nicht immer einfach klären«, erklärt der Jurist. Im Falle der Deutsche Bahn AG hat im November 2017 das Bundesverfassungsgericht »zugunsten der verfassungsrechtlichen Antwortpflicht der Regierung entschieden, weil diese gegenüber der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht über einen höheren Rang verfügt«, sagt der Doktorand. Tayaranian hat diesen Fall zum Anlass seiner Dissertation (Doktorvater: Professor Michael Stöber) gemacht. »Ich wollte untersuchen, ob es weitere Pflichtenkollisionen wie diese gibt.«

Portraifoto Davud Tayaranian
© privat

Davud Tayaranian

Unter dem Titel »Vertraulichkeitsschutz in der öffentlich beherrschten Aktiengesellschaft« hat Tayaranian die Schnittstelle zwischen öffentlichem Recht (das auf Transparenz gerichtet ist) und dem Zivilrecht oder dem Aktienrecht (das die Vertraulichkeit von Unternehmensinterna zu schützen versucht) untersucht, Paragraf für Paragraf verglichen, Aufsätze und Urteile gelesen – und festgestellt, dass sich in vielen Fällen Auskunftspflicht und Geheimhaltungs­verantwortung konträr entgegenstehen.

»Ähnliche Konflikte können immer dann entstehen, wenn der Bund, aber auch die Länder oder Kommunen an Unternehmen in Rechtsform der Aktiengesellschaft beteiligt sind und um Auskunft gebeten werden – seitens der Parteien, aber auch von Seiten der Presse (Auskunftsanspruch der Presse) oder der Bürgerinnen und Bürger (Informationsfreiheitsrecht)«, erklärt der Kieler, der diese Kollisionslagen umfangreich untersucht hat.

»Es zeigt sich deutlich, dass sich der aktienrechtliche Vertraulichkeitsschutz und die öffentlich-rechtlichen Transparenzpflichten unabhängig voneinander entwickelt haben«, erklärt Tayaranian. Sie verzahnen sich nicht, sondern stehen sich häufig unvereinbar gegenüber. Eine Änderung oder Anpassung des Aktienrechts ist nicht in Sicht. »Daher sind auch künftig Konflikte vorprogrammiert. Bis heute werden die Auswirkungen des Urteils auf das Aktienrecht und die Auflösung ähnlicher Kollisionslagen von Juristinnen und Juristen kontrovers diskutiert.«

Einen Schwerpunkt in Tayaranians Dissertation bildet die Antwort auf die Frage, ob eine Aktiengesellschaft es hinnehmen muss, wenn ihre vertraulichen Informationen öffentlich preisgegeben werden, oder ob ihr in diesem Fall ein Ausgleichsanspruch zusteht. Denn der AG könnte durch die Veröffentlichung von Interna ein wirtschaftlicher Schaden entstehen. »Ein Unternehmen muss um Aufträge und Gewinne fürchten, wenn seine Kosten, Kalkulationsgrundlagen oder andere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auch für die Konkurrenz öffentlich zugänglich sind«, sagt der Jurist. »Das mag bei der Deutschen Bahn, die wenig Konkurrenz hat und bei der der Bund Alleineigentümer ist, nicht so schwerwiegend sein. Etwas anderes gilt jedoch, wenn auch private Aktionärinnen und Aktionäre beteiligt sind, die Gewinne erwarten, die durch diesen Konflikt und dessen Folgen geschmälert werden könnten.«

Angemessen wäre es, wenn der Bund, das Land oder die Kommune für wirtschaftliche Schäden, die aus der Veröffentlichung von sensiblen Unternehmensinterna folgen, aufzukommen hätte, erklärt der Rechtswissenschaftler, der ein Haftungskonzept für solche Situationen entwickelt hat. Das ist der Schlussakt seiner Doktorarbeit, an dem der 28-Jährige noch arbeitet. Spätestens im Herbst oder Winter wird er seine Dissertation einreichen.

Autorin: Jennifer Ruske

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