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Faszination Seeigel-Larven

Postdoktorand Tyler Carrier, 28, forscht zurzeit als Alexander-von-Humboldt-Stipendiat an der Uni Kiel und am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Im Interview spricht der US-Amerikaner über seine Arbeit, die Karriere und die Herausforderungen seines Forschungsaufenthaltes in Deutschland. Das Gespräch führte Professor Thomas Bosch, Leiter des SFB 1182, in einem Gastbeitrag für die unizeit.

Mann zwischen Laborgeräten
© pur.pur

Fasziniert von Seeigeln: Symbiose-Forscher Tyler Carrier aus North Carolina.

Thomas Bosch: Sie erforschen an Seeigel-Larven das symbiotische Leben im Meer. Wie sind Sie auf diesen Forschungsbereich gekommen?

Tyler Carrier: Ich wusste immer schon, dass ich Meerestiere erforschen wollte. In meinem breit gefächerten Studium der Meereswissenschaften hat mir die Zoologie der Wirbellosen am besten gefallen. Besonders aufgefallen sind mir die Seeigel, weil sie wunderschöne Larven haben und ein unglaubliches Entwicklungsprogramm durchlaufen. Wie diese Larven sich im freien Ozean entwickeln und ihren Weg zurück zum Meeresboden finden, begann mich wirklich zu faszinieren. Es überraschte mich ein bisschen, dass sich in ihrem Gewebe zahlreiche Mikroben befinden. Die Frage, ob diese Mikroben der Larve bei der Entwicklung in der Wassersäule helfen, hat meine Neugierde geweckt.

Was sind Ihre wichtigsten neuen Erkenntnisse zu Leben und Biologie der Seeigel-Larven?

Einer der großen evolutionären Vorteile der symbiotischen Lebensweise war, dass Tiere einen Darm entwickeln konnten. Er bietet einfach eine perfekte Umwelt, um Mikroben zu beherbergen. Die Hauptfrage meiner jüngsten Arbeit war, was mit dieser mikrobiellen Gemeinschaft passiert, wenn der Darm im Entwicklungszyklus eines Lebewesens wieder verloren geht. Wir fanden heraus, dass es in diesem Fall beim Wirtslebewesen eine Verringerung der verschiedenen Arten von Mikroben und deren Häufigkeit gibt. Das passt also gut zu der Theorie, dass sich diese mikrobiellen Gemeinschaften wahrscheinlich gebildet haben, als diese Tiere einen Darm entwickelten.

Ihre Arbeit überschreitet die Grenzen verschiedener Fachgebiete. Wie wichtig ist interdisziplinäres Arbeiten?

Ich habe in einer Gruppe von Aquakultur-Forschenden und molekularen Meeresökologinnen und -ökologen und Forschenden der Ozeanographie Meereswissenschaften studiert, dort herrschte immer viel Austausch. Das beflügelte wirklich eine Menge neuer Ideen. Meine Promotion habe ich dann in einer breit aufgestellten biologischen Abteilung absolviert. Die unterschiedlichen Forschungen haben jeweils eine völlig andere Perspektive auf eine wissenschaftliche Fragestellung, die man vielleicht noch nicht kennt, die aber wertvolle Hinweise für die eigene Arbeit bieten. So können wirklich faszinierende neue Ergebnisse entstehen.

Sie haben die USA mitten in der Corona-Pandemie verlassen und sind nach Kiel gekommen. Mit welchen Herausforderungen waren Sie konfrontiert?

Es gibt eine Menge Leute, die das möglich gemacht haben. Sie (Thomas Bosch) und Ute Hentschel Humeida sind wahrscheinlich die beiden wichtigsten. Am meisten hatte ich mit den bürokratischen Formalitäten zu kämpfen, die den rechtlichen Aufenthaltsstatus in Deutschland betreffen. Gleichzeitig musste ich herausfinden, wo die Pipetten im Labor sind und wo ich mein Forschungsobjekt hier im Meer finden kann.

Was müssen Nachwuchsforschende mitbringen, um die nächste Karrierestufe zu erreichen, auf der Sie sich gerade befinden?

Als Erstes muss man einfach eine Menge ausprobieren. Ich habe in der Aquakultur angefangen. Dort habe ich mit Seeigeln gearbeitet, habe für einen Sommerkurs Anemonenfische gezüchtet, habe mich für den Ozean interessiert und auch eine Zeit lang an Krankheiten und Biomechanik geforscht – einfach um zu sehen, was mir eigentlich gefällt. Und das Zweite ist, zu akzeptieren, dass Scheitern völlig okay ist. Alle Forschungserfahrenen würden sagen, dass man zunächst das Scheitern erwarten sollte, nicht den Erfolg. Und das sagt nichts über die Qualität als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler aus.

Wohin wird sich die Symbiose-Forschung in den nächsten fünf Jahren entwickeln?

Ich denke, dass die wichtigsten Antworten wahrscheinlich dort zu finden sind, wo Lebensprozesse von Mikroben beeinflusst werden, dieser Einfluss bisher aber noch nicht bekannt war. Das, was mir unmittelbar in den Sinn kommt, sind große Veränderungen im Lebenszyklus eines Tieres, bei denen wir dachten, dass es sich um vom Wirt gesteuerte Mechanismen handelt. Aber solche Veränderungen von Entwicklungsprozessen könnten durch den Eingriff von Bakterien verursacht werden und haben vielleicht viel weniger mit dem Wirt zu tun. Es würde mich nicht überraschen, wenn die Symbiose-Forschung dort aufblüht, wo es um die Betrachtung der großen Übergänge im Leben eines Tieres geht.

Dr. Tyler Carrier ist Humboldt-Forschungsstipendiat am Zoologischen Institut der CAU und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Zuvor schloss er sein Biologiestudium an der University of North Carolina/USA mit der Promotion ab. Seine Forschungen zum Einfluss von Mikroorganismen auf die Entwicklungsprozesse von marinen Invertebraten sind im Sonderforschungsbereich »Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen« (SFB 1182) eingebunden. Er arbeitet sowohl in der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie (Leitung: Professor Thomas Bosch) der Uni Kiel als auch in der GEOMAR-Arbeitsgruppe Marine Symbiosen (Leitung: Professorin Ute Hentschel Humeida).

Weitere Informationen:
Vollständiges Interview in englischer Sprache als Video:
youtu.be/Rf1Ksr62_KQ
Sonderforschungsbereich 1182 »Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen«, CAU: www.metaorganism-research.com

Über Kiel Life Science (KLS)

Das interdisziplinäre Zentrum für angewandte Lebenswissenschaften – Kiel Life Science“(KLS) – vernetzt an der CAU Forschungen aus den Agrar- und Ernährungswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Medizin. Es bildet einen von vier Forschungsschwerpunkten an der Universität Kiel und will die zellulären und molekularen Prozesse besser verstehen, mit denen Lebewesen auf Umwelteinflüsse reagieren. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Fragen, wie sich landwirtschaftliche Nutzpflanzen an spezielle Wachstumsbedingungen anpassen oder wie im Zusammenspiel von Genen, dem individuellen Lebensstil und Umweltfaktoren Krankheiten entstehen können. Gesundheit wird dabei immer ganzheitlich im Kontext der Evolution betrachtet. Unter dem Dach des Forschungsschwerpunkts sind derzeit rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 40 Instituten und sechs Fakultäten der CAU als Vollmitglieder versammelt.

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